Dass Multiple Sklerose (MS) im Zusammenhang mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV) steht, ist der Wissenschaft bekannt. Ein Forschungsteam der Medizinischen Universität Wien (MedUni Wien) hat nun einen Bluttest entwickelt, der das Risiko für Multiple Sklerose bereits Jahre vor dem Auftreten erster Symptome mit hoher Genauigkeit vorhersagen kann.
Die in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlichten Forschungsergebnisse könnten die Früherkennung und Behandlung der chronischen Erkrankung Multiple Sklerose revolutionieren.
Der neue Test identifiziert spezifische Antikörper gegen ein Protein des Epstein-Barr-Virus (EBV), die bereits im frühen Stadium einer MS-Erkrankung nachweisbar sind – durchschnittlich 5,4 Jahre vor der klinischen Diagnose.
Was der neue Test misst und warum das wichtig ist
Der Test basiert auf der Messung von sogenannten Autoantikörpern, die innerhalb von drei Jahren nach einer EBV-Infektion auftreten und auf einen bestimmten Abschnitt des EBV-Proteins EBNA-1 (Epstein-Barr nuclear antigen 1) gerichtet sind. Lassen sich diese Antikörper wiederholt im Blut nachweisen, deutet dies auf ein erhöhtes Risiko für eine spätere MS-Erkrankung hin.
Kurz erklärt: Was ist Multiple Sklerose?
- Multiple Sklerose ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems, sprich des Gehirns und des Rückenmarks, bei der das Immunsystem fälschlicherweise die Myelinhülle der Nervenzellen angreift.
- Zu den Symptomen gehören Entzündungen im Gehirn und neurologische Ausfälle. Die Folge sind motorische Störungen/Lähmungen, Seh- oder Gefühlsstörungen wie Kribbeln, schmerzhafte Missempfindungen oder Taubheit. Unsicherheit beim Gehen oder beim Greifen, Doppelbilder und "verwaschenes" Sprechen können ebenfalls auftreten. Diffusere Symptome sind: Erschöpfbarkeit (die sogenannte Fatigue), kognitive Störungen, Einschränkungen bei Aufmerksamkeit, Merkfähigkeit und Konzentration, depressive Verstimmungen und Depressionen, Schmerzen, Schwindel sowie sexuelle Funktionsstörungen.
- Zu Beginn verläuft MS schubartig, was mit fortschreitender Dauer nachlässt.
- Beschwerden, Verlauf und Heilungschancen bzw. Therapieerfolge sind so individuell wie die Betroffenen, weshalb MS auch als "Krankheit mit den 1.000 Gesichtern" bezeichnet wird.
- Weltweit sind etwa 2,8 Millionen Menschen betroffen. Bislang war eine frühzeitige Erkennung kaum möglich, da typische Veränderungen erst spät im MRT sichtbar werden oder Nervenschäden bereits eingetreten sind. Auch eine Lumbalpunktion (Nervenwassergewinnung) kann bei einer Diagnostik Anwendung finden.
- Multiple Sklerose ist nicht ansteckend, nicht zwangsläufig tödlich, kein Muskelschwund und keine psychische Erkrankung.
"Unsere Untersuchungen zeigen, dass Personen, bei denen diese Antikörper an mindestens zwei Messzeitpunkten nachweisbar sind, mit hoher Wahrscheinlichkeit in den Folgejahren eine MS entwickeln", so Hannes Vietzen, Autor der Studie.
Hohe Treffsicherheit durch wiederholte Messungen
Für die Studie untersuchten die Forschenden Blutproben von über 700 MS-Patienten und mehr als 5.300 gesunden Kontrollpersonen. Bei 97,9 Prozent der MS-Patienten waren die charakteristischen Antikörper nachweisbar, aber nur bei 77,9 Prozent der Kontrollgruppe.
Bei Personen mit kontinuierlich hohen Antikörperspiegeln wurde die MS-Diagnose nach der EBV-Infektion deutlich früher als bei anderen Betroffenen gestellt. Die Studie ergab zudem, dass diese Antikörper bereits neun Monate nach einer EBV-Infektion messbar sind – lange bevor andere Biomarker für Nervenschäden ansteigen.
Zusammenhang zwischen Epstein-Barr-Virus und Multipler Sklerose
Das Epstein-Barr-Virus gilt seit Längerem als wichtiger Faktor bei der Entstehung von MS. Nahezu alle Menschen (90 bis 95 Prozent) infizieren sich im Laufe ihres Lebens mit diesem Virus, das dann lebenslang im Körper verbleibt. Die Infektion verläuft oft unbemerkt, kann aber auch als Pfeiffersches Drüsenfieber symptomatisch werden.
Dies könne bei manchen Menschen zu einer fehlgeleiteten Immunreaktion führen, bei der sich das Immunsystem gegen körpereigene Strukturen im Gehirn richtet.
Früherkennung könnte Krankheitsverlauf positiv beeinflussen
Die Früherkennung durch den neuen Bluttest könnte den Krankheitsverlauf bei MS-Patienten entscheidend verbessern. "So wäre es möglich, diese Personen so früh zu untersuchen und zu behandeln, dass der Ausbruch der MS verzögert oder vielleicht sogar verhindert werden kann", sagt Co-Studienleiter Paulus Rommer von der Universitätsklinik für Neurologie der MedUni Wien.
Empfehlungen der Redaktion
Thomas Berger, Leiter der Universitätsklinik für Neurologie der MedUni Wien, schlägt vor: "Aufgrund unserer Ergebnisse stellen wir ein Screening von Bevölkerungsgruppen mit erhöhtem MS-Risiko – etwa nach durchgemachtem Pfeifferschem Drüsenfieber – zur Diskussion."
Bevor der Test in die klinische Praxis eingeführt werden kann, sind allerdings weitere Studien nötig. Die Forscher planen bereits prospektive Untersuchungen mit größeren Patientenzahlen, um die Ergebnisse zu bestätigen und den Test weiter zu optimieren. (bearbeitet von sav)
Verwendete Quellen
- nature.com: Early identification of individuals at risk for multiple sclerosis by quantification of EBNA-1381-452-specific antibody titers
- meduniwien.ac.at: Erster Test zur Früherkennung von Multipler Sklerose entwickelt
- scinexx.de: Bluttest zur MS-Früherkennung entwickelt
- dmsg: Was ist Multiple Sklerose (MS)?