Wer im Alter in kurzer Zeit viele Tiere aufzählen kann, lebt im Schnitt länger – so das Ergebnis einer aktuellen Studie. Doch wie aussagekräftig ist dieser Sprachtest wirklich?
Das Ergebnis einer aktuellen Studie klingt erstaunlich: Die Anzahl der Tiere, die ein Mensch in 90 Sekunden aufzählen kann, soll Hinweise auf die verbleibende Lebenszeit liefern: Die Studienteilnehmenden lebten bei 33 aufgezählten Tieren im Durchschnitt noch zwölf Jahre, bei elf Tieren waren es nur noch drei Jahre.
Zu diesem Ergebnis kam ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Paolo Ghisletta von der Universität Genf, zu dem auch Forschende des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung gehörten. Die Daten stammen aus der Berliner Altersstudie, für die 516 Menschen im Alter von 70 Jahren und älter in mehreren Sitzungen von 1990 bis 1993 untersucht wurden – unter anderem auf ihre geistige und körperliche Gesundheit und ihre intellektuelle Leistungsfähigkeit. Starb ein Teilnehmer, wurden die Forschenden darüber informiert.
Was der Sprachtest kann – und was nicht
Zur Studie gehörten auch kognitive Aufgaben. Unter anderem wurde die sogenannte Wortflüssigkeit – also die Fähigkeit, möglichst viele Wörter zu einem bestimmten Thema zu finden – erfasst: In 90 Sekunden sollten die Teilnehmenden möglichst viele Tierarten oder Wörter mit dem Anfangsbuchstaben "S" nennen.
Die Auswertung der Berliner Altersstudie zeigt: Die Wortflüssigkeit ist ein besonders aussagekräftiges Indiz für eine höhere Lebenserwartung im Alter. Personen, die bei den Wortflüssigkeitstests im oberen Viertel lagen, lebten durchschnittlich fast neun Jahre länger als diejenigen im unteren Viertel. Da die Stichproben zufällig gezogen wurden, gilt die Studie als nahezu repräsentativ für die Gesamtbevölkerung.
Die wirkliche verbleibende Lebenszeit einer Person lässt sich mit dem Test aber nicht berechnen, sagt Ulman Lindenberger, Direktor des Forschungsbereichs Entwicklungspsychologie am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin und Co-Autor der Studie: "Es gibt viele Belege dafür, dass die kognitive Leistungsfähigkeit und die Lebenserwartung in einem positiven Zusammenhang stehen. Es ist aber nicht möglich, aufgrund der Leistung auf einem einzelnen Test für eine bestimmte Person eine sichere Prognose über deren Lebenserwartung zu treffen."
Der Test "Tiere nennen" könne aber als Indikator der kognitiven Leistungsfähigkeit eingesetzt werden: "Indikator bedeutet: Die Leistung auf diesem Test ist nicht kausal mit der Lebenserwartung verknüpft, sondern der Test erfasst unter bestimmten Voraussetzungen Einflussgrößen, die sowohl mit der kognitiven Leistungsfähigkeit als auch mit der Lebenserwartung zusammenhängen."
Einfacher Test, große Denkleistung
Tiere aufzählen – was simpel klingt, wird erst durch ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Hirnfunktionen möglich: Unter Zeitdruck muss das Langzeitgedächtnis liefern, gleichzeitig muss der Prozess beobachtet und verinnerlicht werden, damit die bereits genannten Begriffe nicht wiederholt werden. Doch warum sind einige Menschen im fortgeschrittenen Alter geistig noch topfit, während andere sich einfache Dinge nur schwer merken können – und was führt zum Abbau der Leistungsfähigkeit?
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Gründe, die neben dem altersbedingten Gehirnabbau die kognitive Leistung mindern, gibt es viele. Neben Erkrankungen wie Infektionen oder Diabetes, die auf das Gehirn wirken, gibt es auch Hinweise darauf, dass eine überwiegend aus hochverarbeiteten Lebensmitteln bestehende Ernährung den kognitiven Abbau beschleunigen kann. Ist die kognitive Leistungsfähigkeit also ein Indikator für die Gesundheit?
Getrennt betrachten lassen sich Körper und Kopf nicht, denn: "Das Gehirn gehört zu unserem Körper dazu, es ist ein Teil unseres Körpers. Zum Beispiel trägt die Vermeidung von Bluthochdruck wesentlich zur Gesundheit des Gehirns bei. Wenn die kognitive Leistungsfähigkeit im höheren Erwachsenenalter stark nachlässt, dann ist dies ein Ausdruck von Abbauprozessen des Gehirns, die wiederum mit Abbauprozessen anderer körperlicher Systeme und Funktionen zusammenhängen. Umgekehrt können Sport und Bewegung zum Erhalt auch der kognitiven Leistungsfähigkeit beitragen", so Lindenberger.
Fitnessprogramm fürs Gehirn
Bewegung empfehlen auch Forschende der Harvard Medical School, die sechs Eckpfeiler für ein effektives Fitnessprogramm für die Gesundheit und die kognitive Leistungsfähigkeit identifiziert haben:
- gesunde pflanzliche Ernährung
- regelmäßige körperliche Betätigung
- ausreichend Schlaf
- gutes Stressmanagement
- Pflege sozialer Kontakte
- lebenslanges Lernen und geistige Anregung
Obwohl das Gehirn im Alter abbaut, ist heute bekannt, dass es sich bis ins hohe Alter anpassen und verändern kann. Neuroplastizität wird diese Anpassungsfähigkeit des Gehirns genannt, die durch geistige und körperliche Aktivitäten gefördert wird. Rätsel wie Sudoku, durch die die jeweils trainierten Fähigkeiten wie Problemlösung oder logisches Denken verbessert werden, reichen dabei aber nicht aus.
Um die Entstehung von neuen Verbindungen zwischen Nervenzellen anzuregen, sollten Informationen nicht nur logisch konsumiert, sondern auch sinnlich erfahren werden. Anders als ein Computer ist das menschliche Gehirn nicht dafür konzipiert, nur trockene Informationen aufzunehmen und abzuspeichern – es lernt buchstäblich mit allen Sinnen und wächst an seinen Aufgaben.
Und es profitiert eben von Bewegung: Sportlich aktive Menschen haben ein geringeres Risiko für demenzielle Erkrankungen wie Alzheimer. Doch auch leichte körperliche Aktivitäten wie ein kurzer Spaziergang oder Treppensteigen wirken sich nachweislich positiv auf das Gehirn aus.
Neurowissenschaftler Lindenberger sagt: "Verlaufsstudien haben gezeigt, dass ein körperlich aktives und intellektuell anregendes Leben sowie positive und bedeutungsvolle soziale Beziehungen mit dem Erhalt kognitiver Leistungen im Alter und einer höheren Lebenserwartung verknüpft sind. Zumindest einige dieser Einflüsse kann man durch sein eigenes Handeln zu einem gewissen Grad beeinflussen. Wenn ich mich für eine bestimmte Maßnahme zu entscheiden hätte, dann würde ich der körperlichen Aktivität einen besonders hohen Wert beimessen – Sport treiben, Tanzen oder Spazierengehen zum Beispiel."
"Ein Navigationsgerät kann mich beim Aufbau einer mentalen Landkarte unterstützen oder es kann diese ersetzen und damit den Abbau meiner räumlichen Fähigkeit begünstigen."
Technische Errungenschaften wie Künstliche Intelligenz oder Navigationsgeräte, die uns das Denken im Alltag immer mehr abnehmen, betrachtet Ulman Lindenberger nicht grundsätzlich als schädlich für die kognitive Leistungsfähigkeit: "Es hängt ganz davon ab, wie solche Assistenzsysteme genutzt werden. Ein Navigationsgerät kann mich beim Aufbau einer mentalen Landkarte unterstützen oder es kann diese ersetzen und damit den Abbau meiner räumlichen Fähigkeit begünstigen. Es kommt ganz darauf an, für jede einzelne Person das angemessene Ausmaß an Unterstützung und Herausforderung zu finden. Insofern ist KI auch eine Chance für den Erhalt der selbständigen Lebensführung im Alter."
Über den Gesprächspartner
- Prof. Dr. Ulman Lindenberger ist Direktor des Forschungsbereichs Entwicklungspsychologie am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Seine Forschungsinteressen gelten unter anderem der neuronalen und Verhaltensplastizität über die gesamte Lebensspanne. Der Psychologe und kognitive Neurowissenschaftler zählt zu den international führenden Experten auf dem Gebiet der kognitiven Alternsforschung. Im Jahr 2010 wurde er mit dem Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgezeichnet.
Verwendete Quellen
- Sage Journals: Verbal Fluency Selectively Predicts Survival in Old and Very Old Age
- Base: Die Berliner Alterstudie
- TU Dresden: Mit allen Sinnen lernen: Multimodales Enrichment als optimale Lernstrategie der Zukunft
- Harvard Health Publishing: Six steps to cognitive health
- Neurology Journals: Association Between Accelerometer-Derived Physical Activity Measurements and Brain Structure