Das Elend der Menschen in Gaza wächst und damit der internationale Druck auf Israel. Doch die Bundesregierung bleibt zurückhaltend und verhindert EU-Sanktionen.

"Mit großer Scham, in Wut und in Schmerz" haben 31 namhafte Israelis einen offenen Brief geschrieben, in dem sie ihr Entsetzen über das Vorgehen der israelischen Armee im Gaza-Krieg ausdrücken und "harte Sanktionen" fordern. "Unser Land lässt die Bevölkerung des Gazastreifens verhungern und erwägt die Zwangsumsiedlung von Millionen von Palästinensern", heißt es darin.

Zu den Unterzeichnern des vom britischen Guardian veröffentlichten Schreibens gehören unter anderem der Oskar prämierte Dokumentarfilmer Yuval Abraham, der ehemalige israelische Generalstaatsanwalt Michael Ben-Yair und die ehemalige Knesset-Abgeordnete Tamar Gozansky. Es ist eine von vielen Reaktionen auf das Hungern und Sterben im Gazastreifen, die den Druck auf Israel erhöhen.

Experten befürchten "das schlimmste Szenario einer Hungersnot"

Internationalen Experten der IPC-Initiative zur Analyse von Ernährungskrisen warnten am Dienstag, in dem Küstengebiet zeichne sich "das schlimmste Szenario einer Hungersnot" ab. "Es müssen sofortige Maßnahmen ergriffen werden, um die Feindseligkeiten zu beenden und ungehinderte, großangelegte, lebensrettende humanitäre Hilfe zu ermöglichen", forderten sie. Dies sei der einzige Weg, um weitere Todesopfer und katastrophales menschliches Leid zu verhindern.

Großbritanniens Premier Keir Starmer ließ Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu daraufhin wissen, sein Land werde Palästina als Staat anerkennen, sollte seine Regierung nicht wesentliche Schritte unternehmen, diese entsetzliche Situation zu beenden und sich zu einem langfristigen, nachhaltigen Frieden bekennen. Für eine Sondersitzung rief er sein Kabinett aus dem Urlaub zurück. Zuvor hatte schon Frankreichs Präsident Emmanuel Macron angekündigt, die Anerkennung bei der nächsten Vollversammlung der Vereinten Nationen im September zu vollziehen.

Trump über Gaza: "Schrecklich, diese Kinder zu sehen"

US-Präsident Donald Trump verschärfte den Ton gegenüber Israel und forderte den Verbündeten mit Nachdruck auf, die hungernde Bevölkerung in Gaza mit mehr Lebensmitteln zu versorgen. "Ob man nun von Aushungern spricht oder nicht – das sind Kinder, die hungern", sagte er auf dem Rückflug aus Schottland. "Ich denke, jeder – es sei denn, er ist ziemlich kaltherzig oder noch schlimmer: verrückt – kann nichts anderes sagen, als dass es schrecklich ist, diese Kinder zu sehen."

Die EU-Kommission hatte Montagabend reagiert und den Mitgliedsstaaten empfohlen, die Teilnahme Israels am Forschungsförderungsprogramm Horizon Europe teilweise auszusetzen. Zur Begründung heißt es in dem Entwurf für den Rechtstext, Israel verstoße mit seinem Vorgehen im Gazastreifen und der daraus resultierenden humanitären Katastrophe gegen die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht. Ausdrücklich erwähnt werden auch Tausende zivile Todesopfer und eine rasant steigende Zahl von Fällen extremer Unterernährung, insbesondere bei Kindern. Doch aus der angestrebten Sanktion wird, zumindest vorerst, nichts – und das liegt nicht zuletzt an Deutschland.

Wie die Deutsche Presse-Agentur von Diplomaten erfuhr, gehörte Deutschland bei den Beratungen des Vorschlags im Ausschuss der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten in Brüssel am Dienstag zu den Ländern, die eine schnelle Einigung verhinderten. Von den großen EU-Staaten hat neben Deutschland demnach nur Italien eine weitere Analyse des Vorschlags für nötig gehalten und darauf gepocht, die Entwicklungen im Gazastreifen in den kommenden Tagen abwarten wollen. Alle anderen großen EU-Staaten und viele kleinere hatten sich zuletzt aufgeschlossen gegenüber Strafmaßnahmen gezeigt.

Für die Umsetzung des Sanktionsvorschlags müssen nach Angaben der EU-Kommission 15 der 27 EU-Staaten zustimmen, die zusammen mindestens 65 Prozent der Bevölkerung der teilnehmenden Mitgliedstaaten repräsentieren. Dass die bevölkerungsreichen Länder Deutschland und Italien bremsen, fällt deshalb besonders ins Gewicht.

Hilfsorganisationen fordern Krisengipfel von Merz

Bundeskanzler Friedrich Merz hat Israel am Dienstag zwar erstmals mit Maßnahmen gedroht, sollte das Land die humanitäre Lage in Gaza nicht verbessern. Woran er dabei konkret denkt, ließ er jedoch offen. Seine Zurückhaltung bringt ihm mehr und mehr Kritik des Koalitionspartners ein. Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Adis Ahmetović, dass Merz es bei "Mahnungen" an die israelische Regierung belasse. Generalsekretär Tim Klüssendorf forderte im Gespräch mit unserer Redaktion "viel stärkeren Druck". Deutschland beteiligt sich jetzt an einer Luftbrücke für Gaza, die bei Hilfsorganisationen jedoch auf Kritik stößt.

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30 humanitäre Organisationen haben Merz am Mittwoch aufgefordert, kurzfristig einen Krisengipfel zur Lage in Gaza einzuberufen, darunter Ärzte ohne Grenzen, die Caritas und Oxfam Deutschland. Sie alle sind in Gaza tätig. "Die Infrastruktur ist vorhanden, die Hilfsgüter sind vorhanden, und wir als Organisationen stehen bereit", heißt es in einer Pressemitteilung. "Was fehlt, ist der politische Wille, die Blockade durch die israelische Regierung zu beenden und endlich ungehinderten humanitären Zugang zu ermöglichen."

Frankreich will Boden für Zwei-Staaten-Lösung ebnen

Frankreich versucht unterdessen, die Hoffnung auf eine Zwei-Staaten-Lösung im Nahostkonflikt wiederzubeleben. Dazu hat es zusammen mit Saudi-Arabien eine UN-Konferenz initiiert, die am Dienstag in New York stattfand. Mehrere arabische Länder wie Katar, Saudi-Arabien und Ägypten haben dort eine Entwaffnung und Entmachtung der im Gazastreifen herrschenden islamistischen Hamas gefordert. "Im Rahmen der Beendigung des Krieges in Gaza muss die Hamas ihre Herrschaft in Gaza beenden und ihre Waffen unter internationaler Beteiligung und Unterstützung im Einklang mit dem Ziel eines souveränen und unabhängigen palästinensischen Staates an die Palästinensische Autonomiebehörde übergeben", hieß es in einer Erklärung von 17 Ländern, der Europäischen Union und der Arabischen Liga.

Frankreich bezeichnete die Erklärung als "historisch und beispiellos". "Zum ersten Mal verurteilen arabische Länder und Länder des Nahen Ostens die Hamas, verurteilen den 7. Oktober, fordern die Entwaffnung der Hamas, fordern ihren Ausschluss aus der palästinensischen Regierung und bekunden klar ihre Absicht, die Beziehungen zu Israel in Zukunft zu normalisieren", sagte der französische Außenminister Jean-Noël Barrot. (mcf)

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