Die ukrainische Gegenoffensive ist das Thema bei Maybrit Illner am Donnerstag (15. Juni). Die Talkrunde ist sich einig, dass mit keinem schnellen Erfolg zu rechnen ist und sich der Krieg noch lange hinziehen wird. Oberst André Wüstner befürchtet, dass "die Zeitenwende verhungern" könnte, wenn nicht Milliarden in die Bundeswehr gesteckt werden.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Christian Stüwe dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Seit einigen Tagen läuft die Gegenoffensive der ukrainischen Armee, die sich erbitterte Kämpfe mit den russischen Invasoren liefert. Während die Ukrainer die Rückeroberung einzelner Ortschaften vermelden, präsentieren die Russen Bilder von zerstörtem westlichen Militärgerät, darunter auch deutsche Leopard-2-Panzer.

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Das war das Thema bei "Maybrit Illner"

"Schwierige Offensive – Putins Stärke unterschätzt?", fragte deshalb Maybrit Illner die Gäste in ihrer ZDF-Talkshow am Donnerstagabend. Und die waren sich alle einig, dass mit einem schnellen Sieg einer der beiden Kriegsparteien nicht zu rechnen ist. Stattdessen gelte es weiterhin, die Ukraine massiv zu unterstützen.

Das waren die Gäste

  • Lars Klingbeil (SPD): "Die Bilder sind grausam, aber sie gehören zu einem Krieg, den wir alle nicht wollten, leider dazu", sagte der Parteivorsitzende der SPD. Es gehe nun darum, die Ukraine so auszustatten, dass sie die Gegenoffensive erfolgreich bestreiten könne. Klingbeil ließ keine Zweifel daran, dass die Sicherheitspolitik auch in den nächsten Jahren ein bestimmendes Thema bleiben wird. "Die Frage der Landes- und Bündnisverteidigung ist eine Normalität, die wieder zurückgekehrt ist", sagte er.
  • Roderich Kiesewetter (CDU): "Wir sollten alle begreifen, dass dieser Krieg ein Marathonlauf ist", stellte auch der frühere Bundeswehr-Oberst klar. Die Ukraine erleide furchtbare Verluste in der Zivilbevölkerung, erklärte Kiesewetter, der von "einem Terrorangriff gegen die Existenz der Ukraine" sprach. "Die Soldaten tun mit westlicher Unterstützung alles, um ihr Land zu befreien", sagte der CDU-Politiker: "Aber wir haben auch ein halbes Jahr verloren, weil wir nach der Offensive im Herbst die Unterstützung gestoppt haben."
  • Wolfgang Ischinger: "Das erinnert an Bilder, die wir aus dem Geschichtsbuch, aus dem Zweiten Weltkrieg kennen", beschrieb der frühere Diplomat und Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) die Lage. Alles, was derzeit aus Moskau zur militärischen Lage vermeldet werde, könne als Desinformation verbucht werden, sagte Ischinger. "Aber ich sehe keine Anzeichen, dass Putin die Luft ausgeht", erklärte er.
  • Nicole Deitelhoff: "Mir wäre viel wichtiger, dass wir hinreichend Munition und Flugabwehrsysteme in die Ukraine bekommen, anstatt jetzt über F-16-Jets zu debattieren, weil das jetzt wichtiger ist", sagte die Politikwissenschaftlerin und Direktorin der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). Einen Nato-Beitritt der Ukraine hält Deitelhoff zum jetzigen Zeitpunkt für keine gute Idee, da dieser auch für Uneinigkeit unter den Nato-Mitgliedern sorgen könnte.
  • Oberst André Wüstner: "Die brutalen Bilder, die man jetzt sieht, werden noch brutaler werden", sagte der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes. Die Russen hätten sich eingegraben, Stellungen befestigt, erklärte Wüstner, die Gegenoffensive könne sich über Wochen und Monate hinziehen. "Aber die Ukraine gewinnt die Initiative zurück", sagte er.
  • Alica Jung: Die ZDF-Reporterin wurde aus Saporischja zugeschaltet und berichtete von nächtlichen Raketenangriffen und befreiten Dörfern. In der Stadt seien derzeit fast nur Frauen anzutreffen, erzählte Jung, da sich die meisten Männer an der Front befinden.

Das war der Moment des Abends

Wolfgang Ischinger und Nicole Deitelhoff gaben düstere Prognosen zum weiteren Kriegsverlauf ab. Illner fragte die Politikwissenschaftlerin zunächst, ob Deutschland noch mehr tun könne, um die Ukraine zu unterstützen. Deitelhoff bejahte dies und verwies auf die Möglichkeit, die Produktionskapazitäten zu erhöhen.

"Aber wir reden nicht nur über Waffensysteme oder Munition, sondern auch über die politische und ökonomische Unterstützung, die jetzt schon anläuft. Und die wird uns in der Tat noch Jahre und Jahrzehnte begleiten", stellte Deitelhoff klar: "Statistisch betrachtet ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Krieg noch Jahre dauern wird, relativ hoch."

Auch Wolfgang Ischinger zeigte sich pessimistisch. "Das Ende dieses Krieges wird zweifellos nicht ein schöner Friedensvertrag sein, bei dem sich alle die Hände geben und der Krieg ist vorbei", sagte der Ex-Diplomat. Viel mehr rechnet Ischinger mit einem "schmutzigem Waffenstillstand", bei dem sich beide Seiten immer wieder attackieren, so wie es vor dem Krieg schon auf der Krim der Fall war.

Das war das Rede-Duell des Abends

Die Sendung neigte sich schon dem Ende entgegen, als der Ton etwas energischer wurde. Oberst Wüstner redete sich angesichts des Zustands der Bundeswehr in Rage und adressierte seine Kritik an Lars Klingbeil als Vertreter der Regierung. Erstmals in der Geschichte dieses Landes habe sich mit Boris Pistorius (SPD) ein Verteidigungsminister öffentlich in eine Fraktionsveranstaltung gestellt und gesagt, dass Deutschland nicht verteidigungsfähig sei, erzählte der Offizier. Doch statt den von Pistorius geforderten zusätzlichen zehn Milliarden Euro für den Verteidigungshaushalt soll der Verteidigungsminister laut Wüstner mit zwei Milliarden Euro jährlich abgespeist werden.

"Da kriege ich Puls", ärgerte sich Wüstner: "Dann wird die Zeitenwende, die Olaf Scholz angesprochen hat, verhungern. Deshalb noch mal meine Bitte, Herr Klingbeil: Unterstützen Sie den Verteidigungsminister, er ist in Kriegszeiten von enormer Bedeutung. Sonst wird das nichts mit der Zeitenwende."

Der SPD-Chef stellte klar, dass er Pistorius selbstverständlich unterstützen würde und verwies auf das bereitgestellte Sondervermögen für die Bundeswehr. "100 Milliarden Euro sind eine Riesensumme, die jetzt auch dabei hilft, viele Versäumnisse der vergangenen Jahre auszumerzen", sagte Klingbeil und schob die Verantwortung für den Zustand der Bundeswehr auf die Vorgänger-Regierung.

An Schuldzuweisungen hatte Oberst Wüstner aber kein Interesse, er verwies auf Filmausschnitte aus der Ukraine, die Folter und Vergewaltigungen zeigen. Wenn man diese Bilder sehen würde, sei klar, warum massiv in die Sicherheitsarchitektur investiert werden müsse. "Wir müssen nachholen, was wir in den letzten 30 Jahren eingespart haben. Hunderte von Milliarden", forderte Wüstner ein entschlossenes Handeln.

So hat sich Maybrit Illner geschlagen

Die Talkmasterin setzte mit gelbem Pullover und blauem Nagellack ein Statement passend zum Thema der Sendung. Illner hatte mit der Moderation der sachlich diskutierenden Runde keine Probleme, nur einmal unterbrach sie Klingbeil ziemlich harsch, als dieser ein wenig abschweifte und von seiner China-Reise berichten wollte. Illner machte einen guten Job und führte ruhig durch die Sendung.

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Das war das Ergebnis bei "Maybrit Illner"

Die aktuelle Offensive wird keine schnelle Entscheidung bringen, der Krieg wird noch lange dauern, so lautete der Tenor. Deshalb müsse die Ukraine unbedingt weiter massiv unterstützt werden und auch in Deutschland in den Verteidigungshaushalt investiert werden, vertraten alle Gäste die gleiche Meinung. Selten war sich eine Talkrunde so einig.

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