Im März ist Musikern AnNa R. viel zu früh im Alter von nur 55 Jahren verstorben. Ein gutes halbes Jahr später erscheint am 10. Oktober posthum ihr finales Album "Mut zur Liebe". Fertiggestellt wurde das Werk von Manne Uhlig. Wir haben mit dem Kreativpartner der früheren Rosenstolz-Sängerin über den Entstehungsprozess des Albums und das musikalische Vermächtnis der Interpretin gesprochen.

Ein Interview

13 Jahre lang arbeiteten sie eng zusammen: Nach ihrer gemeinsamen Zeit bei der Band Gleis 8 fungierte Manne Uhlig als kreativer Kopf hinter der Solokarriere von AnNa R. – das erste Album "König:in" erreichte 2023 eine Top-Ten-Platzierung in den Charts. Danach begann eine Zeit, die laut Uhlig von einer "Aufbruchstimmung und Neugierde auf das, was noch kommen sollte" geprägt war.

Im Interview mit unserer Redaktion erinnert Manne Uhlig an AnNa R. und erklärt, wie das aus zehn Liedern bestehende Album finalisiert wurde – und warum dabei auf die Unterstützung durch KI verzichtet wurde.

Herr Uhlig, vor etwas mehr als einem halben Jahr verstarb Ihre langjährige Kollegin und Wegbegleiterin AnNa R. – klingen diese Worte für Sie nach wie vor unwirklich?

Manne Uhlig: Ja, absolut. Das ist immer noch nicht vollumfänglich bei mir angekommen. Und ich habe auch großen Respekt vor dem, was in mir passieren wird, wenn das Album erst veröffentlicht ist und wir die beiden Gedenkkonzerte für AnNa Mitte Oktober gespielt haben. Nach der ersten Schockstarre bin ich relativ schnell in einen Zustand des Funktionierens übergangen, um in ihrem Sinne weiterzuarbeiten. Dennoch saß ich in den ersten Tagen und Wochen nach ihrem Tod häufig im Tonstudio und dachte, dass sie jeden Moment zur Tür hineinkommen würde. Dieses Gefühl hat mittlerweile zwar ein wenig nachgelassen, Normalität ist bei mir aber bis heute nicht eingekehrt.

War Ihnen nach dem plötzlichen Tod von AnNa R. sofort klar, dass ein posthumes Album erscheinen wird?

Es war ein fließender Übergang vom "König:in"-Album, das im Herbst 2023 veröffentlicht wurde, zum "Mut zur Liebe"-Album. Der Entstehungsprozess hatte quasi parallel zu ihrem zweiten Tour-Block im März/April 2024 begonnen und sich im Verlauf des Jahres weiter fortgesetzt. Von AnNa kam in dieser Phase sehr viel Output, und wir beide hatten große Lust auf dieses zweite Soloalbum. Der Plan, das Werk im Herbst 2025 zu releasen, stand bereits. Auch der Vorverkauf für ihre nächste Tour war schon im Gange. Doch dann kam die Nachricht, die zunächst alles zum Erliegen brachte.

Eltern von AnNa R. stimmten Album-Plänen zu

Wer oder was hat den Ausschlag gegeben, "Mut zur Liebe" zu veröffentlichen?

Zum einen hatten ihr Manager Frank Wiedemann und ich das Gefühl, dass es in ihrem Sinne gewesen wäre. Zum anderen – und das war am Ende ausschlaggebend – äußerten auch AnNas Eltern den Wunsch, dass die Songs wie geplant veröffentlicht werden sollen. Sie kannten bereits viele der Lieder, weil AnNa sie ihren Eltern vorgespielt hatte. Mit diesem Wissen im Hinterkopf machten wir uns an die Arbeit, die zehn bereits geschriebenen Songs fertigzustellen. Hätte sie noch gelebt, wären es vielleicht noch zwei, drei Lieder mehr geworden …

AnNa R., Posthumes Album, Mut zur Liebe
Das Albumcover von "Mut zur Liebe" © Christina Darscht/Sony Music Entertainment

Die KI zu bemühen, war keine Option?

Auf die Idee kann man in der heutigen Zeit durchaus kommen, aber mit diesem Gedanken habe ich gar nicht gespielt. Schließlich wusste ich, dass AnNa das überhaupt nicht gefallen hätte. Sie konnte damit nichts anfangen und mochte diese Entwicklung nicht. Das hat sie mir auch so gesagt. "Mut zur Liebe" ist also komplett ohne KI entstanden.

Dieses Album ist ein Vermächtnis – aber auch ein Appell, zu mehr Menschlichkeit und Liebe zurückzufinden. Was hat AnNa R. umgetrieben?

Eigentlich fand sie "Mut zur Liebe" als Slogan sogar zu kitschig. Doch der Subtext vom gleichnamigen Song sagt genau das aus, wofür AnNa R. steht. Sie hat das immer wieder angesprochen – allerdings sich einschließend und nie mit dem erhobenem Zeigefinger. In dem Song geht es um ein gesellschaftspolitisches Thema. Ihr war es immer wichtig, dass Menschen aufeinander zu gehen und einander auch zuhören. Dieses Lied soll dafür sensibilisieren, sich gegen eine Spaltung der Gesellschaft einzusetzen und niemanden zu vergessen.

"Tatsächlich wurde der Tod in einigen Texten dieses Albums zum Thema gemacht – immer wieder aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Ich weiß aber ganz sicher, dass es nie als Vorahnung oder gar als Abschied gemeint war."

Manne Uhlig über "Mut zur Liebe", das posthume Album der im März verstorbenen AnNa R.

Hat der Song "Wer weiß wer weiß" mit dem Tod von AnNa R. für Sie eine andere Bedeutung bekommen? Sie singt darin: "Wer weiß wohin, wer weiß wie lang, wir alle unsere Wege gehen und wo entlang" …

Ich kann sehr gut verstehen, dass man da Sachen hineininterpretiert. Und ich gebe zu, dass es auch mir schwerfällt, mich davon freizumachen. Tatsächlich wurde der Tod in einigen Texten dieses Albums zum Thema gemacht – immer wieder aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Ich weiß aber ganz sicher, dass es nie als Vorahnung oder gar als Abschied gemeint war.

In dem Lied "Wer weiß wer weiß" geht es ums Älterwerden. Ab 50, 60 kommen einem solche Gedanken eher als in jungen Jahren. Man spürt, dass die Zeit auf Erden endlich ist – weil man vielleicht schon seine eigenen Eltern oder langjährige Weggefährten betrauern musste. Und das lädt eben zu Selbstreflexion und philosophischen Gedanken ein.

War AnNa R. ein eher melancholischer Mensch?

Das würde ich so nicht sagen. Im Zusammensein mit der Band auf Tour und im Studio wurde unheimlich viel gelacht. Mit AnNa war es wirklich immer sehr lustig, sie konnte auch herrlich albern sein. Ich glaube, dass melancholische Texte sie einfach nur mehr angesprochen haben. Wenn man so will, entsprach das ihrer persönlichen Präferenz als Künstlerin. Und so stehen am Ende eben unterschiedliche Songs nebeneinander – zum Beispiel ein Chanson neben einem rockigen Song wie "Aufstehen", der keine Melancholie transportiert.

AnNa R. mit ihren Bandmitgliedern Manne Uhlig (l.) und Timo Dorsch im Jahr 2016 in Frankfurt am Main. © picture alliance / dpa/Andreas Arnold

Wie hätte es nach "Mut zur Liebe" weitergehen sollen? Welche Pläne wurden geschmiedet?

Tatsächlich war die Entwicklung von "König:in" zu "Mut zur Liebe" die von dem meisten Output geprägte Zeit. Die Pausen zwischen den Alben waren sonst länger. Wir alle spürten eine Aufbruchstimmung und die Neugierde auf das, was noch kommen sollte. Wir sprachen auch schon über das nächste Album. Eine Idee war, in ein paar Jahren vielleicht mal ein Chanson-Album zu machen. Wir befanden uns immer noch am Beginn dieser Reise zu zweit, die im Jahr 2020 nach Gleis 8 begonnen hatte.

Wie hat sich AnNa R. aus Ihrer Sicht musikalisch weiterentwickelt – von der erfolgreichen Rosenstolz-Ära bis zu Ihrer Solokarriere?

Meine Zeit hat sich mit der Rosenstolz-Ära ja nicht überschnitten – und Gleis 8 hat AnNa damals mit Timo Dorsch gegründet. Er war mein Studionachbar, der mich dann mit ihr bekanntmachte. Ich habe sie also ganz unvoreingenommen kennengelernt. Aus diesem Grund habe ich auch nicht alles von Rosenstolz aufgesaugt, um Musik mit ihr machen zu können.

Sie wollte einen Neuanfang. Und sie wollte eine Band. Ihr war es ein großes Anliegen, eine Spielwiese für alle zu schaffen – ohne besondere Vorgaben und ohne Druck von einer Plattenfirma. Diesen Spirit hat sie nie verloren. Die Zusammenarbeit war bis zum Schluss davon geprägt, immer alles machen zu dürfen. Sie wollte uns und sich selbst musikalisch nie einschränken.

Am 12. und 13. Oktober finden unter dem Motto "Mut zur Liebe – Ein Abend für AnNa R." in der Berliner Columbiahalle zwei Gedenkkonzerte statt. Welche Erwartungen haben Sie an diese Abende?

Wir wollen einfach nochmal gemeinsam mit den Fans AnNas Leben und Lieder feiern. Es werden verschiedene Gäste und Wegbegleiter jeweils einen ihrer Songs interpretieren. Dazu gehört die Band Silly, bei der AnNa ja ein paar Jahre als Gastsängerin verbracht hat. Auch Henning Wehland, der gemeinsam mit ihr Songs zum "Mut zur Liebe"-Album beigetragen hat, wird dabei sein. Es wird sehr emotional, so viel steht fest.

Wie wird es für Sie beruflich weitergehen?

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Aufgrund der Arbeit an dem finalen Album und den Gedenkkonzerten hatte ich noch gar nicht die Zeit, um mich mit mir selbst zu beschäftigen. Dieser Moment wird irgendwann Mitte Oktober kommen. Klar ist, dass diese Zusammenarbeit mit AnNa nicht zu ersetzen ist. Wir haben jahrelang aus einer Freundschaft heraus miteinander Musik gemacht. Ich werde mich neu sammeln müssen. So etwas braucht Zeit.

Über den Gesprächspartner

  • Manne Uhlig ist ein deutscher Schlagzeuger und Musikproduzent. Der Hamburger war einer von vier Gründungsmitgliedern der Band Gleis 8 um Frontfrau AnNa R. Mit ihrem Debütalbum "Bleibt das immer so" belegte die Formation 2013 den siebten Platz der Charts. Im Jahr darauf mussten geplante Festivalauftritte aufgrund der Krebserkrankungen von Uhlig und Lorenz Allacher abgesagt werden, ehe Allacher an den Folgen der Krankheit verstarb. Uhlig blieb der Band bis zur Auflösung (2025) treu und fungierte bis zum Tod von AnNa R. als Kreativpartner der Sängerin.