Mit scharfer Kritik an der Bundesregierung und klaren Reformvorschlägen meldet sich Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) zu Wort: Er warnt vor einem drohenden Pflegenotstand, fordert grundlegende Systemänderungen – und will jungen Menschen einen verpflichtenden Sozial- oder Wehrdienst zumuten.

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Der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) spricht sich für die Einführung eines verpflichtenden Wehr- oder Sozialdienstes für junge Männer und Frauen aus. Dieser sollte neun Monate dauern und letzterer könnte die Personalnot in der Pflege lindern, erklärte er im APA-Interview. Während er mit der Zusammenarbeit in der neuen rot-grünen Landesregierung nach 100 Tagen äußerst zufrieden ist, agiere die Dreier-Koalition auf Bundesebene "fantasielos".

Im Burgenland laufe die Umsetzung der 71 Pflegestützpunkte, die Anstellung pflegender Vertrauenspersonen wurde bereits ausgeweitet und im neuen Regierungsprogramm sind unter anderem zwei Demenzzentren im Nord- und Südburgenland vorgesehen. Die schwarz-rot-pinke Bundesregierung hingegen lasse es zu, dass Österreich auf eine "Drei-, Vier-Klassenmedizin und -pflege" zusteuere. Und sie lasse zu, dass private Unternehmen staatliche Kernbereiche übernehmen: "Es wird ein böses Erwachen geben in der Gesundheit und Pflege." Der ÖVP attestierte er dabei, lediglich im Interesse der Wirtschaft zu agieren und die SPÖ sei "noch nicht ausreichend in der Lage, Lösungen anzubieten und Veränderungen durchzusetzen", so Doskozil.

Pflege-Personalproblem mit Sozialdienst lösen

Der Landeshauptmann will über einen verpflichtenden Wehr- oder Sozialdienst für alle diskutieren: "Das wäre eine wichtige Reform gewesen." Durch einen Schwerpunkt in der Pflege "hätte man ein irrsinniges Personalpotenzial abrufen können". Den derzeit sechs Monate dauernden Präsenzdienst sollte man auf neun Monate ausweiten und analog dazu den Sozialdienst einführen - beides sowohl für Burschen als auch junge Frauen, mit dem Ziel, dass so manche dann auch in der Pflege bleiben.

Kein gutes Haar ließ Doskozil an der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), deren Abschaffung er bereits in der Vergangenheit gefordert hatte: "Ich weiß nicht, wozu man die noch braucht." Ob es um einheitliche Vertragssituationen für Ärzte gehe oder das unterschiedliche Leistungsspektrum und die gesamte Gesundheitssteuerung: "Ich bin der Meinung, all das, was die ÖGK machen sollte, sollen die Bundesländer selbst machen." Im Kreise der Landeshauptleute ließen sich diese Fragen besser klären, zeigte sich Doskozil überzeugt: "Das System würde besser funktionieren, aber zu diesen Reformschritten ist man nicht bereit."

Kritik übte er auch an den Einsparungsplänen der Bundesregierung, bei denen es sich lediglich um "plakative Überschriften" handeln würde, wenngleich es nachhaltige Strukturänderungen bräuchte. Dass das Finanzministerium bei Markus Marterbauer in roter Hand ist, begrüßt Doskozil, auch wenn dieser nun ein Sparbudget zu verantworten hat: "Ich bin Fan davon, dass man Kompetenzen wahrnimmt und Dinge umsetzt." Der Spielraum eines Finanzministers sei aber in einer Koalition begrenzt, verwies er etwa auf die Lösung bei den Vollspaltenböden: "Das ist kein Kompromiss." Hierbei handle es sich hingegen um eine ÖVP-Position, die die SPÖ zu verkünden gehabt habe.

"Gemeindepaket" könnte vor dem Sommer beschlossen werden

Die Beziehung zur ÖVP auf Landesebene hingegen sei aktuell "wesentlich besser geworden". Ein Gespräch mit deren neuem Landesparteiobmann Christoph Zarits habe es bereits gegeben. Mit der ÖVP verhandelt Doskozil derzeit auch das "Gemeindepaket" zur Entlastung der Kommunen, in Zuge dessen das Land den Burgenländischen Müllverband übernehmen will. Die hierzu in Auftrag gegebenen Bewertungen sind noch offen, der Landeshauptmann erhofft sich jedoch einen Beschluss des Pakets vor dem Sommer.

Einsparungen sind auch seitens des Landes notwendig, daher ist das Personalbudget bei 250 Millionen Euro eingefroren und es gebe einen Aufnahmestopp. Die gesamte IT werde zusammengelegt und die Kulturabteilung könnte mit den Kulturbetrieben (KBB) zusammengeführt werden. "Das Zeitfenster ist ein gutes, um die Verwaltung noch effizienter zu machen", so Doskozil. Prüfen lassen möchte der Landeshauptmann Verfassungsklagen im Bereich der Pensionen, gegen die neue Frist bei den Vollspaltenböden und die Übergewinnsteuer für Energieversorger - "weil es hier keine Entlastung für die Bürger gibt".

Rot-Grün im Land "auf Augenhöhe"

Nach fünf Jahren roter Alleinregierung arbeitet die SPÖ in der Landesregierung seit 100 Tagen mit den Grünen zusammen. Ähnlich wie Stellvertreterin Anja Haider-Wallner zuletzt im APA-Interview sprach Doskozil von einer "sehr wertschätzenden, mittlerweile freundschaftlichen" Zusammenarbeit "auf Augenhöhe". Auch schwierige Themen würden offen angesprochen und es finde sich immer eine Lösung.

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Den Grünen sei etwa klar gewesen, dass der Bau des Spitals in Gols in der Nähe des Naturschutzgebiets ein wesentlicher Punkt für das Zustandekommen der Koalition sei. "Mir war bewusst, dass ein Krankenhaus in dieser Region ein Bau sein muss, der dort rein passt. Daher waren wir gar nicht so weit entfernt." Dass die Grünen als wesentlich kleinerer Partner auch die Funktion der Landeshauptmann-Stellvertreterin bekamen, sei ein "Zeichen der Wertschätzung".

Kein zu großes Thema sei derzeit die Migration und die Zahl der Asylwerber rückläufig. Die Zurückweisungen an der Grenze zu Deutschland hält Doskozil nicht für zielführend und schon gar nicht für eine Lösung, um Migration in den Griff zu bekommen: "Mich überrascht, wie man mit solchen Banalitäten Wahlen gewinnt." Diese Maßnahme sei viel eher ein "Zeichen der Hilflosigkeit". Im Zuge der Schengenerweiterung um Rumänien und Bulgarien hätte sich die Gelegenheit geboten, in der Türkei Verfahrenszentren aufzubauen: "Diese Chance haben wir vertan. Das wäre ein Riesenwurf gewesen." (APA/bearbeitet von dad)