Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj war für wenige Stunden in Deutschland zu Besuch. Bundeskanzler Merz und Selenskyj erläuterten im Nachgang, auf welche militärische Unterstützung die Ukraine aus Deutschland bauen kann. Eine Taurus-Lieferung gibt es nicht – zumindest vorerst.

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Deutschland wird die Ukraine dabei unterstützen, ihre Streitkräfte mit weitreichenden Raketen aus eigener Produktion aufzurüsten. Der Marschflugkörper Taurus bleibt dafür aber zunächst in Deutschland geparkt. Das ist das Ergebnis eines Kurzbesuchs des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj von nur wenigen Stunden in Berlin.

Was ist dabei genau vereinbart worden?

Deutschland unterstützt die Produktion mehrerer weitreichender Waffensysteme, die in der Ukraine entwickelt wurden und werden. Es geht in erster Linie um die Finanzierung der Rüstungsprojekte. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sagte aber, dass auch eine Zusammenarbeit zwischen Rüstungsunternehmen beider Länder angestrebt werde, die sowohl in der Ukraine als auch in Deutschland stattfinden könne. Weitere Details werde man bis auf Weiteres nicht nennen.

Um welche Art von Waffen geht es?

Es geht um Marschflugkörper und andere Raketen, die Ziele in einer Entfernung von mehreren hundert Kilometer treffen können. Die Ukraine produziert solche Waffen bereits selbst. Die größte Zerstörungskraft hat die Anti-Schiffs-Rakete R-360 Neptun, mit der 2022 der russische Kreuzer "Moskwa" im Schwarzen Meer versenkt wurde.

Die Weiterentwicklung Neptun-MD hat nach ukrainischen Angaben eine Reichweite von 1.000 Kilometern. Der Marschflugkörper wird mittlerweile auch gegen Ziele an Land eingesetzt und traf im März die Raffinerie in der russischen Stadt Tuapse am Schwarzen Meer.

Gibt es noch andere Waffen?

Die Ukraine verfügt außerdem über die eigene Rakete Hrim-2 (deutsch: Donner-2). Mit 450 Kilometern fliegt sie etwas weniger weit als der Taurus. Die Rakete Korschun und andere Waffen verschiedener Reichweiten sind in der Entwicklung.

Wie schnell kann die deutsche Waffenhilfe wirken?

Das Verteidigungsministerium teilte mit, dass "noch in diesem Jahr eine erhebliche Stückzahl von weitreichenden Waffen" produziert werden könne. "Die ersten dieser Systeme können in den ukrainischen Streitkräften bereits in wenigen Wochen zum Einsatz kommen." Da die Systeme bereits in den ukrainischen Streitkräften eingeführt seien, bedürfe es keiner zusätzlichen Ausbildung.

Wie sollen die Waffen eingesetzt werden?

Ohne Reichweitenbegrenzung und damit auch gegen russisches Territorium. Merz hatte schon am Montag deutlich gemacht, dass es aus deutscher Sicht keinerlei Beschränkungen mehr gebe.

Haben auch westliche Bündnispartner weitreichende Waffen geliefert?

Ja, drei Länder haben geliefert: Großbritannien und Frankreich haben die baugleichen Marschflugkörper Storm Shadow und Scalp mit einer Reichweite von mehr als 250 Kilometern bereitgestellt. Die USA haben ATACMS-Raketen mit einer Reichweite von etwa 300 Kilometern geliefert.

Warum hat Deutschland nicht geliefert?

Selenskyj hat zwar schon vor zwei Jahren bei der damaligen Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den Marschflugkörper Taurus mit einer Reichweite von 500 Kilometern beantragt. Scholz wollte ihn aber nicht liefern, weil er befürchtete, dass Deutschland dadurch in den Krieg hineingezogen wird.

Wie steht Merz zu Taurus?

Als Oppositionsführer hatte CDU-Chef Merz der Ukraine die Präzisionswaffe, mit der sogar Ziele in Moskau getroffen werden könnten, in Aussicht gestellt. Seitdem er eine Regierung mit der SPD führt, ist er zurückhaltender geworden und hat zudem veranlasst, dass über einzelne Waffensysteme nicht mehr öffentlich geredet wird. Eine Einigung mit dem Koalitionspartner auf eine Taurus-Lieferung ist schwer vorstellbar. Die Produktionshilfe für die Ukraine soll nun der Weg aus dem Dilemma sein.

Welche Argumente gibt es noch für diesen Weg der Waffenhilfe?

Merz verweist darauf, dass die Ausbildung ukrainischer Soldaten zur Bedienung von Taurus mehrere Monate dauern würde. "Wenn wir ihn in einem halben Jahr oder in einem Jahr liefern würden, würde es der Ukraine heute nichts nutzen."

Die langen Ausbildungszeiten wurden auch schon zu Anfang des Krieges als Argument genannt, als die damalige Bundesregierung die Leopard-2-Panzer nicht liefern wollte. Später war das dann auf einmal kein Thema mehr und die Ausbildung ging auch schneller als ursprünglich angegeben.

Hat sich die Taurus-Debatte damit erledigt?

Nein. Die Ukraine dringt weiter auf eine Lieferung dieser Waffe. Auf die Frage, ob die ukrainische Armee weiter Taurus benötige, sagte Selenskyj auf der Pressekonferenz mit Merz: "Was Ihre Frage betrifft bezüglich weitreichender Waffen, die Deutschland herstellt oder auch andere Länder herstellen – natürlich brauchen wir das, natürlich werden wir dieses Thema diskutieren."

Wird Merz nachgeben?

Das ist zumindest in absehbarer Zeit eher unwahrscheinlich. Mit der Unterstützung der ukrainischen Produktion nimmt er den Druck aus der Taurus-Debatte. Und gegen den Willen seines Koalitionspartners würde er die Marschflugkörper nicht liefern. Vom Tisch nehmen wird er diese Option aber nicht. Er wird Russland darüber im Ungewissen lassen. Auf die Frage, ob Taurus noch geliefert werden könnte, sagte Merz im ZDF: "Natürlich ist das im Bereich des Möglichen."

Was kann Taurus, was die ukrainischen Waffen nicht können?

Nach Ansicht des Militärexperten Fabian Hoffmann können 80 bis 90 Prozent der russischen Ziele mit den ukrainischen Waffen erfolgreich bekämpft werden. Die westlichen Marschflugkörper eigneten sich vor allem für besonders stark geschützte oder vergrabene Ziele, schreibt er auf der Plattform X.

"Insbesondere Taurus eignet sich aufgrund seines hochwirksamen durchschlagenden Gefechtskopfes und seines programmierbaren Zünders hervorragend für die Zerstörung von Zielen wie der Kertsch-Brücke." Die Brücke verbindet die von Russland annektierte Halbinsel Krim mit dem russischen Festland und gilt als strategisch besonders wichtig.

Was sagt Russland zu den Merz-Äußerungen?

Kremlsprecher Dmitri Peskow warf ihm vor, mit seinen Äußerungen die Weiterführung des Krieges zu provozieren: "Das ist nichts anderes als der Versuch, die Ukrainer dazu zu zwingen, weiter zu kämpfen", sagte er zu der geplanten Hilfe für die Raketenproduktion. Berlin torpediere damit auch die Bemühungen, eine diplomatische Lösung für den Konflikt zu finden.

Wie reagiert Merz darauf?

Unbeeindruckt. Er fühlt sich dadurch eher bestätigt. "Es scheint Russland jedenfalls zu Reaktionen herauszufordern", sagte er im ZDF. An den Kreml gerichtet fügte er hinzu: "Es liegt in Ihrer Hand, allein in Ihrer Hand, den Krieg sofort zu beenden. Russland kann den Krieg heute am Tag beenden." (dpa/bearbeitet von mak)