Mitglieder lateinamerikanischer Kartelle infiltrieren die Internationale Legion in der Ukraine, um moderne Drohnentechnik und Kriegstaktiken zu studieren. Die Risiken reichen bis in US-Sicherheitsinteressen an der Grenze zu Mexiko.

Eine Analyse
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Er wusste einfach zu viel. Zu viel über Drohnen und deren Funktion. Das machte ihn auffällig. Ukrainische Geheimdienste verdächtigen einen Mann, Deckname "Águila-7", Mitglied des mexikanischen Drogenkartells "Los Zetas" zu sein. Offenbar kam er, um sich mit ukrainischer Drohnentechnologie vertraut zu machen, bei der die Ukraine aktuell sehr weit vorne ist. Und er ist wohl nicht der einzige.

Der ukrainische Inlandsgeheimdienst geht davon aus, dass mehrere lateinamerikanische Freiwillige die Internationale Legion der Armee des Landes infiltriert haben. Das auf Geheimdienste spezialisierte Magazin "defensenews.com" berichtete unter Verweis auf einen Bericht des französischen Fachportals "intelligenceonline.fr" darüber. Demnach streben sie eine fortgeschrittene Drohnenausbildung an, um sie später gegen Rivalen und Sicherheitskräfte in ihren Heimatländern einzusetzen. Der mexikanische Geheimdienst CNI habe den ukrainischen Behörden wohl einen Tipp gegeben.

Für die Ukraine ist der Fall heikel. Denn was nach einem Einzelfall klingt, könnte weitreichende Folgen haben – für die Machtkämpfe in Mexiko, aber auch das Schlachtfeld in Europa.

Narcos in der Ukraine – um Wissen abzuschöpfen

Nathan Jones ist Professor für Sicherheitsstudien am College of Criminal Justice der Sam Houston State University in den USA. Sein Fachgebiet: organisierte Kriminalität und Drogenkartelle in Mexiko. Er sagt: "Es ist nicht ungewöhnlich, dass mexikanische Kartelle sich gezielt Taktiken, Techniken und Vorgehensweisen von anderen Organisationen abschauen." Oft gehe der größte Strom solcher Methoden tatsächlich von der Regierung an die Kartelle. El Mencho, der Chef des Jalisco-Kartells (Cartel de Jalisco Nueva Generación), war vor seiner kriminellen Karriere etwa Bundespolizist im mexikanischen Bundesstaat Jalisco.

Auch bei Los Zetas ist klar: Die meisten Mitglieder wurden ursprünglich aus mexikanischen Spezialeinheiten rekrutiert. "Auch sie brachten ihr Training, ihre Taktiken und Verfahren mit", sagt Jones. "Viele Kartelle, insbesondere in der Region Tierra Caliente, sind ebenfalls dafür bekannt, Mitglieder aus solchen Hintergründen zu rekrutieren." Auch Söldner würden demnach angeheuert. Die Region Tierra Caliente, also "Heißes Land", besteht aus den mexikanischen Bundesstaaten Michoacán, Guerrero und Estado de México.

Drogenkrieg in Mexiko: Viele Parteien, viele Kämpfe

Hintergrund ist der sogenannte mexikanische Drogenkrieg.

Die USA sind einer der größten Drogenmärkte der Welt – und Mexiko seit Jahrzehnten zentraler Lieferant. Die Kartelle sind hochgradig organisiert und längst nicht mehr auf Drogenhandel beschränkt. Sie erpressen Unternehmen, drängen in die Avocado-Industrie, betreiben Wasserdiebstahl, Menschenschmuggel und vieles mehr.

Der Konflikt spielt sich nicht nur zwischen Kartellen ab, sondern auch im Verhältnis zum Staat. Mexiko leidet seit jeher unter Korruption, sagt Jones. Viele ehrliche Polizisten würden von einer kritischen Masse korrupter Kollegen überlagert. Ex-Präsident Andrés Manuel López Obrador habe zunächst auf eine Politik der "Umarmungen statt Kugeln" gesetzt. Seine Nachfolgerin Claudia Sheinbaum sei – auch unter massivem Druck aus Washington – aggressiver vorgegangen und habe etwa hochrangige Menschenhändler per Zwangsausweisung an die USA überstellt.

Und die USA versuchen, ihre Grenze zu Mexiko vor Schmuggel aller Art zu schützen. Vier große US-Regierungsbehörden haben dem Experten zufolge entlang der Grenze die Autorisierung dafür: Das Verteidigungs-, das Energie-, das Heimatschutz- und das Justizministerium. Sie sind laut Jones in der Lage, Signale von Drohnen zu stören oder an Drohnenabwehrmaßnahmen teilzunehmen. US-Verteidigungsminister Pete Hegseth hat vor wenigen Tagen eine Task Force zur Drohnenabwehr angekündigt.

Mittlerweile gibt es eine Liste an mexikanischen Kartellen, die als ausländische Terrororganisationen eingestuft wurden. Die "New York Times" berichtet, US-Präsident Donald Trump habe eine Anweisung an das Pentagon unterzeichnet, mit militärischer Gewalt gegen diese Drogenkartelle vorzugehen. Seither könnten diese versucht sein, Drohnen aggressiver gegen die USA einzusetzen. Der "Tagesspiegel" zitiert einen Experten, dass die USA bereits eine Offensive gegen die Kartelle vorbereiten könnten, unterstützt von der mexikanischen Regierung.

Erfahrungen aus der Ukraine können Lage tödlicher machen

Wie passt nun aber die neue Entwicklung in der Ukraine damit zusammen? Nathan Jones sagt: "Die Lage könnte tödlicher werden, vor allem in Tierra Caliente." Dort gebe es echte Schlachtfelder, wo Kartelle ganze Polizeieinheiten überfallen oder Bauern erpressen. Dort existierten parallele Machtstrukturen: Offizielle Regierungen und Kartelle teilten sich die Kontrolle. Hier sei der Einsatz von Drohnen weit verbreitet.

An der Grenze dienen Drohnen meist zur Überwachung. Sie beobachten die Polizei und suchen Routen für Drogen. Solche Einsätze schaffen es kaum in die Medien. Schlagzeilen machen hingegen Bombenangriffe mit Drohnen.

Hier kommt die diplomatische Ebene ins Spiel: Dass die Ukraine momentan besonders sensibel reagiert, wenn es um US-Waffen geht, sei auffällig, sagt Jones. Denn in der Vergangenheit habe es Gerüchte gegeben, Waffen aus der Ukraine würden in die Hände mexikanischer Kartelle gelangen – und dort gegen die mexikanische oder US-Regierung eingesetzt werden. "Zwar haben sich diese Berichte als falsch herausgestellt und waren oft Teil ausländischer Propaganda, doch offenbar wollen die Ukrainer verhindern, dass der Eindruck entsteht, ihre Streitkräfte könnten zur indirekten Bedrohung der nationalen Sicherheit der USA werden."

Denn die sind der wichtigste Partner, wenn es um Waffenlieferungen und nachrichtendienstliche Unterstützung geht. Viele der wichtigsten Waffensysteme stammen aus den Vereinigten Staaten – direkt oder über europäische Vermittler. "Die Ukraine weiß, dass ihr Image und die Wahrnehmung ihrer Streitkräfte für Washington entscheidend sind", sagt Jones.

Ukraine sieht Mexiko in der Verantwortung

First-Person-View-Drohnen, die im Krieg in der Ukraine seit zwei Jahren alltäglich sind, werden inzwischen auch in Mexiko eingesetzt – und das nicht nur zur Aufklärung. "Wir sehen, wie Drohnen genutzt werden, um Gebiete zu bombardieren und Binnenvertriebene zu gefährden, insbesondere in der Region Tierra Caliente", sagt Jones.

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Brisant würde es, wenn nun auch die Taktiken, Techniken, Vorgehensweisen und Innovationen vom ukrainischen Schlachtfeld in Mexiko Einzug hielten. Dazu gehört etwa die neueste Entwicklung: Glasfaserdrohnen. Sie nutzen keine Funkverbindung, sondern Glasfaserkabel und können deshalb nicht wie üblich gestört werden. "Das wäre dann sehr besorgniserregend." Bisher seien diese in Mexiko aber noch nicht wirklich in Erscheinung getreten.

Wie aber könnte verhindert werden, dass mexikanische Kartelle vom Krieg in der Ukraine lernen? Der ukrainische Geheimdienstexperte Dmytro Schmajlo sieht die Verantwortung für eine mögliche Prävention eher bei der mexikanischen Regierung. Im Gespräch mit dem "Tagesspiegel" sagte er: "Unsere Priorität ist die Verteidigung der Ukraine. Dass diese Menschen gar nicht erst herkommen, ist in erster Linie die Verantwortung ihrer Heimatländer. Wir brauchen sie als Verteidiger, alles andere ist zweitrangig und kann nach Kriegsende besprochen werden."

Über den Gesprächpartner

  • Nathan P. Jones ist Professor für Sicherheitsstudien am College of Criminal Justice der Sam Houston State University und Autor des Buches "Mexico's Illicit Drug Networks and the State Reaction". Seine Forschungsgebiete umfassen organisierte Kriminalität in Mexiko, Drogenhandelsorganisationen, soziale Netzwerkanalyse, Grenzsicherheit und die politische Ökonomie der inneren Sicherheit.

Verwendete Quellen