Die Schweizer Gemeinde Birsfelden möchte den Durchfahrtsverkehr begrenzen – und tut dies mit einem einzigartigen System. Wer in weniger als 15 Minuten ohne Berechtigung durch die Quartierstraßen fährt, muss Strafe zahlen. Das Ergebnis übertrifft alle Erwartungen – und sorgt für heftige Kritik.
Die kleine Schweizer Gemeinde Birsfelden unweit von Basel macht mit einem radikalen Verkehrsexperiment internationale Schlagzeilen. Seit September verhängt der Ort automatisch Bußgelder gegen Autofahrer, die bestimmte Quartierstraßen lediglich zur Durchfahrt nutzen.
Das System funktioniert vollständig digital: Kameras erfassen sämtliche Fahrzeuge und gleichen deren Kennzeichen automatisch mit einer Datenbank berechtigter Nutzer ab. Wer weniger als 15 Minuten in den überwachten Bereichen verweilt, erhält eine Strafe von 100 Franken – umgerechnet etwa 107 Euro.
Unerwarteter Geldsegen überrascht Gemeindevertreter
Die Bilanz nach den ersten Wochen übertrifft sämtliche Erwartungen: Täglich werden über 1.000 Übertretungen registriert, was der Gemeindekasse Einnahmen von mehr als 100.000 Franken pro Tag beschert, wie der Schweizer Rundfunk (SRF) berichtet.

"Wir haben die Fahrverbote deutlich signalisiert. Warum sie dennoch so häufig missachtet werden, können wir uns nicht erklären", zeigt sich Gemeinderätin Désirée Jaun überrascht über das Ausmaß der Verstöße.
Die Gemeindeverwaltung stößt an ihre Belastungsgrenze. Bereits drei Mitarbeitende seien laut SRF ausschließlich mit der Bearbeitung der Bußgelder beschäftigt. Die Gemeinde sucht dringend zusätzliches Personal, um die Flut an Verwaltungsverfahren bewältigen zu können. Am Schalter der Gemeinde bilden sich seit Einführung der neuen Verkehrsregeln regelmäßig lange Schlangen.
Touring Club Schweiz kündigt rechtliche Schritte an
Das System stößt allerdings auf erheblichen Widerstand. Der Touring Club Schweiz (TCS) hat bereits angekündigt, juristisch gegen die Gemeinde vorzugehen. TCS-Präsident Christophe Haller bemängelt insbesondere die unzureichende Signalisation und berichtet von "absurden Fällen".
Besonders betroffen seien französische Grenzgänger. Zum Beispiel sei ein Pendler aus Frankreich sogar fünfmal mit einer Geldstrafe belegt worden und habe nun "Angst um seinen Job", weshalb er keine rechtlichen Schritte einleiten wolle.
"Ich verstehe das Anliegen, den Durchgangsverkehr zu reduzieren – aber das ist der falsche Weg", so Haller gegenüber dem SRF. Der TCS lasse laut Haller mittlerweile einen Präzedenzfall laufen. Dem pflichtet die St. Galler Strafrechtlerin Monika Simmler gegenüber "Basel Jetzt" bei. Sie stellt die Verfassungskonformität der automatischen Durchfahrtskontrolle infrage.
Gemeinde verteidigt Vorgehen als rechtmäßig
Trotz der Kritik zeigt sich die Gemeindeleitung überzeugt von der Rechtmäßigkeit des Systems. "Wir sind überzeugt, dass wir rechtens handeln", erklärt Gemeindepräsident Christof Hiltmann (FDP) im Gespräch mit "Basel Jetzt". Vor der Einführung habe man das System sowohl vom kantonalen Datenschutz als auch von rechtlicher Seite prüfen lassen. "Es wurde uns von überall grünes Licht gegeben", betont Hiltmann.
Der Datenschutzbeauftragte des Kantons Basel-Landschaft, Markus Brönnimann, bestätigt die Vorab-Konsultation und erklärt, man habe auf einen "möglichst kleinen Eingriff in die Privatsphäre" geachtet.
Internationale Aufmerksamkeit für Schweizer Pilotprojekt
Mit der automatischen Durchfahrtskontrolle beschreitet Birsfelden schweizweit Neuland. Als erste Gemeinde setzt sie ein digitales System zur Verkehrslenkung ein.
Das ursprüngliche Ziel der Maßnahme war es, den Durchgangsverkehr zu reduzieren und die Lebensqualität in den betroffenen Wohngebieten zu verbessern. Rund 11.000 Fahrzeuge nutzten den Ort täglich zum Durchfahren, wenn sich der Verkehr auf der Autobahnstrecke nach Basel staue, berichtet SWR3.
Empfehlungen der Redaktion
Die Gemeinde rechnet damit, dass die Verstöße in den kommenden Wochen deutlich zurückgehen werden: Statt der aktuell rund 1.000 Bußgelder täglich erwarte man künftig zwischen 50 und 100 Strafen pro Tag. (bearbeitet von sbi)
Verwendete Quellen
- srf.ch: TCS will gerichtlich gegen Verkehrsregime in Birsfelden vorgehen
- srf.ch: Birsfelden kassiert täglich 100'000 Franken durch Fahrverbote
- baseljetzt.ch: Birsfelden verteidigt Bussen: "Wir sind überzeugt, dass wir rechtens handeln"
- swr3.de: Durch diesen Ort in der Schweiz solltet ihr nicht fahren – das ist der Grund