Veruntreuung in Millionenhöhe steht im Raum. Betroffen ist die bereits aufgelöste, rechte Europaparlamentsfraktion ID. Für Parteien wie der AfD und den Rassemblement National könnte es teures Nachspiel geben.
Die mittlerweile aufgelöste Rechtsaußen-Fraktion Identität und Demokratie (ID) im Europaparlament steht nach Medienberichten unter dem Verdacht der Veruntreuung von EU-Geldern. Der Schaden betrage für die Jahre 2019 bis 2024 etwa 4,3 Millionen Euro, berichteten die Wochenzeitung "Die Zeit" und die Tageszeitung "Le Monde" und deren Partner sowie das ARD-Magazin "Kontraste" nach gemeinsamen Recherchen. Es könnte sich um einen der größten Finanzskandale des Europa-Parlaments handeln.
Das Geld stammte demnach aus einem Haushaltstopf, aus dem die Fraktionen Dienstleister für ihre Arbeit im Parlament zahlen sollen. Profitiert haben sollen hingegen "politische Buddys" der ID-Fraktion, wie "Die Zeit" schreibt, darunter Unternehmen, die der AfD und der französischen Partei Rassemblement National (RN) nahestanden. Grundsätzlich gilt: Spenden ohne dezidierten Bezug zur EU oder der Arbeit der Fraktion im Parlament sind laut den Parlamentsregeln grundsätzlich nicht zulässig. Die EU-Verwaltung fand bei 80 überprüften Zahlungen "kein einziges" dieser Kriterien erfüllt.
RN-Vorsitzende Le Pen bereits wegen Veruntreuung verurteilt
Die RN-Fraktionsvorsitzende Marine Le Pen war erst im März gemeinsam mit mehreren weiteren prominenten Parteimitgliedern wegen der Veruntreuung von EU-Geldern in Höhe von 4,5 Millionen Euro verurteilt worden. Es dränge sich der Eindruck auf, dass es "für diese politische Richtung ein Sport ist, die Europäische Union zu betrügen", zitierte "Die Zeit" den Vorsitzenden des Haushaltskontrollausschusses im EU-Parlament, Niclas Herbst (CDU). Herbst kündigte eine Strafanzeige bei der Europäischen Staatsanwaltschaft an.
Die Vorwürfe kamen auf, nachdem die ID-Fraktion sich im Juli 2024 auflöste und deren Schlussabrechnung kontrolliert wurde. Dabei seien die Budgetprüfer auf "zahlreiche mutmaßlich rechtswidrige Transaktionen" gestoßen, schreibt "Die Zeit". Deren Bericht zeichne nach, "wie dreist und zuweilen kreativ die Ultrarechten an den Vorschriften des EU-Parlaments vorbeigewirtschaftet haben sollen".
Eine Reaktion der ID folgte laut ARD auch. Der frühere Generalsekretär der ID-Fraktion, Philip Claeys, wies die Vorwürfe zurück. Ein externer Wirtschaftsprüfer hätte die Ausgaben der ID-Fraktion stets geprüft und für in Ordnung befunden. In der Tat wurden die Finanzberichte der Fraktion von belgischen Wirtschaftsprüfern als korrekt bewertet. Die Fraktion hatte ihre Spenden darin auf Grundlage eines "Artikel 68" verbucht.
Das Kuriose – solch ein Artikel existiert gar nicht. Deshalb bezeichnet die Parlamentsverwaltung diesen Artikel in ihrem Untersuchungsbericht als "so called article 68". Auf ARD-Anfrage wollte sich die belgische Wirtschaftsprüferin nicht zu den Vorgängen äußern.
ID umging Ausschreibungspflicht
Die ID-Fraktion steht den Berichten zufolge im Verdacht, die Pflicht zu Ausschreibungen missachtet und befreundete Firmen bezahlt zu haben. So soll eine Medienagentur aus Fulda, deren Besitzer ein AfD-Lokalpolitiker ist, insgesamt 64.000 Euro erhalten haben, ohne dass andere Angebote eingeholt worden seien. Die AfD-Abgeordnete Christine Anderson, deren Website von dem Fuldaer Unternehmen gestaltet wurde, wies die Vorwürfe nach Angaben der "Zeit" zurück.
Deutlich höhere Beträge von insgesamt mehr als drei Millionen Euro flossen den Medienrecherchen zufolge an Unternehmen, welche dem französischen RN nahestehen. Auch in diesen Fällen sei auf Ausschreibungen verzichtet worden, auch seien Beträge ohne erkennbare Gegenleistung gezahlt worden.
Schließlich habe die ID-Fraktion auch noch insgesamt 700.000 Euro an diverse Vereine und Initiativen verteilt, deren Arbeit keine Verbindung zum EU-Parlament gehabt habe. Nach Informationen der "Zeit" spendete die Fraktion etwa 3.250 Euro für misshandelte Windhunde aus den französischen Alpen sowie 1.100 Euro für streunende Katzen im italienischen Latium. In beiden Fällen habe es persönliche Verbindungen zu Parteifreunden gegeben.
Nach Angaben von "Le Monde" soll der interne Prüfbericht in Kürze an den Ausschuss zur Haushaltskontrolle gehen. "Die Verwaltung geht davon aus, dass ein Gesamtbetrag von mindestens 4.333.635,78 Euro von der ID-Fraktion unrechtmäßig ausgegeben wurde", heißt es in dem Bericht. Dies könne "Korrekturmaßnahmen" zur Folge haben.
Finanzskandal könnte sich noch ausweiten
Falls es dazu kommen sollte, müsste zuerst die Rechtsnachfolge geklärt werden: Die ID-Fraktion war 2024 auseinander gebrochen, nachdem die AfD-Abgeordneten ausgeschlossen worden waren. Grund für den Ausschluss waren radikale Äußerungen des damaligen AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah. Der RN gehört inzwischen der Fraktion Patrioten für Europa an, die AfD gehört der Fraktion Europa Souveräner Nationen an.
Vielleicht kommt es für die betroffenen Parteien sogar noch dicker. Laut den ARD-Recherchen gibt es Hinweise, dass auch schon vor 2019 nicht immer alles ganz sauber abgelaufen ist. Zudem könnte die Summe von 4,3 Millionen Euro noch steigen, denn die Prüfer des EU-Parlaments haben offenbar nicht sämtliche Zahlungen der ID-Fraktion erneut geprüft. (the)
Verwendete Quellen
- Material der Agence France-Presse (afp)
- Tagesschau: Neuer Finanzskandal im Europaparlament?