• Viel Geld, die große Liebe, Erfolg im Job - manche Menschen hätten gerne das, was Personen in ihrem Umfeld bereits haben. Oft erwächst aus diesem Gefühl Neid.
  • Welche Ursachen hat Neid und was sind Strategien für den Umgang damit? Ein Experte klärt auf.

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Wenn eine andere Person mehr verdient, besitzt oder erreicht, spüren manche Menschen ein unangenehmes Gefühl in der Brust. Oft handelt es sich dabei um Neid. Weil sie sich mit anderen vergleichen, bemerken sie Unterschiede. Diese Gegenüberstellung passiert automatisch und unbewusst, sagt Cem Yilmaz von der Goethe-Universität Frankfurt im Gespräch mit unserer Redaktion.

Er forscht in der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie zum Thema Empathie und pathologischem Narzissmus. Yilmaz beschäftigt sich also mit der Fähigkeit, sich in andere einzufühlen. Und Narzissten, die aufgrund ihrer hohen Selbstbezogenheit über wenig Einfühlungsvermögen verfügen, neigen vermehrt zu Neid, sagt Yilmaz.

Die Tendenz zu Neid ist im menschlichen Erbgut verankert

Am Anfang des Gefühls von Neid steht also das Vergleichen mit anderen, das unwillentlich passiert. Nicht alle Menschen empfinden Neid jedoch im gleichen Ausmaß. Es gibt drei Faktoren, die darüber entscheiden, ob sie mehr oder weniger Neid spüren.

Dabei spielt erstens die biologische Komponente eine Rolle, die sich auf unsere Gene bezieht. Die Tendenz zu Neid ist im menschlichen Erbgut verankert, das heißt: Falls Eltern zu neidischen Gefühlen neigen, ist es wahrscheinlich, dass ihre Nachkommen ebenfalls diese Veranlagung haben.

Gesellschaftliche Struktur beeinflusst das Neid-Empfinden

Daneben werden Menschen von ihrem sozialen Umfeld beeinflusst, zum Beispiel von der Struktur der Gesellschaft, ob sie kollektivistisch oder individualistisch orientiert ist. Während individualistische Gruppen die einzelne, individuelle Person ins Zentrum rücken, konzentrieren sich kollektivistische Gemeinschaften auf die Gruppe, erklärt Hans-Peter Erb, Professor für Sozialpsychologie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, in einem Video.

In kollektivistischen Strukturen stehen die Gemeinsamkeiten von Menschen im Mittelpunkt, wohingegen individualistische Strukturen die Unterschiede betonen.

Der dritte Faktor, der das Neid-Empfinden beeinflusst, ist psychischer Natur, sagt Cem Yilmaz. "Manche Menschen lernen am Modell ihrer Eltern oder anderer wichtiger Bezugspersonen, dass das Erleben und Zeigen von Neid Vor- oder Nachteile haben kann."

Neid: Konstruktiv oder destruktiv - förderlich oder zerstörerisch?

Neid ist eine bisher vergleichsweise wenig erforschte Emotion. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wissen aber, dass es zwei Ausprägungen des Gefühls mit jeweils unterschiedlichen Effekten gibt. Das ist konstruktiver Neid auf der einen Seite und destruktiver Neid auf der anderen.

Wer auf konstruktive Weise beneidet, will das Gleiche erlangen, das die beneidete Person besitzt. Das bedeutet, ihr wird nichts weggenommen. Indem der neidende Mensch sich vergleicht, kann er sich motiviert fühlen, etwas Ähnliches zu erreichen. Der Neid wirkt förderlich – wobei das nur gilt, solange die neidende Person nicht zwanghaft handelt und andere Dinge vernachlässigt, um an ihr Ziel gelangen. In diesem Fall sprechen Forscher von Obsession.

Destruktiver Neid wirkt ausschließlich zerstörerisch, der Fachbegriff für diese Form ist Missgunst. Wer missgünstig ist, wünscht sich, dass eine andere Person die Güter verliert, um die sie beneidet wird. Das können Gegenstände wie zum Beispiel ein Handy oder ein Auto sein, aber auch ein immaterielles Gut wie eine intakte Liebesbeziehung kann neidisch machen.

Der missgünstige Mensch will einem anderen etwas wegnehmen und wünscht ihm weniger. Destruktiver Neid äußert sich darin, dass Neider andere Personen herabsetzen und ihre Leistungen oder Güter abwerten. "In Extremfällen kann es zu antisozialem Verhalten kommen", sagt Yilmaz. "Das kann sich unter anderem darin zeigen, dass Neider materielle Dinge zerstören oder Beziehungen sabotieren."

Gesellschaftlich verpönt – aus Sicht der Evolution jedoch bedeutsam

Weil Neid durch Vergleiche verursacht wird, entsteht er meist im näheren sozialen Umfeld, in dem Menschen sich unmittelbar gegenüberstehen. Das Gefühl ist im engsten Kreis besonders problematisch, da dort Unterstützung und Solidarität erwartet werden. Aber auch gesellschaftlich wird Neid oft als etwas Schlechtes angesehen, trotz seiner mitunter positiven Effekte, sagt Yilmaz.

Aus evolutionärer Sicht ist das Gefühl von großer Bedeutung. Neid spornt an, bringt zum Nachdenken und sichert so das Überleben. Der Grundgedanke hinter der Emotion ist der Wunsch, den eigenen Selbstwert zu vergrößern und die eigene Position zu schützen.

Männer sind neidisch auf Erfolg, Frauen wünschen sich Beliebtheit

Dabei neigen Männer und Frauen etwa in gleichem Maß zu Neid. Männer zeigen Neid jedoch tendenziell offener – vermutlich, da es bei ihnen gesellschaftlich weniger stigmatisiert ist, sagt Yilmaz. So zeige eine Studie aus dem Jahr 2012, dass Männer sich untereinander besonders im Hinblick auf ihre romantische partnerschaftliche Anziehung vergleichen. Eine Rolle spielen zudem Statussymbole, ein guter Zugang zu finanziellen Ressourcen sowie akademischer und beruflicher Erfolg.

Frauen tendieren zu Neid, wenn es um körperliche Attraktivität geht, um Beliebtheit und um die Zugehörigkeit zu einer prominenten Familie. Obwohl die Ausprägungen bei den Geschlechtern verschieden sind, haben sie eine Gemeinsamkeit: Sie motivieren Menschen bestenfalls und sorgen so dafür, dass sie wahrgenommene Unterschiede durch eigene Anstrengung ausgleichen und damit ihre eigene Lebenssituation sichern.

Drei Tipps helfen neidischen Menschen im Umgang mit ihren Gefühlen

Dennoch ist Neid gesellschaftlich verpönt. "Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus" – so steht es nach biblischer Überlieferung im neunten der Zehn Gebote. In diesem Zusammenhang ist es mitunter hilfreich, dass Neid im Gegensatz zu Wut oder Trauer keine körperlichen Reaktionen verursacht, die äußerlich sichtbar sind.

Die Tatsache, dass Neid sozial unerwünscht ist, erschwert jedoch den Umgang damit. Gleichwohl gibt es Strategien, sagt Cem Yilmaz. Drei Schritte können helfen - und ganz am Anfang steht Akzeptanz: "Es geht darum, achtsam für seine Gefühle zu sein." Wer in sich hineinhört und den eigenen Gedanken zuhört, lernt sich und seine Bedürfnisse kennen und kann danach sein Handeln ausrichten.

Nachdenken über sich selbst kann die eigenen Stärken aufdecken

Darauf aufbauend rät der Psychologe dazu, die Emotion als förderlich zu betrachten und sie als Motor für eigene Leistungen zu nutzen. Beneidende Menschen können sich auch die möglichen Folgen von destruktivem Neid vor Augen führen und Gespräche mit nahestehenden, vertrauenswürdigen Personen suchen, um gemeinsam Strategien für den Umgang auszuloten.

Zuletzt kann Nachdenken den Umgang mit Neid erleichtern, es kann in der Auseinandersetzung um Fragen gehen wie:

  • "Was hat die andere Person für ihren Erfolg geleistet – und möglicherweise auch geopfert?"
  • "Ergeben sich aus ihren Vorteilen auch Vorteile für mich?"
  • "Was kann ich bereits gut?"

Neid und Sinn für Gerechtigkeit sind verwandte Gefühle

Es geht darum, aus negativen Gedankenspiralen auszubrechen und sich auf Positives und die eigenen Fähigkeiten zu konzentrieren. Das ist nicht immer einfach, vor allem in Situationen, in denen Menschen sich unfair behandelt fühlen. Ein ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit lässt sich schwer von Neid abgrenzen, weil die Gefühle miteinander verbunden sind, sagt Yilmaz.

Ein Beispiel: Jemand arbeitet hart in einer Firma und macht regelmäßig Überstunden. Wird nun eine andere Person befördert, die sich weniger anstrengt, kann das ungerecht erscheinen - allerdings entsteht nicht zwangsläufig Neid.

Die Unterschiede zwischen Neid und Gerechtigkeitssinn

Es gibt drei maßgebliche Unterschiede zwischen Neid und einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn:

  • Während neidische Menschen nur den eigenen Vorteil im Blick haben, akzeptieren gerechtigkeitsliebende Personen auch persönliche Nachteile, falls diese sich positiv auf die übrige Gesellschaft auswirken.
  • Zweitens ist es für Neider nachrangig, ob der eigene Gewinn gerechtfertigt ist, es geht nur ums Gewinnen ungeachtet der Konsequenzen für andere. Im Unterschied dazu hinterfragen Personen mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn, ob sie die Stillung eines Bedürfnisses begründen können. Sie prüfen außerdem, welche Vor- und Nachteile sich daraus für sie und ihr Umfeld ergeben.
  • Drittens kämpfen Neider oft mit Schamgefühlen, weil ihr Selbstwert nicht so ausgeprägt ist, wie sie es sich wünschen. Ein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn hat im Gegensatz dazu keine Scham zur Folge, sagt Yilmaz.

Auch Neid und Bewunderung können dem Psychologen zufolge voneinander abgegrenzt werden. "Menschen, die bewundern, haben keine Motivation, etwas an ihrem eigenen Status zu verändern. Sie wollen der anderen Person auch nichts wegnehmen."

Menschen, die neidisch sind, kämpfen mit negativen Emotionen, weil sie Mängel in ihrem Leben empfinden. Sie sind oft unzufrieden mit sich und befinden sich in einer unangenehmen Lage.

Beneidete Personen können unterstützen, indem sie sich zurücknehmen

Ähnlich schwierig kann es sich für die beneidete Person anfühlen, zumal sie meist nur einen eingeschränkten Handlungsspielraum hat. Wenn sie Neider wahrnimmt, kann sie jedoch die Eigenschaft, um die sie beneidet wird, weniger stark ausleben oder zeigen, sagt Yilmaz. Sie kann sich aus Rücksicht auf neidische Menschen zurücknehmen, allerdings nur, solange sie sich damit nicht schadet. Einen Großteil der Verantwortung für den Umgang mit dem Gefühl tragen die Neider selbst.

Über den Experten: Cem Yilmaz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Goethe-Universität Frankfurt. In der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie forscht er zu Empathie und pathologischem Narzissmus.

Verwendete Quellen:

  • Interview mit Cem Yilmaz
  • Video: Dr. Hans-Peter Erb, Professor für Sozialpsychologie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, über Individualismus und Kollektivismus
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