Birgit Rösing genannt Storck gilt als warmherzig und fürsorglich. Über Nacht verschwindet die vierfache Mutter plötzlich. Zurück bleiben eine rätselhafte Erbschaft, ein hoher Bargeldbetrag und eine Spur, die in ein Jagdgebiet führt.

Es sind mittlerweile fast sieben Jahre, dass Birgit Rösing genannt Storck aus Mühlheim das letzte Mal lebend gesehen wurde. Die 58-Jährige hat es sich an diesem Abend des 26. Septembers 2018 im Wohnzimmer bequem gemacht, als ihr ältester Sohn ihr eine gute Nacht wünscht und danach schlafen geht. Beide wohnen im selben Haus, genauso wie Birgit Rösings Noch-Ehemann, der zu dem Zeitpunkt zwar da ist, sich aber in sein Zimmer zurückgezogen hat. Später wird der Sohn aussagen, dass er nachts ein Rumpeln im Haus gehört hat und draußen Motorengeräusche eines Autos. Beides kann er aber nicht zuordnen, er schläft wieder ein.

Am nächsten Morgen des 27. September frühstückt er mit seinem Vater, der Geburtstag hat und sich auf den Weg nach Lübeck zu einer Fortbildung macht. Vater und Sohn verlassen das Haus, ohne Birgit Rösing gesehen zu haben, sie denken sich nichts dabei, es ist ja noch früh. Erst am Freitag, den 28. September, wundert sich der Sohn über den vollen Briefkasten, als er abends von der Arbeit nach Hause kommt. Er sucht seine Mutter überall, findet sie aber nicht.

Ihm kommt es sehr merkwürdig vor, dass ihr Auto noch vor dem Haus steht, denn normalerweise verlässt seine Mutter das Haus nie ohne den Wagen. Er ruft seine drei Geschwister an, die alle nicht mehr zu Hause wohnen. Sie sind alarmiert. Am nächsten Tag kommt der Vater wieder nach Hause, zusammen machen sie bei der Polizei eine Vermisstenanzeige. Unter anderem berichtet Moderatorin Lia Kilian in ihrem Podcast "Lias Crime Time Germany" am 12. Oktober 2023 von diesem rätselhaften Vermisstenfall. Auch wurde der Fall in der Sendung "Aktenzeichen XY … ungelöst" vom 15.4.2020 behandelt.

Ein Zweithandy, zwei Ausweise und viel Bargeld

Die anschließende Durchsuchung fördert seltsame Dinge zutage: Unter der Matratze von Birgit Rösing genannt Storck – so ihr vollständiger Name – findet die Polizei die Bankkarte eines neu eröffneten Bankkontos und Bargeld in Höhe von etwa 4.500 Euro. Doch es wird noch seltsamer: Zusätzlich tauchen zwei Ausweise auf ihren Namen auf, beide noch gültig, und ein Zweithandy.

Was ist ein Genanntname?

  • Ein Genanntname, auch Vulgoname, kann verschiedene Gründe haben. Besonders in Westfalen und in den Nachbarregionen wurde damit eine Bindung an einen Bauernhof nachgewiesen. Wenn also ein Johann Müller den Wintgenhof übernommen hat, nannte er sich fortan Johann Müller genannt Wintgen. Einerseits stirbt so der Name des Hofes nicht aus, andererseits können häufige Namen voneinander unterschieden werden: Johann Müller gen. Wintgen und Johann Müller gen. Wüst vom Wüsthof. Auch kann es bei unehelichen Kindern oder Adoptionen vorkommen, dass ein Genanntname hinzugefügt wird: Der Vater heißt Lohmann, die Mutter Hundt, also heißt das Kind Arthur Hundt genannt Lohmann. In den nachfolgenden Generationen wird dann häufig der Genanntname der dominante Nachname oder alles wird zu einem Doppelnamen gekürzt: Arthur Hundt-Lohmann.

Von all diesen gefundenen Dokumenten im Zimmer von Birgit Rösing genannt Storck sind die Kinder völlig überrascht. Sie wissen nichts von einem neueröffneten Konto oder einem Zweithandy. Genauso wenig können sie sich erklären, warum ihre Mutter zwei gültige Ausweise besitzt. Verzweifelt veröffentlicht die Tochter auf Facebook einen Aufruf: "Liebe Mama, Wenn du das liest, dann komm bitte schnell zu uns zurück. Wir vermissen dich unheimlich und denken jede Sekunde an dich."

Birgit Rösing genannt Storck gilt als fürsorglich

Sie können sich ihr Verschwinden nicht erklären: Birgit Rösing gilt als herzlich, verantwortungsvoll und fürsorglich, sie war immer für ihre Kinder da. Auch auf der Arbeit in einem Seniorenheim, wo sie sich auf 400-Euro-Basis besonders um Demenzkranke kümmert, ist man von ihrem Engagement überzeugt. Freiwillig ist sie nicht untergetaucht, da sind sich die Kinder einig – es gibt keinen Abschiedsbrief und ihre Dokumente sind noch da, genauso wie ihr Auto.

Was geschah also in der Nacht vom 26. September 2018? Die Polizei Essen beginnt zu ermitteln. Doch sie kommt nicht weit: Es gibt keine Kampfspuren im Haus, Nachbarn können bei den nächtlichen Geräuschen nicht weiterhelfen und die großangelegte Suche in den umliegenden Wäldern, mit Tauchern in den Baggerseen und in der Ruhr, bringt keinen Durchbruch.

Was sollte um 14:30 Uhr stattfinden?

Einzig bei der Befragung in dem Seniorenheim kommt heraus, dass Birgit eine Fortbildung am Tag ihres Verschwindens für den nächsten Tag abgesagt hat. Das kam der Leitung merkwürdig vor, weil Birgit diese Termine ansonsten sehr zuverlässig wahrnimmt. Was sie allerdings am nächsten Tag dann um 14.30 Uhr – wie es in ihrem Terminkalender dann auch steht – vorhat, bleibt ungeklärt.

Immerhin kann ihre Anwältin und Freundin, Ulrike Hädrich-Riedenklau, in einigen Punkten weiterhelfen, wie sie in der Sat.1-Gold-Sendung "Wenn Menschen verschwinden" am 10.10.2022 erzählt. Beide kennen sich seit Schultagen, Hädrich-Riedenklau hat ihrer Freundin bereits bei dem eingeleiteten Scheidungsverfahren geholfen, denn Birgit und ihr Mann leben in Trennung, die Besitztümer sollen bald aufgeteilt werden.

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Anwältin sicher: Birgit ist nicht freiwillig verschwunden

Sie erklärt, dass es für Birgit Rösing nicht unüblich war, hohe Bargeldbeträge zu Hause zu haben. Außerdem bestätigt sie, dass es noch einen dritten gültigen Ausweis gibt, den Birgit in einer Dokumentenmappe bei ihrer Freundin hinterlegt hatte. Warum, verrät sie nicht. Zu dem Zweithandy, über das sie informiert war, kann sie ebenso wenig sagen. Sie weiß nur eins: Birgit Rösing ist nicht aus freien Stücken verschwunden, "das halte ich für ausgeschlossen", ist sie sich sicher. "Sie hat ihre Kinder über alles geliebt."

Auch Birgits Freundin Petra, die ebenfalls in der Sendung zu Wort kommt, ist sich sicher, dass der vierfachen Mutter etwas zugestoßen sein muss. Rückblickend erinnert sie sich an ein Telefonat mit Birgit zwei Tage vor ihrem Verschwinden. Darin äußert sich Birgit besorgt über ein bevorstehendes Gespräch, das sie mit ihrem Noch-Ehemann über die Aufteilung des gemeinsamen Besitzes führen wollte.

Sorge vor einem Gespräch mit dem Noch-Ehemann

Und Petra bestätigt, dass Birgit ein neues Leben anfangen wollte: Sie hatte geerbt, wollte sich scheiden lassen und sich eine neue Wohnung nehmen, sie hatte viele Pläne – sie hätte sich niemals ohne ein Wort abgesetzt. Auch Suizid hält sie demnach für absolut unwahrscheinlich.

Der entscheidende Hinweis kommt durch sogenannte Mantrailer-Hunde. Diese speziell ausgebildeten Spürhunde sind bei der Durchsuchung der Umgebung eingesetzt worden und können eine Fährte über große Distanzen aufnehmen. Im Fall von Birgit Rösing geht die Spur über mehrere Autobahnen in ein Waldgebiet bei Sinntal-Breunings, über 300 Kilometer von Mühlheim entfernt.

Was sind Mantrailer-Hunde?

  • Mantrailer-Hunde sind wie Leichenspürhunde Suchhunde, doch im Gegensatz zu diesen spüren sie lebende vermisste Menschen anhand ihres Individualgeruchs auf. Die Mantrailer-Hunde können feinste menschliche Spuren wahrnehmen: Da jeder Mensch ständig einzigartige Hautpartikel verliert, die in der Luft verwirbelt werden, können speziell ausgebildete Mantrailer diese Fährte aufnehmen und über Hunderte Kilometer verfolgen. Dabei kann die Fährte bis zu 120 Tagen alt sein. Eine genaue wissenschaftliche Erklärung gibt es dafür bisher noch nicht.

Mantrailer-Spur führt ins Jagdgebiet der Familie

Endlich glauben die Ermittler, einen Treffer erzielt zu haben. Das Gebiet, in das sie zwei unabhängig voneinander agierende Mantrailer-Hunde geführt haben, ist nämlich das Jagdgebiet der Familie. Dort geht ein Teil der Familie regelmäßig zur Jagd – es gibt nur einen Haken: Birgit Rösing war laut Aussage ihrer Kinder noch nie dort. Warum haben die Mantrailer also angeschlagen? Sofort werden Leichenspürhunde geordert, die das gesamte Gebiet absuchen. Doch sie finden nichts. War Birgit Rösing hier und wurde dann weitergeschafft? Lag vielleicht sogar ihre Leiche hier und ist von Wildtieren wegbewegt worden?

Die Polizei nimmt den Noch-Ehemann ins Visier. Er arbeitet in Mühlheim als Augenarzt und war in der Zeit ihres Verschwindens in Lübeck. Ist es möglich, dass er Birgit vorher umgebracht und ihre Leiche in der Nacht ins Jagdgebiet geschafft hat? Laut Aussage des Sohnes hat er seine Mutter gegen 22 Uhr das letzte Mal gesehen. Um etwa 0:45 Uhr wurde er von den Geräuschen wach – und um 6 Uhr saß er mit seinem Vater am Frühstückstisch, der daraufhin nach Lübeck aufgebrochen ist. Rein zeitlich ist es in der Zeit von 0:45 Uhr bis 6 Uhr nicht möglich, die 300 Kilometer hin- und zurückzuschaffen. Die Polizei steht wieder am Anfang.

Keine brauchbaren Hinweise, Fall wird geschlossen

Die "Aktenzeichen XY … ungelöst"-Sendung zwei Jahre nach Birgit Rösings Verschwinden bringt auch keine nennenswerten Hinweise. Zu viele Fragen können nicht abschließend geklärt werden: Welchen Termin hatte Birgit Rösing am Folgetag? Welche Geräusche hat der Sohn in der Nacht gehört, stimmen die Zeiten? Welche Spuren haben die Mantrailer-Hunde verfolgt und was geschah in diesem Waldgebiet? Trotz mehrmaligen Aufrufen melden sich keine nennenswerten Zeugen. Die Staatsanwaltschaft Duisburg legt den Fall im April 2022 vorläufig zu den Akten.

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Es ist ein Cold Case, der noch lange im Gedächtnis bleibt. Besonders für die vier Kinder ist der Verlust schwer zu begreifen. Es bleibt zu hoffen, dass eines Tages Hinweise auftauchen, die zur Klärung des Vermisstenfalls Birgit Rösing genannt Storck beitragen werden.

Verwendete Quellen