Auf dem Oktoberfest wird gegessen, getrunken, gefeiert – und so mancher geht im Anschluss nicht allein nach Hause. Laut einem Virologen macht sich das in den Wochen nach der Wiesn bemerkbar: durch einen deutlichen Anstieg bei sexuell übertragbaren Infektionen.

Erst ein bisschen gemeinsam auf der Bierbank schunkeln, darauf folgt ein erster Kuss – und im Anschluss wird es noch intimer.

Jeder, der schon einmal auf dem Oktoberfest war, weiß: Es wird viel geflirtet und auch der ein oder andere intime Kontakt geknüpft.

"Bei uns in der Infektiologie macht sich das deutlich bemerkbar: Während und nach dem Oktoberfest behandeln wir gehäuft sexuell übertragbare Infektionen", erzählt Johannes Bogner, Leiter des Interdisziplinären Zentrums Klinische Infektiologie am LMU Klinikum, im Gespräch mit unserer Redaktion. "Die Anzahl verdreifacht sich während der Zeit."

Eine Sprecherin des Münchner Gesundheitsreferats sagt, man könne diese Beobachtungen nicht bestätigen, "da wir keine Daten erheben, wann beziehungsweise in welchem Zusammenhang der Sexualkontakt stattfand, der zur Testung geführt hat".

"Wir haben diese Frage nie systematisch untersucht, aber ich weiß, dass auch andere Fachärzte diese Beobachtung machen", berichtet hingegen Christopher Knoll, Teamleitung von "Checkpoint München", einer Test- und Beratungsstelle für sexuelle Gesundheit und HIV, auf Anfrage unserer Redaktion.

Große Feste als "Infektions-Hotspots"

Für Bogner ist klar: "Die Häufigkeit von anonymen oder unbekannten Sexualkontakten ist sehr hoch auf dem Oktoberfest. Manche gehen schon in der Hoffnung dorthin, jemanden kennenzulernen, der gleichgesinnt ist."

Ähnliche Beobachtungen von solchen Großereignissen schildert auch Norbert H. Brockmeyer, Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft. Zum Beispiel gebe es nach Christopher Street Days oder Festen wie einer großen Kirmes einige Menschen, die sich etwa mit Gonokokken (umgangssprachlich Tripper, Anm.d.Red.) oder Syphilis infizieren. "Es wird Alkohol konsumiert, Gäste sind enthemmter, es kommt schneller zu sexuellen Kontakten – und in der Folge zu ansteigenden Infektionen", sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion.

STI

  • STI steht für Sexually Transmitted Infections und bezeichnet Infektionen, die hauptsächlich durch sexuellen Kontakt übertragen werden.
  • Dazu gehören beispielsweise Chlamydien, Syphilis, Gonorrhö oder HIV.
  • Sie können teils symptomlos verlaufen, sind aber oft gut behandelbar, wenn sie frühzeitig erkannt werden.

Er fügt an: "Wir haben keine Daten dazu – das ist das Problem." Aber aus Beobachtungen zeige sich, dass größere Feste immer wieder zu Infektions-Hotspots werden. "Das ist auf dem Münchner Oktoberfest sicherlich nicht anders."

Fehlende Aufklärung und Vorsicht – nicht nur bei Jüngeren

Typische Infektionen, von denen nach dem Oktoberfest mehr behandelt werden, sind laut Bogner Chlamydien, Ureaplasmen, Tripper und Syphilis. "Man kann sich bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr aber auch mit HIV oder Hepatitis B infizieren", gibt er zu bedenken und fügt an: "Kondome schützen. Aber nach der dritten Maß denken viel nicht mehr daran."

Zu viel Alkohol ist laut den beiden Ärzten allerdings nur einer von vielen Gründen, weshalb auf das Kondom verzichtet wird. "In der Community der Männer, die Sex mit Männern haben, ist das Kondom nicht mehr salonfähig", so Bogner. Das liege einerseits daran, dass viele die sogenannte PrEP nehmen, und andererseits daran, dass es beim Gegenüber negativ erscheinen könne. "Wer ein Kondom verwendet, hat entweder etwas zu verbergen oder ist ein Angsthase – so gängige Annahmen."

PrEP

  • PrEP steht für Präexpositionsprophylaxe: Dabei handelt es sich um die vorbeugende Einnahme von HIV-Medikamenten (Tabletten), um eine Ansteckung mit dem HI-Virus beim Sex oder beim Drogenkonsum über geteilte Spritzen zu verhindern.
  • Sie ist besonders für Menschen mit hohem HIV-Risiko gedacht und schützt bei regelmäßiger Einnahme sehr zuverlässig vor einer Infektion.

Brockmeyer sagt, dass es außerdem immer noch an Aufklärung fehle, "übrigens gerade bei Älteren". "Je nach Erreger belaufen sich zwischen 20 und 33 Prozent der festgestellten Infektionen auf die Gruppe der über 50-Jährigen", berichtet er. Diese Altersgruppe gehe auch gerne zum Oktoberfest und habe teils sehr viele sexuelle Kontakte. "Mit über 50 Jahren trennen sich viele Paare und haben in den Folgejahren neue Partner und viele Sexualkontakte."

Ältere Menschen hätten nicht mehr die Angst, dass Sex zu einer Schwangerschaft führen könnte. "Unter anderem denken deshalb viele von ihnen nicht mehr daran, ein Kondom zu verwenden", sagt Brockmeyer. "Hinzu kommt die weit verbreitete Annahme, STI gebe es in ihrer Altersgruppe nicht. Und auch die Angst, mit dem Partner oder der Partnerin über die vergangenen Partner zu sprechen, spielt eine Rolle dabei."

"Das Bewusstsein fehlt."

Norbert Brockmeyer, Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft, über sexuell übertragbare Infektionen

Für den Sexualmediziner steht fest: "Das Bewusstsein fehlt." Er hält es deshalb für sinnvoll, beim Oktoberfest gezielt darauf hinzuweisen, wie man sich vor STI schützen kann. "Zum Beispiel könnten in Zelten Gratiskondome verteilt werden."

Schützen und testen

Brockmeyers Tipp für diejenigen, die auch sexuell ihren Spaß auf dem Oktoberfest haben wollen: "Miteinander sprechen und Kondome nutzen." Sie schützten nicht zu 100 Prozent, aber je nach Erreger zwischen 60 und 80 Prozent, "bei HIV sogar bis zu 90 Prozent, wenn man sie richtig anwendet". Den fast hundertprozentigen Schutz gegen HIV gebe es nur dann, wenn man die PrEP nehme. Und: "Als Frau kann man zudem Femidome (Vaginalkondom, das Frauen in ihre Scheide einführen, Anm.d.Red.) verwenden und sogenannte Lecktücher, natürlich auch bei sehr vielen Kontakten die PrEP", empfiehlt der Sexualmediziner.

Virologe Bogner empfiehlt zudem: "Wer ungeschützten Sex mit einer fremden Person hatte, sollte sich danach testen lassen." Genau dort sieht Brockmeyer allerdings eine große Hürde. "Menschen haben Sex, und es wird auch sehr viel über Sexualität gesprochen - aber meist nicht über die eigene", erklärt er. Besonders Infektionen seien "ein Riesen-Tabu" und Betroffene würden häufig diskriminiert. "Aus Angst und Scham gehen viele nicht zum Arzt, insbesondere nicht in ihrem Umkreis."

Sexuell übertragbare Infektionen auf dem Vormarsch

Die Zahl der sexuell übertragbaren Infektionen ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Das zeigen Auswertungen der Robert Koch-Insituts. "Das hat sicherlich einerseits damit zu tun, dass wir mehr testen, als wir es mal getan haben, aber die Zahlen sind auch real hochgegangen", sagt Brockmeyer. "Als Vergleich: Im Jahr 2001 gab es in Deutschland rund 2.000 Syphilis-Infektionen, im Jahr 2024 waren es fast 10.000."

Die meisten Infektionen gebe es in der jüngeren Altersgruppe, etwa ab 16 Jahren. "Die Peaks liegen je nach Infektion bei einem Alter zwischen 25 und 40 Jahren", sagt der STI-Experte. Laut "Liebesleben", einer Initiative zur Förderung sexueller Gesundheit, infizieren sich gerade Jugendliche mit Chlamydien und HPV, Trichomonaden kommen vor allem bei heterosexuellen Erwachsenen vor und Syphilis betrifft oft schwule und bisexuelle Männer.

Laut Brockmeyer zeigen Daten aus Sachsen auch bei Gonokokken-Infektionen und Chlamydien-Infektionen einen deutlichen Anstieg. Auf diese Entwicklung blickt der Experte mit Sorge: "Bei Gonokokken geht der Trend zu einer ausgeprägten Resistenz gegen fast alle Antibiotika, teils müssen auch höhere Dosierungen eingesetzt werden, da die Wirksamkeit abnimmt."

Empfehlungen der Redaktion

Viele STI könnten geheilt werden – vorausgesetzt, die Behandlung wird frühzeitig und konsequent durchgeführt. Dabei ist entscheidend, dass die Sexualpartnerin oder der Sexualpartner mitbehandelt wird. Laut Bundesgesundheitsministerium kann es bei verzögerter oder ausbleibender Behandlung zu Komplikationen oder Spätfolgen in unterschiedlichster Ausprägung kommen, da sich die Erreger im ganzen Körper ausbreiten und weitere Organe befallen können. Syphilis-Erreger könnten beispielsweise das zentrale Nervensystem angreifen, wodurch Spätschäden in Form von Lähmungen auftreten könnten. Auch andere Organe können dauerhaft geschädigt werden.

Redaktioneller Hinweis

  • Die Informationen in diesem Artikel ersetzen keine persönliche Beratung und Behandlung durch eine Ärztin oder einen Arzt.

Über die Gesprächspartner

  • Prof. Dr. med. Johannes Bogner ist Leitender Oberarzt an der Medizinischen Klinik und Poliklinik IV, LMU Klinikum Innenstadt, Ludwig-Maximilians-Universität München und Leiter der Sektion Klinische Infektiologie.
  • Prof. Dr. med. Norbert H. Brockmeyer ist Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft (DSTIG) – Gesellschaft zur Förderung der Sexuellen Gesundheit sowie Gründer und ehemaliger Leiter von WIR – Walk In Ruhr, einem Zentrum für Sexuelle Gesundheit und Medizin.

Verwendete Quellen