Ex-Trigema-Chef Wolfgang Grupp leidet laut eigener Aussage unter Altersdepressionen. Davon spricht man, wenn Menschen über 65 Jahren an Depressionen leiden. Eine Expertin erklärt, warum die Erkrankung oft unerkannt bleibt und wie sich Angehörige verhalten können.

Wolfgang Grupp hat einen Suizidversuch öffentlich gemacht. In einem Brief an seine Beschäftigten schrieb der Unternehmer: "Ich bin im 84. Lebensjahr und leide an sogenannten Altersdepressionen." Er habe deswegen versucht, sein Leben zu beenden. In der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass Grupp verletzt im Krankenhaus liegt.

Wann spricht man von einer Altersdepression?

  • Erkrankt ein Mensch über 65 Jahren an einer Depression, spricht man umgangssprachlich von einer Altersdepression. Eine eigenständige Diagnose ist das jedoch nicht und im Grundsatz unterscheidet sich die Altersdepression auch nicht von einer Depression im jüngeren Alter. Es gibt aber wichtige Unterschiede - siehe unten.

Grupp ist kein Einzelfall: Depressionen zählen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen, auch bei älteren Menschen. Rund sechs Prozent der 70- bis 79-Jährigen erkranken laut Robert-Koch-Institut jährlich an einer Depression. Sogenannte subklinische Depressionen – also solche mit abgeschwächter oder unvollständiger Symptomatik – sind im Alter sogar zwei- bis dreimal so häufig. Außerdem steigt das Suizidrisiko mit zunehmendem Alter: 35 Prozent der Menschen, die sich pro Jahr das Leben nehmen, sind älter als 65 Jahre, obwohl ihr Bevölkerungsanteil nur bei knapp über 20 Prozent liegt.

"Männliche" und "weibliche" Symptome

Grundsätzlich unterscheidet sich die Altersdepression nicht von Depressionen im jüngeren Alter. In beiden Fällen zählen Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit und Interessensverlust zu den Hauptsymptomen. Hinzukommen können auch vermindertes Selbstvertrauen oder Schuldgefühle.

Es gibt aber auch wichtige Unterschiede: "Zu den typischen Symptomen im Alter zählen Appetitlosigkeit, psychomotorische Unruhe, Verstopfungen, kognitive Störungen und Schlafstörungen", ergänzt die gerontopsychiatrische Fachkraft Katharina Gisselmann im Gespräch mit unserer Redaktion.

Dabei gebe es Symptome, die häufiger bei Männern beziehungsweise Frauen auftreten. Als "männliche" Symptome einer Depression würden beispielsweise eine reduzierte Stresstoleranz, geringe Impulskontrolle, antisoziales Verhalten und Aggressivität gelten. "Bei Frauen kann man häufiger eine Überempfindlichkeit gegen Zurückweisungen, Appetitsteigerung und Müdigkeit beobachten", so Gisselmann.

Altersdepression wird oft mit Demenz verwechselt

Ein weiterer Unterschied: "Menschen, die in jungen Jahren an Depressionen erkranken, werden deutlich häufiger diagnostiziert", sagt Expertin Gisselmann. Denn bei älteren Menschen stehen häufig körperliche Beschwerden, etwa Rückenschmerzen oder Verdauungsprobleme, im Fokus. Viele Betroffene richten ihre Aufmerksamkeit ganz auf diese Leiden, statt ihre seelische Verfassung zu hinterfragen.

Gleichzeitig gibt es auch körperliche Erkrankungen, bei denen Schlaf- oder Antriebsstörungen auftreten, ohne dass eine Depression ursächlich dafür ist. Und es gibt Krankheiten, wie etwa Schilddrüsenerkrankungen, bei denen depressive Symptomatiken dazugehören.

Dass Altersdepressionen seltener erkannt werden, liegt auch daran, dass ältere Menschen stärker als jüngere dazu neigen, sich Gefühle von Niedergeschlagenheit und Freudlosigkeit nicht anmerken zu lassen und stattdessen eher über gesundheitliche Probleme klagen. Auch haben ältere Menschen manchmal Schwierigkeiten, psychisches Leiden als eigenständige Erkrankung zu akzeptieren oder sie haben Vorurteile gegenüber psychischen Krankheiten.

Besonders häufig werden Altersdepressionen mit Demenz verwechselt. Denn in beiden Fällen zählen Konzentrations- und Gedächtnisprobleme zu den Symptomen. Allerdings sind depressive Menschen – im Gegensatz zu dementen Menschen – nicht desorientiert und können eher einen Leidensdruck artikulieren.

Belastende Ereignisse im Alter als Auslöser

Bei Depressionen gibt es selten eine einzelne Ursache. Vielmehr kommen mehrere Faktoren zusammen – von Genetik über Neurobiologie bis hin zur eigenen Biografie und Persönlichkeit. Im Alter gibt es aber spezielle Risikofaktoren, die eine Depression auslösen können. Sie sind dann aber meist nicht die einzige Ursache und hätten bei anderen Menschen vielleicht nicht zu einer depressiven Episode geführt.

Das sind bei älteren Menschen beispielsweise Ereignisse wie schwere Erkrankungen, ein Rollenwechsel durch den Auszug der Kinder, der Renteneintritt oder der Verlust von Angehörigen. "Bei Männern ist der Verlust von Funktion und Status beim Renteneintritt oft noch deutlicher", sagt Gisselmann. Hinzu kämen teilweise dauerhafte Belastungen durch körperliche Krankheiten, nachlassende Leistungsfähigkeit und eingeschränkte Mobilität.

"Das Erkennen einer Altersdepression ist tatsächlich schwierig, weil es oft keine typischen Symptome sind, die man mit einer Depression verbindet", sagt auch Gisselmann. Es gebe jedoch Warn- und Anzeichen. Dazu zählt zum Beispiel, wenn ein Angehöriger plötzlich mehr Alkohol trinkt, Haushalt und Körperpflege vernachlässigt, Gefühle der Wertlosigkeit äußert oder Schmerzen ohne klare organische Ursache hat.

Behandelt wird eine Depression auch bei älteren Menschen mit Psychotherapie und Medikamenten. Weil bei älteren Menschen der Stoffwechsel verändert ist, werden die Medikamente aber oft anders dosiert. Nehmen die Patientinnen oder Patienten bereits andere Medikamente, muss außerdem besonders auf die Wechselwirkungen geachtet werden.

Was können Angehörige tun?

Für Angehörige ist es wichtig, auf Veränderungen zu achten, Anzeichen wahr- und ernst zu nehmen. Fällt bei einem Angehörigen Freudlosigkeit auf, sollte dies angesprochen werden. Äußert ein älterer Mensch im Umfeld Suizidgedanken, ist professionelle Hilfe nötig.

Angehörige können aber beispielsweise auch helfen, indem sie zuhören, zu Arztterminen begleiten, gemeinsam sinngebende Ziele suchen, beim Schaffen von Struktur unterstützen und Ängste ernst nehmen.

Denn: "Es ranken sich immer noch Mythen um Altersdepressionen, die man immer wieder hört. Dazu zählen beispielsweise: 'Depressionen sind ein Zeichen von Schwäche, man muss sich nur anstrengen' oder 'Depressive Menschen sind immer schlecht gelaunt und traurig'", sagt Gisselmann.

Empfehlungen der Redaktion

Teilweise gebe es auch Hemmungen, mit Betroffenen über die Depression zu sprechen. "Manche denken: Wenn man über Depressionen spricht, ziehen sie den Betroffenen nur noch weiter runter und man sollte Gespräche über Depressionen vermeiden. Das stimmt nicht", sagt die Expertin. Das Gegenteil sei der Fall: Soziale Kontakte sind eine der wichtigsten Präventionsmaßnahmen. "Das können Familie und Freunde, aber auch Sportverein und eine ehrenamtliche Tätigkeit sein", sagt Gisselmann.

Wer sich einsam fühle, könne auch Besuchsdienste oder die Telefonseelsorge zurückgreifen. Ebenso wichtig sei es, körperlich und geistig aktiv zu bleiben. Gisselmann empfiehlt weiter, auf ausreichend Schlaf und ausgewogene Ernährung zu achten, immer mal wieder etwas Neues zu lernen und eine geregelte Tagesstruktur mit kleinen Zielen aufrechtzuerhalten.

Hilfsangebote

  • Wenn Sie oder eine Ihnen nahestehende Person von Suizidgedanken betroffen sind, wenden Sie sich bitte an die Telefonseelsorge unter der Telefonnummer 0800/1110-111 (Deutschland), 142 (Österreich), 143 (Schweiz).
  • Anlaufstellen für verschiedene Krisensituationen im Überblick finden Sie hier.

Über die Gesprächspartnerin

  • Katharina Gisselmann ist examinierte Ergotherapeutin, gerontopsychiatrische Fachkraft und Psychotherapeutin i.A. Sie ist Inhaberin und Gründerin von Fortbildung mal anders in Dortmund. Ein Fortbildungsinstitut mit dem Schwerpunkt Geriatrie/ Gerontopsychiatrie.

Weitere Quellen