Die "Alternative für Deutschland" versteht sich als Alternative zu den etablierten Parteien. Allerdings verhindert ihr mögliches Erstarken in den Landtagswahlen 2016 am Sonntag nicht eine Regierungsbeteiligung der großen Volksparteien. Im Gegenteil. Eine starke AfD würde die Bildung von Großen Koalitionen sogar noch wahrscheinlicher machen. Für diesen paradoxen Umstand ist die AfD aber nicht alleine verantwortlich.

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Rund 10 Prozent in Baden-Württemberg, 12 Prozent in Rheinland-Pfalz und 18 Prozent in Sachsen-Anhalt: Wenn sich die Umfragen bewahrheiten, wird die "Alternative für Deutschland" (AfD) als ein großer Gewinner aus den Landtagswahlen am Sonntag hervorgehen.

Regieren wird die AfD aber wohl dennoch nicht. Alle Spitzenkandidaten der anderen Parteien haben Koalitionen mit der AfD ausgeschlossen. Aber welche Optionen bleiben dann noch?

Wahrscheinlich nur der Rückgriff auf die Große Koalition, erklärt der Mainzer Politologe Kai Arzheimer im Gespräch mit unserer Redaktion.

"Wenn die AfD tatsächlich in der erwarteten Stärke in die drei Landtage einzieht, wird es voraussichtlich unmöglich sein, die klassischen Zweier-Koalitionen zu bilden", sagt Arzheimer. "Da Dreier-Koalitionen bisher kaum erprobt wurden und in der Tendenz weniger stabil sind, wird es vermutlich häufiger zu Großen Koalitionen kommen."

Wer AfD wählt, bekommt eine Große Koalition

Es scheint paradox: Viele Wähler der Alternative für Deutschland sind von CDU und SPD enttäuscht – ihr Stimmverhalten führt aber dazu, dass genau diese beiden großen Parteien in der Regierungsverantwortung bleiben könnten.

Auf den zweiten Blick ist es aber nicht so einfach, mahnt Uwe Jun, Politikwissenschaftler von der Universität Trier im Gespräch mit unserer Redaktion. "Man muss dem Eindruck widersprechen, hier würden sich Machtkartelle bilden. Diese Koalitionen entstehen, wenn kleine Parteien sich nicht offen zeigen für neue Modelle."

Das heißt konkret: Die Grünen müssten sich für eine "Jamaika-Koalition" mit CDU und FDP erwärmen, die Liberalen müssten eine "Ampel" mit SPD und Grünen in Betracht ziehen.

"Die Möglichkeit zu einer Zusammenarbeit bestünde ja in Rheinland-Pfalz und in Baden-Württemberg", sagt Jun. "Aber ich sehe nicht, dass sich bei den Grünen und der FDP etwas bewegt."

Juns Kollege Kai Arzheimer rechnet in den beiden Bundesländern mit großen Koalitionen, in Sachsen-Anhalt hält er zumindest ein Linksbündnis für eine mögliche Alternative: "Hier könnte der Nachbar Thüringen als Vorbild dienen."

Keine Alternative für die Regierung

Die AfD selbst spielt in allen Überlegungen zu den Regierungsbildungen in naher Zukunft keine Rolle. Zwar gibt es zumindest in Rheinland-Pfalz Gerüchte, die CDU könnte entgegen allen Bekundungen eine Koalition mit der AfD eingehen – ähnlich wie die Hamburger Christdemokraten, die 2001 ein Bündnis mit der populistischen Schill-Partei schlossen.

Nach allem Ermessen scheint das aber ausgeschlossen. Politologe Kai Arzheimer hält die Partei selbst mittelfristig für nicht koalitionsfähig: "Erstens bin ich mir nicht sicher, dass sich die AfD in einer Weise entwickelt, die sie für die CDU zu einem akzeptablen Koalitionspartner machen kann."

Zweitens legitimiere eine Regierungsbeteiligung die Partei. "Und solange die Chance besteht, dass die AfD, ähnlich wie die Republikaner oder die Piraten, wieder in der politischen Versenkung verschwindet, werden die etablierten Parteien davor zurückschrecken."

Arzheimer sieht für die AfD nur die Rolle als Fundamentalopposition, "ähnlich wie die Grünen in den 1980er Jahren".

Zwar könne sie zum Beispiel bei Wirtschaftsthemen auch Sachpolitik betreiben, "ob die etablierten Parteien AfD-Parlamentarier tatsächlich einbinden würden, ist aus den oben genannten Gründen aber fraglich."

Auch Uwe Jun sieht die AfD als reine Oppositionspartei, die nicht einmal mit anderen Oppositionsgruppen zusammenarbeitet: "Das beobachten wir ja schon jetzt in den Landtagen, in denen die Partei vertreten ist."

Es bleibt immer noch die Große Koalition

Die jüngsten Sonntagsfragen deuten darauf hin, dass sich der Trend zur Zersplitterung der Parlamente auch im Bundestag fortsetzt – Stand jetzt hätten FDP und AfD gute Chancen auf einen Einzug in den Bundestag, der damit zu einem Sechs-Parteien-Parlament würde.

Nur folgerichtig, sagt Politologe Uwe Jun: "Die Gesellschaft differenziert sich immer weiter aus, und das bildet sich auch im Parteiensystem ab. Bei der Wahl 2013 wurde das noch von der Person Angela Merkel überdeckt. Generell gilt aber: Die Bindungen zu den großen Parteien nehmen immer mehr ab, kleine Parteien können schnell Wahlerfolge feiern."

Von der Unregierbarkeit ist Deutschland allerdings noch weit entfernt, sagt Jun: "Die CDU und die SPD sind grundsätzlich immer koalitionsfähig."

Auch wenn durch den Erfolg der AfD also Große Koalitionen immer wahrscheinlicher werden - als einen Steigbügelhalter für CDU und SPD wollen beide Experten die AfD nicht verstanden wissen.

"Zumindest ein Teil des Aufstiegs der AfD geht auf Kosten der CDU", sagt Kai Arzheimer. "Und Große Koalitionen werden auf Dauer zu noch mehr Unzufriedenheit mit den beiden großen Parteien führen."

Uwe Jun sieht die Bringschuld bei Grünen und FDP: "Verantwortlich sind nicht die Großparteien, sondern die Kleinparteien, die sich nicht verständigen. Wenn es den kleinen Parteien an Bereitschaft fehlt sich zu bewegen, wird es zu einer Großen Koalition kommen."

Prof. Dr. Uwe Jun lehrt Politikwissenschaft an der Universität Trier. Er promovierte 1993 zum Thema "Koalitionsbildung in den deutschen Bundesländern". Zuletzt gab er das Buch "Wandel und Kontinuität der politischen Kommunikation" heraus.
Prof. Dr. Kai Arzheimer ist Professor für deutsche Innenpolitik und Politische Soziologie an der Universität Mainz. Er hat sich vor Kurzem in einem Aufsatz für das Magazin "West European Politics" mit der AfD beschäftigt. (http://www.kai-arzheimer.com/afd-right-wing-populist-eurosceptic-germany )
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