Wenn es einen Profiteur des Krieges in der Ukraine gibt, dann sitzt er Tausende Kilometer weiter östlich: Nordkoreas Offiziere sammeln wichtige militärische Erfahrungen, auch wenn das Tausende Menschenleben kostet.
Der Krieg in der Ukraine kennt nur Verlierer: Während Russland als angreifende Macht neben den Leben Hunderttausender Soldaten auch massiv an Ansehen verloren hat, sind in der Ukraine seit 2022 nicht nur zahllose Menschen getötet, sondern auch weite Teile der Infrastruktur zerstört worden. Und die Staaten der EU sowie die USA engagieren sich militärisch mehr als ihnen lieb ist.
Doch es gibt auch einen Gewinner, auf den man nicht unbedingt sofort kommt: Nordkorea.
Der ostasiatische Ein-Parteienstaat unterstützt den russischen Angriff auf die Ukraine aktiv, hat nicht nur Munition und Waffenzubehör, sondern Schätzungen zufolge auch rund 12.000 Soldaten in die Grenzregion zwischen Russland und der Ukraine geschickt. Die Verluste gehen in die Tausende, sodass es grotesk klingen mag, Nordkorea als Profiteur des Krieges zu bezeichnen.
Kim profitiert vom Ukraine-Krieg – auch wenn seine Männer sterben
Aus Perspektive des Diktators
Gewonnen hat das diktatorische Regime an unschätzbarer Kampferfahrung, betonte Kyrylo Budanov, General beim ukrainischen Geheimdienst, zuletzt gegenüber der japanischen Zeitung "Japan Times": "Aktuell gibt es nur drei Länder in der Welt mit Erfahrung, einen Krieg entlang einer sehr langen Front zu führen, bei der praktisch alle konventionellen Mittel eingesetzt werden." Neben der Ukraine und Russland sei dies eben Nordkorea.
Warum Nordkorea überhaupt in diesem Krieg mitmacht, nicht nur in Form von Waffenlieferungen, sondern eben auch durch den Einsatz von Soldaten, erklärt sich durch die geopolitische Schwäche des Staates. Seit Ende des Kalten Krieges, als mit der Sowjetunion ein wichtiger Partner weggebrochen ist, war Nordkorea außenpolitisch weitgehend isoliert. Das Atomprogramm und schwere Menschenrechtsverletzungen haben zu harten UN-Sanktionen geführt, was dem Land den Außenhandel erschwerte.
Doch als Russland im Februar 2022 nach 2014 erneut die Ukraine angriff und diverse liberale Länder mit Sanktionen reagierten, suchte Präsident Wladimir Putin nach Partnern – und fand Kim Jong-un. Seither haben sich die Staatschefs sowie deren Regierungsmitglieder mehrmals getroffen. Als Gegenleistung für Ausrüstung und militärisches Zubehör, das Nordkorea noch aus Zeiten des Kalten Krieges herstellt, dürfte Russland unter anderem Knowhow für ein Satellitenprogramm liefern.
Neues Bündnis zwischen Nordkorea und Russland
Im Sommer 2024 wurde gar ein gegenseitiger Verteidigungspakt beschlossen. Dieser ist die Grundlage für Nordkoreas personelles Engagement beim Angriff auf die Ukraine. "Neben Belarus dürfte Nordkorea derzeit jener Staat sein, der Russland politisch am nächsten ist", sagt Vladimir Tikhonov, Professor für Koreastudien an der Universität Oslo und südkoreanischer Staatsbürger, unserer Redaktion. Nicht selten reproduziere die nordkoreanische Staatspresse eins zu eins Propaganda aus Russland.
"Mit dem Einsatz im Krieg will Kim Jong-un seinen Truppen die Möglichkeit geben, Erfahrungen im Umgang mit Drohnen und weiteren Techniken zu sammeln", erklärt Tikhonov. Der in der ehemaligen Sowjetunion geborene Forscher erwartet zudem, dass sich der Einsatz auszahlt: "Die nordkoreanische Führung ist offenbar einverstanden, wenn ihre Soldaten in der Front eingesetzt werden, solange dafür Geld fließt, Technologien transferiert werden und eben eine Art Training absolviert wird."
Für einen möglichen Konflikt mit dem verfeindeten Nachbarn Südkorea – wo zahlreiche US-Militärbasen angesiedelt sind – wäre Nordkoreas Militär insofern in einem relativen Vorteil. Dies entspricht den Beobachtungen des ukrainischen Militärs Budanov, laut dem die nordkoreanischen Soldaten zu Anfang ihres 2024 begonnen Einsatzes noch Fehler begangen hätten, die darauf schließen ließen, dass Nordkoreas Soldaten "nicht auf Kriegsführung im 21. Jahrhundert vorbereitet waren". Aber sie hätten schnell gelernt.
Nordkoreas Stärke hat regionale Bedeutung
Die Stärkung des nordkoreanischen Militärs macht nicht nur in der Ukraine oder Südkorea Sorgen, sondern auch in Japan, das ebenfalls keinen guten Draht zu Pjöngjang hat, sondern die USA zu seinen strategischen Partnern zählt. "Nordkorea hält zahlreiche Raketen bereit, die in kurzer Zeit Japan erreichen könnten, ebenso wie China", sagt Narushige Michishita, Professor für Sicherheitspolitik am Tokioter Graduate Institute for Policy Studies, auf Anfrage. "Darin besteht eine große Bedrohung". Eine, die nun noch größer werde.
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Leise Hoffnung, dass die Spannungen mit Nordkorea auch wieder abnehmen können, besteht aber dennoch. Denn wer sich mit dem Ein-Parteienstaat auseinandersetzt, kommt oft zum Schluss: Der Regierung aus Pjöngjang ist eigentlich nicht am Krieg gelegen. Sie will vielmehr die USA zu Verhandlungen zwingen, damit eines Tages die UN-Sanktionen gegen Nordkorea aufgehoben werden und sich Kim Jong-un und seine Entourage weiter unangefochten an der Spitze ihres Staates halten können.
Ein Szenario, unter dem nach 2018 neuerliche Verhandlungen zwischen den USA und Nordkorea Realität werden könnten: Ein rasches Ende des Kriegs in der Ukraine, woraufhin die Unterstützung Russlands für Nordkorea abnehmen könnte, sodass das Regime in Pjöngjang auch wieder das Gespräch suchen könnte. Allerdings, betont Moon Chung-in, emeritierter Politikprofessor von der Yonsei Universität in Seoul, gegenüber unserer Redaktion: "Der Preis für solche Verhandlungen wäre heute höher als je zuvor." Denn Nordkorea ist längst nicht mehr so isoliert, wie es einmal war.