Ein abgeschossenes Flugzeug, Drohnenangriffe und tote Verdächtige belasten das Verhältnis der einstigen Sowjet-Staaten Russland und Aserbaidschan. Die Gräben sind inzwischen so tief, dass Baku sogar erwägt, Waffen an Putins Feind zu liefern.
Manchmal sind es nur Kleinigkeiten, die zu großen Krisen führen können. Und eine solche Krise bahnt sich jetzt vielleicht auf dem Kaukasus an. Während die Welt gebannt auf das Treffen von US-Präsident
Jüngstes Puzzlestück in dem politischen Reigen der drei Länder waren Drohnenangriffe Russlands auf die Ukraine Anfang August. Am 6. August trafen diese Drohnen auch eine Station zur Gasverdichtung, durch die erstmals Gas aus Aserbaidschan in die Ukraine gepumpt wurde. Zwei Tage später, schreibt "t-online", griffen russische Drohnen ein Lagerhaus der staatlichen aserbaidschanischen Ölgesellschaft SOCAR in der ukrainischen Region Odessa an.
Eine Reaktion aus Baku ließ nicht lange auf sich warten. Am 10. August telefonierten die Präsidenten der Ukraine und Aserbaidschans, Selenskyj und Aliyev, miteinander. Wie "The Kyiv Independent" schreibt, soll es in dem Gespräch um eine bilaterale Energiepartnerschaft gegangen sein. Selenskyj sagte nach dem Gespräch: "Präsident Alijev versicherte mir, und dies ist auch die Position der Ukraine, dass wir die Zusammenarbeit trotz aller Herausforderungen fortsetzen werden." Das aserbaidschanische News-Portal "Caliber.Az" spricht sogar davon, dass das kaukasische Land erstmals darüber nachdenkt, Waffen an die Ukraine zu liefern.
Aserbaidschan und Russland – mehr Zweckgemeinschaft als Bruderliebe
Noch vor einem Jahr trafen sich Putin und Aliyev in der Hauptstadt Baku. Man plauderte über Gas, Öl und den aserbaidschanischen Nachbarn Armenien. Kein Wort zur Ukraine. Heute steht Aserbaidschan kurz davor, dem russischen Feind Waffen zu liefern. Wie konnte die Männerfreundschaft der beiden Autokraten innerhalb so kurzer Zeit so zerbrechen?
Das Verhältnis der beiden, "war nie von reiner Gegenliebe getragen", sagt Kaukasus-Experte Jakob Wöllenstein von der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) im Gespräch mit unserer Redaktion. Putin wolle nur die Länder in seiner Nachbarschaft in seiner Einflusssphäre halten. Aserbaidschan ist aber eines der Länder, das dabei nur bedingt mitspielt.
Das hauptsächlich muslimisch geprägte Land im Kaukasus ist nicht wirklich von Russland abhängig. Es beziehe Lebensmittel und Maschinen aus Russland und es gebe eine größere Community von Aserbaidschanern in Russland, aber das Land habe sich schon immer bemüht, keine großen Abhängigkeiten aufzubauen. "Es gibt nichts, was sie mittelfristig nicht ersetzen könnten – vor allem durch China und die Türkei", sagt Wöllenstein.
Im Gegenteil. Aserbaidschan hat vieles anzubieten. Das Land verfügt unter anderem über Öl- und Gasreserven und vertreibt diese Rohstoffe nicht nur an die Ukraine, sondern vor allem nach Israel und in die EU – hier vorwiegend nach Griechenland, Bulgarien und Italien.
Flugzeugabsturz und Nadelstichpolitik
Im Dezember 2024 stürzte dann ein aserbaidschanisches Zivilflugzeug auf russischem Boden ab und markierte damit den Anfang der Spannungen zwischen den beiden Ländern. Die Maschine war kurz davor, in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny zu landen, als sie von einer russischen Boden-Luft-Rakete getroffen wurde. 38 Menschen kamen damals ums Leben. Ein Versehen – so sie offizielle Begründung. Putin bedauerte den Unfall – ein Schuldeingeständnis blieb aber aus. Für Aserbaidschan Grund genug, vor internationalen Gerichten Klage gegen Russland einzureichen.
Der Beginn einer Nadelstichpolitik. In Jekaterinburg wurde kurze Zeit später eine Gruppe Aserbaidschaner unter fadenscheinigen Gründen festgenommen. Die beiden Hauptverdächtigen – ein Brüderpaar – überlebten die Festnahme nicht. Angeblich Herzversagen. Die Leichen wurden in die Heimat gebracht, medizinisch untersucht und Folterspuren wurden festgestellt. Im Anschluss führte Aserbaidschan eine Razzia in dem russischen Sender Sputnik in Baku durch. Auch hier soll es zu Gewalt gekommen sein. "Die Bilder zu dem Vorfall waren teilweise nicht jugendfrei", bestätigt Wöllenstein.
Botschafter beider Seiten wurden einbestellt. Aliyev schwänzte die Parade in Moskau zur 80-Jahr-Feier über den Sieg der Sowjetunion über Nazideutschland. Und dann ist da noch der Friedensdeal zwischen Aserbaidschan und Armenien. Die beiden Länder, die seit Jahrhunderten zumindest nicht gut aufeinander zu sprechen sind und die seit dem Ende der Sowjetunion um das von Armenien besiedelte Gebiet Berg Karabach gestritten und gekämpft haben. Seit 2023 ist es wieder in der Hand Aserbaidschans, die Bewohner vertrieben, die Fronten verhärtet.
Aliyev sucht Nähe zu Trump, nicht zu Putin
Dann doch die Annäherung und die Ausarbeitung eines Friedensvertrags. Dieser wurde aber nicht in Baku oder in der armenischen Hauptstadt Jerewan beschlossen, sondern ausgerechnet im Weißen Haus im Beisein von US-Präsident Donald Trump. Ein Affront gegen Putin, dessen Russland schon seit der Sowjetzeit als Schutzpatron Armeniens fungierte. "Die Grenzen zur Türkei und dem Iran (auch am Flughafen in Jerewan) wurden bis vor kurzem nicht von Armeniern geschützt, sondern von Russen", erklärt der Experte der KAS.

Damit nicht genug. Im Friedensvertrag hat sich der US-Präsident sogar noch selbst verewigt. Der Streitpunkt, der bislang auch die Ratifizierung des Vertrags verhindert hat, ist die sogenannte TRIPP – "Trump Route for International Peace and Prosperity" (auf dt.: Trump Route für internationalen Frieden und Wohlstand). Sie soll im Süden Armeniens Aserbaidschan mit seiner Exklave Nachitschewan im Westen verbinden und wäre damit Aserbaidschans Tor zur Türkei und damit auch eine Landverbindung in die EU. Der südliche Nachbar Iran tobte. Aus Russland meldeten sich nur Scharfmacher aus der zweiten und dritten Reihe, sagt Wöllenstein. Putin dürfte der Deal aber gar nicht geschmeckt haben.
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Führen diese zahlreichen Sticheleien jetzt tatsächlich dazu, dass Aserbaidschan Waffen an die Ukraine liefern wird? Historisch gesehen, wäre es keine große Neuerung. Bis zum Ausbruch des Ukrainekriegs lieferte das Kaukasusland bereits Drohnen und gepanzerte Fahrzeuge nach Kiew. Danach beschränkte sich die Unterstützung auf nicht-militärische Waren. Darunter fällt laut "Kyiv Independent" humanitäre Hilfe, Energieversorgung, finanzielle Hilfe sowie Hilfe beim Ausbau der Infrastruktur. Dabei sei inzwischen ein Gegenwert von 40 Millionen Dollar zusammengekommen, so die Zeitung.
Dennoch wird Aliyev "das Tuch mit Russland nicht vollends zerschneiden". Da ist sich Wöllenstein sicher. "Man sagt, 'wir lassen uns nichts gefallen', aber einen EU-Beitrittsantrag wird das Land nicht stellen." Aliyev sei kein dummer Mann. "Er strebt nach Macht und vor allem nach Systemerhalt", welches er seit 2003 aufgebaut hat. Und Putin braucht einen Verbündeten auf dem Kaukasus, denn sowohl Georgien als auch Armenien streben immer mehr in Richtung EU und das dürfte dem Kreml-Chef noch weniger zusagen.
Verwendete Quellen
- Material der Deutschen Presse-Agentur (dpa)
- Gespräch mit Kaukasus-Experte Jakob Wöllentein von der Konrad-Adenauer-Stiftung
- t-online: Nach Luftangriffen: Putin-Partner stellt sich gegen Russland
- The Kyiv Independent: Russian strikes on Azerbaijani energy sites in Ukraine may reportedly push Baku to arm Kyiv
- Caliber.AZ: Russia strikes Azerbaijani oil and gas facilities in Ukraine, Baku prepares response