Was, wenn man zu einem bestimmten Thema gefühlt alle Ratgeber gelesen hat, aber keine der darin enthaltenen Strategien hilft? Diese Frage hat sich Comedian Maxi Gstettenbauer nach der Lektüre diverser Selbsthilfe-Bücher gestellt – und einen eigenen Ratgeber geschrieben, der eben kein typischer Ratgeber ist. Wir haben mit ihm gesprochen.
In seinem Buch "11,5 Rules für dein erfolgreichstes Leben" schreibt Maxi Gstettenbauer, "dass man auch geleitet werden kann im Leben, ganz ohne Masterplan". Der Comedian übt Kritik am breiten Angebot der Selfhelp-Literatur und plädiert dafür, mehr auf die eigene Intuition zu hören.
Im Interview spricht der Wahl-Kölner über sein Leben mit Depressionen und Panikattacken. Zudem erklärt er den "bitteren Beigeschmack", den er verspürt, wenn er als Mann eher als "Spokesperson" wahrgenommen wird als Frauen. Denn Gstettenbauer selbst sieht sich als "Dude, der offen über Depressionen spricht".
Herr Gstettenbauer, Sie litten viele Jahre an Depressionen und Panikattacken – und unterhielten als Comedian auf der Bühne dennoch Ihr Publikum. Wie ist Ihnen dieser Spagat gelungen?
Maxi Gstettenbauer: Es gibt sehr viele Menschen, die trotz ihrer mentalen Erkrankung im Alltag funktionieren. So war es auch bei mir. In meinem konkreten Fall muss man aber dazu sagen, dass ich während der Pandemie an Depressionen litt und die Auftrittsmöglichkeiten vor großem Publikum entsprechend eingeschränkt waren. Denke ich jedoch ans Jahr 2015 zurück, als ich erstmals in Therapie war, war das Ganze deutlich herausfordernder. Damals wurde mir als Künstler nahegelegt, meine Therapie nicht öffentlich zu machen. In diesen zehn Jahren ist viel passiert, denn heute haben mentale Erkrankungen eine ganz andere Akzeptanz. Umso erstaunter bin ich manchmal, wie schnell ein neues Normal in die Köpfe und Mindsets der Menschen einzieht.
Ihr neues Buch "11,5 Rules für dein erfolgreichstes Leben" beschreiben Sie als keinen typischen Selbsthilfe-Ratgeber. Warum ist es das eben nicht? Immerhin sind Selbsthilfe-Formate sehr beliebt.
Ratgeber sind super – vor allem für die Person, die sie geschrieben hat. Auch ich habe in meinem Leben diverse Selfhelp-Bücher konsumiert. Doch die einzige Lektüre, die mir wirklich geholfen hat, war ein Buch mit Übungen für die Brustwirbelsäule (lacht). Ich habe zahlreiche Bücher gelesen, in denen beschrieben wird, wie man super erfolgreich wird. Dabei geht es doch vielmehr um die Frage, welche Weichen sich auf unserem Weg ergeben und wie sie sich auf unser Leben auswirken.
Meistens sind es doch nicht die großen Pläne für unser Leben, die wir uns zurechtgelegt haben, sondern das, was einfach passiert, ohne dass wir es beeinflussen können. Die Selfhelp-Literatur möchte uns immer weismachen, alles im Leben sei steuerbar und dass nur wir selbst die gestaltende Kraft in unserem Leben sind. Ich hingegen wollte gerne ein Buch darüber schreiben, dass man auch geleitet werden kann im Leben, ganz ohne Masterplan.
Sie sprechen von 11,5 Rules – was hat es mit der halben Rule auf sich?
Ich finde es absurd, wenn in Ratgebern immer wieder von einer festen Anzahl von Regeln oder Schritten gesprochen wird, um ein vermeintliches Ziel zu erreichen. Ich denke da an Formulierungen wie "5 Regeln für die perfekte Ernährung" oder "6 Tipps, um immer pünktlich zu sein". So ist für meinen Buchtitel ganz bewusst die 11,5 entstanden, um mit diesem Trend zu brechen.
Dazu muss ich sagen, dass die letzte Regel meines Buches lautet, dass es gar keine Regeln gibt. Denn ich glaube, dass es schlussendlich kein wirkliches Richtig oder Falsch gibt, wenn es darum geht, das eigene Leben zu gestalten. Mit Blick auf die Moral verhält es sich natürlich anders – nichtsdestotrotz denke ich, dass wir uns von einigen zwanghaften Vorstellungen und Regelwerken lösen sollten, wie ein perfektes Leben auszusehen hat. Die eigene Intuition sollte hierbei eine viel größere Rolle spielen.
"Für mein Empfinden gibt es ein Überangebot an Hilfe."
Mit Blick auf Selfhelp und Selbstoptimierung spielen auch Coachings inzwischen eine große Rolle …
Meiner Meinung nach ist das Absurdeste beim Coaching, dass das Leben in Abteilungen eingeteilt wird. Es gibt also Ernährungs-Coaches, Sport-Coaches und, wie ich gelernt habe, sogar Pünktlichkeits-Coaches. Es gibt also Menschen, die meine Unpünktlichkeit mit mentalen Schleifen in meinem Kopf aufschlüsseln wollen. Dabei lautet die Antwort schlichtweg: Ich stand im Stau (lacht). Ich möchte nicht abstreiten, dass es Coachings gibt, die den Menschen helfen, Dinge klarer zu sehen. Für mein Empfinden gibt es aber ein Überangebot an Hilfe. Darüber hinaus habe ich den Eindruck, dass vollkommen natürliche Dinge von Coaches häufig überintellektualisiert werden.
Mit Blick auf die Wahrnehmung mentaler Erkrankungen sprachen Sie eingangs von einem "neuen Normal". Dennoch ist für viele Menschen ein gebrochener Arm greifbarer als eine Depression oder Angststörung. Sind wir doch noch nicht so weit, wie wir eigentlich sein müssten in Sachen Aufklärung und Awareness?
Ich bin inzwischen an einem Punkt angekommen, an dem es mir egal geworden ist, ob alle Menschen gleichermaßen verstehen, was es mit mentalen Erkrankungen auf sich hat. Viel wichtiger ist es, strukturelle Lösungen zu finden: Es gibt noch immer zu wenig Therapieplätze, was meiner Meinung nach mitunter an den hohen Studienanforderungen liegt. Insofern bleibt mentale Gesundheit ein elitäres Thema, weil sich häufig nur Bessergebildete und Besserverdienende damit befassen und offen darüber reden können.
Über mentale Gesundheit zu sprechen, muss viel selbstverständlicher sein. Es muss egal sein, ob eine Supermarktkassiererin, eine Pflegekraft oder ein Handwerker betroffen ist. Denn Mental Health sollte nicht bedeuten, dass ausschließlich Menschen aus der Öffentlichkeit oder Superstars über ihre mentalen Probleme sprechen und diese behandeln lassen können. Mentale Gesundheit darf kein Luxus sein. Umso wichtiger ist es, nicht zu vergessen, dass hier eine Klassenkomponente vorliegt.
Mit Blick auf lange Wartelisten entscheiden sich viele Menschen dafür, die Kosten einer Psychotherapie privat zu tragen …
So ist es und das macht eine Menge mit mir. Deswegen werde ich nicht müde, zum Reden zu ermutigen, damit die Betroffenen erkennen, nicht alleine zu sein. Gemeinschaft und Solidarität spielen demnach eine entscheidende Rolle.
Welche Rolle spielt es in dem Awareness-Kontext, dass auch immer mehr Männer über mentale Erkrankungen sprechen?
Wir sprechen hier von einem komischen Privileg, das ich als wirklich seltsam finde. Es gibt so viele Frauen, die offen über ihre mentalen Erkrankungen gesprochen haben. Dennoch wird man als Mann mehr als eine Spokesperson angenommen. Das gibt dem Ganzen einen bitteren Beigeschmack, vor allem, wenn betroffene Männer aus der Comedy- und Unterhaltungsbranche kommen. Ich habe keine therapeutische Ausbildung, sondern bin einfach ein Dude, der offen über Depressionen spricht. Dennoch fällt auf, dass die Gesellschaft Männern schneller die Rolle zuteilt, darüber reden zu können.
"Komiker und Depressionen passen vermeintlich nicht zusammen – umso mehr Aufmerksamkeit erhält das Thema."
Inwiefern?
Als Kurt Krömers Buch ["Du darfst nicht alles glauben, was du denkst: Meine Depression"; Anm. d. Red.] erschien, wurde plötzlich der Raum für Depressionen geöffnet. Dabei war das Thema schon vorher da. Es wurde durch Protagonisten wie Kurt Krömer nur in den Mainstream gebracht, sodass die Menschen es aus einem neuen Winkel heraus betrachten konnten. Denn Komiker und Depressionen passen vermeintlich nicht zusammen – umso mehr Aufmerksamkeit erhält das Thema. Diese Herangehensweise sagt meiner Meinung nach eine Menge über uns als Gesellschaft aus.
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Was raten Sie Angehörigen, um mentale Erkrankungen einer betroffenen Person besser verstehen und greifen zu können?
Wenn die betroffene Person anders könnte, dann würde sie.
Über den Gesprächspartner
- Maxi Gstettenbauer ist ein deutscher Stand-up-Comedian, Autor und Moderator, der als Comedian 2012 sein erstes Soloprogramm "Nerdish by Nature" startete. Seit 2021 ist er wöchentlich im Podcast "Gut abgehangen" zu hören. 2022 erschien sein Bestseller "Meine Depression ist deine Depression. Ein Buch gegen das Alleinsein". Darüber hinaus ist Gstettenbauer regelmäßig in verschiedenen TV-Formaten zu sehen. So war er 2025 Teilnehmer der TV-Show "Das große Promibacken".