Vor 25 Jahren sprach Barbara Salesch ihr erstes Urteil im TV. Viele Menschen sind mit der Strafrichterin aufgewachsen. Jetzt verhandelt sie den "größten Prozess ihres Lebens" – erstmals in Spielfilm-Länge. Wie hat sie die Zeit erlebt, in der man nach der Schule erstmal "die Salesch" schaute und in der True Crime noch kein großes Thema war? Wir haben bei der 75-Jährigen nachgefragt.
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Im Interview mit unserer Redaktion spricht die 75-Jährige über ein "Monster mit Krakenarm" am Set, den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Rechtswesen und ihr Problem mit True Crime.
Frau Salesch, warum ist es "der größte Prozess Ihres Lebens": wegen des Falls oder der Tatsache, dass dieser in Spielfilm-Länge zur Primetime verhandelt wird?
Barbara Salesch: Primetime ist immer super. Aber es ist der Fall! Ein sehr spannender und großartig umgesetzter Fall.
Handelt es sich bei "Die Tote vom Rhein" um eine True-Crime-Geschichte oder einen fiktiven Fall?
Es ist ein fiktiver Fall. Ein neues Format. Eine Mischung aus Gericht und Krimi. Normalerweise wird ein Kriminalfilm aus der Sicht der Kriminalbeamten erzählt. Nach 90 Minuten klicken dann die Handschellen – und damit ist der Film zu Ende. Die Beschuldigten werden nach ihrer Festnahme der Justiz, also der Staatsanwaltschaft, und dann dem Gericht übergeben. Wie es dort weitergeht, erzähle ich in diesem Film.
Die Anklage ist erhoben und nach sechs Verhandlungstagen weiß ich, ob das Gericht dem Angeklagten die Tat nachweisen kann oder ob eine andere Person als Täter zumindest in Betracht kommt. Das Ganze zusammengefasst in 90 Minuten. Mit True Crime hat das also nichts zu tun. True Crime lehne ich übrigens auch ab.
Warum lehnen Sie True Crime ab?
Weil True Crime den Angeklagten nur eine weitere Plattform bietet. Bei True Crime wird das Opfer ein zweites Mal zum Opfer. Jedenfalls ist das meistens so. Und wozu? Nur, um Geld zu verdienen und andere gut zu unterhalten, die sich dann besser gruseln können. Das hat auch etwas Voyeuristisches. Das finde ich nicht gerade erhebend. Wenn ich Themen transportieren will, brauche ich dazu keinen echten Täter und schon gar kein echtes Opfer, um etwas zu sagen. Zu Unterhaltungszwecken eh nicht.
"Geschönte Wahrheiten, toxische Beziehungen": Darum geht es in dem Fall
Worum geht es in dem Fall, der in dem Film erzählt wird?
Es ist ein grausamer Fall. Eine junge Frau wird acht Jahre lang in einem Bunker gefangen gehalten und letztendlich getötet und in den Rhein geworfen. Sie wird schnell gefunden. Mühsamer ist es, die Tatorte und den Hergang insgesamt zu ermitteln.
Angeklagt wird ein Schädlingsbekämpfer, den die Getötete über eine Dating-Plattform kennengelernt hatte. Dann gerät auch der Ehemann der Getöteten in Verdacht, der als Nebenkläger an der Verhandlung teilnimmt. Geschönte Wahrheiten, toxische Beziehungen – am Ende bereitet ein kleines Detail die Lösung vor. Interessant ist auch, dass wir zeigen können, was während der Verhandlungsunterbrechungen alles geschieht.
Geben Sie uns bitte einen Einblick. Was passiert während der Unterbrechungen?
Eine ganze Menge – von Beweisanträgen über Nachermittlungen bis hin zu Manipulationen übelster Art. Die Presseresonanz ist enorm. Es wird versucht, mit dem Leid der Angehörigen zu spielen und am Ende mit dem Leid des Opfers an Geld zu kommen. Übrigens alles Dinge, die auch "in echt" vorkommen können.
Was ist der größte Unterschied zu den Dreharbeiten für eine klassische Gerichtssendung?
Nachmittag ist und bleibt Nachmittag, da drehen wir drei Sendungen am Tag. Es sind dann immer mindestens sechs Kameras im Einsatz, kaum etwas wird wiederholt. Vorbereitung ist alles. Im Alltag habe ich auch mehrere Fälle am Tag verhandelt, je nach Schwierigkeitsgrad. Prime ist Prime, das ist Film mit einer ganzen Reihe von Drehtagen. Das war schon ungewohnt. Der Aufwand war enorm.
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Welche Erlebnisse am Set waren für Sie Neuland?
Dass wir zum Beispiel für jede Einstellung, für jede Szene alles mindestens fünfmal wiederholen mussten. Von vorne, von der Seite, von hinten, Schuss und Gegenschuss – und wie das alles heißt. Keine Ahnung.
Allein für die kurzen Taxifahrten haben wir acht Stunden gedreht und der Kameramann hat sich überall hineingefaltet. Ich fuhr quasi immer nur im Kreis um das Kölner Oberlandesgericht herum, versuchte, unterschiedliche Gesichter zu liefern und auch mal kurze Sätze zu sagen, bis irgendwann alles im Kasten war.
Im Gerichtssaal kam auf einmal ein Kran auf mich zu. Wie so ein Monster mit Krakenarm. Ich dachte in diesem Moment nur: "Hoffentlich hat der auch eine Bremse."
Das Schwierigste für mich persönlich war, dass man bei einem Filmdreh immer wieder das Gleiche nochmal machen muss. Und das kann ich nicht gut. Ähnlich vielleicht, gleich nein. Insofern war es für mich Stress hoch drei, zumindest die Texte auswendig zu lernen, bei denen ich nicht spicken konnte.
Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit den echten Schauspielerinnen und Schauspielern empfunden?
Als faszinierend! Erst da merkt man, was Schauspielerei überhaupt bedeutet und welche Leistung sie bringen. Sie sind eins mit der Rolle, sobald die Kamera läuft, und wieder sie selbst, wenn keine Kamera auf sie gerichtet ist. Ich bin ich, von vorne bis hinten und von morgens bis abends immer nur Barbara Salesch. Sie ist die einzige Person, die ich kann. Meinen Juristinnen und Juristen ging es ähnlich. Nur sie konnten sich deutlich besser Texte merken als ich. Sie sind halt noch frischer.
Sie sind seit 25 Jahren als Strafrichterin im deutschen Fernsehen zu sehen. Wie häufig haben Sie den Satz "Ich bin mit Ihnen aufgewachsen!" schon gehört?
Unendlich häufig. Nahezu jeder ist mit mir aufgewachsen – jedenfalls in einem gewissen Alter. Diese Sendungen gehörten damals zum Alltag vieler, vor allem auch junger Menschen. Man kam mittags von der Schule nach Hause und schaute erstmal "die Salesch", bevor man sich an die Hausaufgaben setzte. Heute ist das übrigens gar nicht so viel anders. Der Unterschied ist nur, dass die jungen Leute die Sendungen streamen oder sich bei Social Media irgendwelche Schnipsel anschauen.
Ich selbst habe für Social Media keine Zeit, aber was diese jungen Leute alles an Memes und sonst was mit mir veranstalten, ist schon erstaunlich. Grundsätzlich begeistere ich andere Menschen gerne für meinen Beruf und für die Sichtweise einer Richterin. Und ich habe fast 20 Jahre in Hamburg Rechtsreferendare in Strafprozessrecht unterrichtet. Und bei Vorträgen an Universitäten höre ich immer wieder: "Frau Salesch, ihretwegen habe ich Jura studiert."
Wie reagieren Sie darauf?
Ich freue mich natürlich und kann dann nur hoffen, dass es der jeweiligen Person auch gefällt. Es ist Teil meines Alltags geworden, erkannt und angesprochen zu werden. Gott sei Dank geht man mit mir sehr freundlich um und ich bin auch echt nicht unempfänglich gegenüber beruflichen und persönlichen Komplimenten. Aber es haut mir zum Glück niemand auf die Schulter und fragt: "Mensch Barbara, wie geht’s dir?" So ein bisschen Distanz bleibt immer. Ist vermutlich meinem echten Beruf geschuldet.
Wie die TV-Richterin über KI als Tool zur Beantwortung von Rechtsfragen denkt
Befürchten Sie, dass bald immer mehr Menschen in Rechtsfragen auf die KI vertrauen werden, anstatt sich anwaltlichen Rat einzuholen?
Das wird passieren, vielleicht ist es zum Teil auch schon so. Zu Informationszwecken reicht auch das eine oder andere. Man muss nur wissen, dass man es bei diesen Programmen mit einer relativ bescheidenen Qualität zu tun hat. Es ist sehr oberflächlich. Sobald man nur einen Hauch vom Üblichen abweicht, stimmt die ganze Antwort nicht mehr.
Man kann die KI vorab als Hilfsmittel benutzen, aber sie ersetzt keine Beratung. Kein Anwalt fragt nach, weil Wesentliches übersehen oder lieber verschwiegen wird. Wer ist in der Lage, die Antworten der KI zu kontrollieren? Wir werden so ziemlich die Letzten sein, die von der KI ersetzt werden. Zumindest hoffe ich das.
Wird man Sie in Zukunft häufiger zur Primetime sehen?
Beides nebeneinander geht nicht. Dafür ist der zeitliche Aufwand für meine nachmittägliche Sendung viel zu groß. Meine Intention ist es aktuell nicht – von vielleicht gelegentlichen Primetime-Sendungen mal abgesehen –, ins Abendprogramm zu wechseln. Ich finde solche Filme zwar extrem spannend und danke für die Gelegenheit, mal zeigen zu dürfen, was wir können. Aber es ist zu zeitintensiv. Außerdem müssen wir erst einmal abwarten, ob der Film beim Publikum überhaupt ankommt.
"Ich kann von Kunst nicht leben."
Sie kennen die Paragrafen aus dem Effeff, leben als Malerin aber auch gerne Ihre Kreativität aus. Würden Sie das eine heute noch machen, wenn Sie das andere nicht mehr machen könnten?
Ich kann von Kunst nicht leben – das konnte ich noch nie. So einfach ist das. Meine Sachen sind sehr individuell, arbeitsintensiv und damit auch teuer. Und gefallen eh nicht jedem. Meistens widme ich mich pro Jahr einem Thema. Es muss immer etwas Neues entstehen, weil ich mit ständigen Wiederholungen nichts anfangen kann.
Ich arbeite im Übrigen niemals gegenständlich, sondern abstrakt und formbezogen. Farbe, Kraft, Bewegung, das müssen meine Arbeiten haben. Wer will, kann auf der Website meiner Galerie nachschauen, was ich so mache und wo die nächsten Ausstellungen stattfinden.
Anfang Mai haben Sie Ihren 75. Geburtstag gefeiert. War es für Sie ein besonderer?
Tatsächlich feiere ich jedes Jahr. Ich liebe Geburtstage und es macht mir nichts aus, dass jedes Jahr ein weiteres Jahr hinzukommt. Diesmal zog sich das Feiern über die ganze Woche hin, weil ich zwischendurch Drehtage hatte. Mein Haus sah zwischendurch wie ein Blumenlager aus, überall duftete es nach Lilien und Pfingstrosen. Im Sommer mache ich dann noch eine große Gartenfete bei mir zu Hause. Dann bin ich mit der Feierei zum 75. durch.
Über die Gesprächspartnerin
- Barbara Salesch ist eine deutsche Richterin, Autorin und Künstlerin. Einem breiten Publikum wurde die in Karlsruhe geborene Juristin ab dem Jahrtausendwechsel bekannt. Von 2000 bis 2012 trat sie in der Gerichtssendung "Richterin Barbara Salesch" (Sat.1) in Erscheinung und verhandelte gestellte Fälle im Bereich des Strafrechts. Im September 2022 kehrte sie ins Fernsehen zurück – mit dem werktäglichen RTL-Format "Barbara Salesch – Das Strafgericht".