Der Nachmittagstalk ist zurück! "Pflegenotstand: ein Problem, keine Lösung?" lautete der Titel der ersten RTL-Sendung "Marco Schreyl", die in guter alter Daily-Talk-Tradition nach ihrem Moderator benannt wurde - und in der zum Teil tragische Schicksale besprochen wurden.

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89 Prozent des Publikums hatten Angst. Angst davor, eines Tages zum Pflegefall zu werden - so das Ergebnis der Umfrage am Ende der neuen RTL-Nachmittagstalkshow "Marco Schreyl". Nach acht Jahren ist der 46-jährige Moderator zu dem Sender zurückgekehrt, für den er einst unter anderem DSDS moderiert hatte. Nun also sollte er in die Fußstapfen von Hans Meiser, Ilona Christen und all den anderen treten, die in den 1990ern und 2000ern ein Format moderierten, an dem kein Nachmittags-Zapper vorbeikam: den Daily Talk.

Bevor sie nach und nach eingestellt wurden, waren viele dieser Shows immer mehr zum Krawall verkommen. Oft ging es um Seitensprünge, untergejubelte Kinder oder gemachte Brüste, statt echter Diskussion gab es ordentlich Gebrüll. Das war bei "Marco Schreyl" anders. Er orientierte sich an den frühen Jahren, in denen es zwar auch regelmäßig um boulevardeske Sexthemen ging, oft aber auch gesellschaftsrelevante Probleme besprochen wurden und Leute zu Wort kamen, die sonst oft zu wenig gehört wurden. So auch diesmal.

Talk von Marco Schreyl: "Oft stehen wir mit einem Bein im Knast"

Zum "Internationalen Jahr der Pflegekräfte und Hebammen", das die Weltgesundheitsorganisation WHO 2020 ausgerufen hat, sprach Marco Schreyl mit Experten und Betroffenen, darunter der Kinderkrankenschwester Jeannine Fasold (47), die den erschreckenden Satz sagte: "Oft stehen wir mit einem Bein im Knast." Denn es gebe schlicht nicht genug Pflegekräfte, um alle Patienten angemessen zu versorgen, Fehler seien da programmiert. Ebenso tragisch und doch fast schon humorvoll erzählte Felicitas, die zwei Jahre lang ihre Oma gepflegt hatte, von ihren Erfahrungen: "Aus der einst so stolzen und manchmal sogar höchst arroganten Frau ist ein Kleinkind geworden, das aus dem Pantoffel Malzbier getrunken hat, mit Kekskrümeln und so."

Besonders berührend: das Schicksal der 36-jährigen Pınar Baştürk (36), deren schwer pflegebedürftige Tochter Elif Su (10) nicht selbstständig atmen kann. Das Kind braucht eine Rundum-Betreuung, die zum Großteil Pınar selbst übernimmt. Warum sie vom Staat lediglich das Pflegegeld bekomme, fragte sie verzweifelt, wo sie doch mehr als eine Vollzeitkraft leiste und ihren Beruf als Steuerfachangestellte nicht ausüben könne.

"Natürlich habe ich Angst!"

Eine befriedigende Antwort konnte ihr in der Runde freilich niemand geben. Das Ganze sei, so der Pflegerechts-Anwalt Frank Lindner, "ein Politikum". Politiker allerdings fehlten in der Show, was bedauerlich war.

Und so blieb als Fazit nur die Erkenntnis von Dr. Bodo de Vries, dem Vorsitzenden des Deutschen Evangelischen Verbandes für Altenarbeit und Pflege (DEVAP): Es brauche nicht eine Lösung, sondern mehrere. Lediglich auf osteuropäische Pflegekräfte zu setzen oder nach Skandinavien zu schielen, könne es nicht sein, allein schon, weil ein 83-Millionen-Einwohner-Land eben andere Voraussetzungen mitbringe als etwa Schweden (10 Millionen). Es müsse aber schnell etwas passieren, denn: "Der demografische Wandel ist längst da!"

Publikum bleibt betroffen zurück

Zurück blieb ein betroffenes Publikum, in das sich auch RTL-Reporter Jenke von Wilmsdorff (54) einreihte. Der hatte für seine Show "Das Jenke-Experiment" am eigenen Leib ausprobiert, wie es ist, ein Pflegefall zu sein. Natürlich habe er Angst: "Wer jetzt sagt, er blicke dem Ganzen entspannt entgegen, der würde mich sehr verwundern."

Ob die Fernsehzuschauer bereit sind für ein solches Revival des Nachmittagstalks? Schwer zu sagen. Wertvoller als die zig Scripted-Reality-Formate, die einst den Daily Talk als Nachmittagsunterhaltung der Privatsender ablösten, erscheint es allemal.  © 1&1 Mail & Media/teleschau

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