Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) will das Koalitionsprogramm mittragen und die Überwachung in Österreich stärken. Darin sind ständige Autokennzeichenerfassung sowie Bundestrojaner geplant. Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk hält das jedoch für "rechtlich bedenklich."

Mehr aktuelle News

Das neue Regierungsprogramm für die letzten 18 Monate der großen Koalition umfasst 80 Punkte auf 35 Seiten und wurde vier Tage lang verhandelt, ehe Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP)) das Werk am Montag präsentierten.

Erstmals gibt es ein Programm mit einem genauen Zeitplan. Allerdings: Die umstrittensten Reformen wurden ausgespart. Kritik gab es von jenen Gruppen, die bereits in den vergangenen Jahren an den Blockaden in der Koalition beteiligt waren: den Gewerkschaften, Kammern und Bünden. So forderten Fritz Neugebauer, Präsident des GÖD, sowie Gemeindebundpräsident Fritz Mödlhammer detaillierte Gespräche vor einer Umsetzung.

Innenminister Sobotka auf Koalitionskurs

Einer der bekannten Kritiker des Programms war Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) – umso überraschender, dass er mittlerweile der Koalitionslinie entspricht und unterschrieben hat.

In der ORF-Sendung "Report" sagte er am Dienstag: "Ich habe die Linie mitgetragen, die das Verhandlungskomitee vorgegeben hat. Ich orientiere mich an der Arbeit und habe mit Kollegen Doskozil [Verteidigungsminister, Anm.d.Red.] das Programm in zwei Stunden fertig verhandelt."

Fachminister wie er sollen laut Programm mit einem Spiegelressort künftig eigentlich nicht mehr verhandeln: "Das wird in der Zukunft nicht anders sein."
Doch was bedeutet das Regierungsprogramm für jeden einzelnen Österreicher? Wird es eine Massenüberwachung lostreten - denn künftig soll es nicht nur Fußfesseln für Gefährder geben, sondern auch die Überwachung aller Autokennzeichen? Wird es das Wundermittel gegen die Arbeitslosigkeit?

200 Millionen für Arbeitslose

Das AMS kann sich zumindest über 200 Millionen Euro für diverse Programme freuen. "Es ist ein ambitioniertes Programm", meint AMS-Vorstand Johannes Kopf. Die Lockerung des Kündigungsschutzes ab 50 bei Neueinstellung könne helfen, brauche aber "massive Unterstützung durch entsprechende Öffentlichkeitsarbeit". Die "Beschäftigungsaktion" für über 50 Jahre alte Langzeitarbeitslose soll 20.000 Jobs pro Jahr über gemeinnützige Trägervereine und Unternehmen in Gemeinden schaffen.

Die Maßnahmen zur Beschäftigung werden auch anderorts positiv gesehen. Martin Kocher, Chef des Instituts für Höhere Studien: "Kinder, Jugendliche und ältere Arbeitnehmer werden dadurch gewinnen. Die Über-50-Jährigen können sich freuen."

70.000 Arbeitsplätze sollen durch das Paket entstehen. Gleichzeitig soll der Zuzug zum Arbeitsmarkt gedrosselt werden. Auch der kalten Progression soll entgegengewirkt werden.

Kocher: "Die Niedrigverdiener werden davon mehr profitieren als die Höherverdiener. Zumindest alle die Steuern zahlen, werden vom Paket profitieren - wenn auch erst 2021 sowie festgeschrieben. Es ist eine Maßnahme, die sehr stark in die Zukunft verschoben wurde."

Überwachungspläne: "Verfassungsrechtlich bedenklich"

Mehr Gegenwind tönt da schon von Seiten der Überwachungskritiker. Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk warnt vor verfassungsrechtlich bedenklichen Punkten: "Da werden Dinge gemacht, die rechtswidrig sind." Allerdings: "Die Risiken sind politisch gesehen verhältnismäßig klein. Denn wenn alles umgesetzt wird, ist damit zu rechnen, dass es einen politischen Mehrwert bringen kann. Bis das im Detail anhand einzelner Sachverhalte und Fragen höchstgerichtlich geklärt wird, ist diese Regierung nicht mehr im Amt."

Am Montag demonstrierten Überwachungsgegner in Wien gegen das Sicherheitspaket. Der Protest galt insbesondere der Videoüberwachung. Künftig soll auf bloße Anordnung des Staatsanwalts ein Video herausgegeben werden können.

Auch die Kennzeichenerfassung stößt den Kritikern sauer auf. Denn: Erfasst eine Kamera ein gesuchtes Kennzeichen, wird sofort Alarm geschlagen. Sobotka will so Zugang zu allen Überwachungssystemen.

Thomas Lohninger, Geschäftsführer des Vereins epicenter.works sagt dazu: "Das ist ein Eingriff und eine Verletzung im öffentlichen Raum, den wir in Österreich so noch nie hatten."

Mithören will der Staat künftig auch im Auto und via Smartphones. Möglich soll das der Bundestrojaner machen. Lohninger: "Diese Software nistet sich auf dem System der Zielperson ein und fängt die Kommunikation noch vor der Verschlüsselung ab und sendet sie an die entsprechenden Stellen."

Fußfessel für Gefährder laut Sobotka "kein Allheilmittel"

Die Idee dahinter ist nicht neu: 2016 wurde sie mit Mehrheit abgelehnt – wird sie diesmal Bestand haben? Und überhaupt: Wie sollen diese Überwachungssysteme funktionieren?

"Wenn wir heute Verbrecher verfolgen wollen, bleiben uns nur ausländische Dienste und ausländische Kennzeichenerfassungen", sagt Sobotka, und weiter: "Ich glaube, das ist für Österreich nur recht und billig. Was die Fußfessel für Gefährder betrifft: Es ist kein Allheilmittel, aber ein Puzzle, um diese Leute engmaschig überwachen können."

Auf die Frage, wer denn zu den Gefährdern gezählt werden wird, antwortete Sobotka: "Den Begriff Gefährder wird der Justizminister mit seinen Experten festlegen. In erster Linie geht es um Leute, die aus Syrien zurückgekehrt sind."

Symbolpolitik sei das in seinen Augen nicht. Es gehe um die Verbreiterung der Überwachung: "Uns geht es darum, die Schritte gegenüber den Terroristen aufzuholen. Wir wollen den Leuten klarmachen, dass wir sie bewachen und wir wollen Menschen deradikalisieren. Wir wollen auf sie zugehen und schauen, dass sie von der Propaganda wegkommen."

Zu den Verfassungsbedenken sagte der Innenminister: "Ich kenne kein Vergehen der öffentlichen Hand gegen Datenschutz." Es gehe um die Sicherheit der Österreicher: "Der erste Schritt ist, es gar nicht so weit zu kommen zu lassen. Wenn sich ein 12-Jähriger radikalisiert wird polizeiliche Arbeit allein nicht nutzen."

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.