Der Chefredakteur von "The Pioneer" zeigte sich angesichts der Zögerlichkeit bei deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine schwer enttäuscht. Dagegen lobte eine "taz"-Journalistin die "Führung von hinten" durch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und ätzte gegen CDU-Chef Friedrich Merz. Ex-SPD-Finanzminister Peer Steinbrück übte scharfe Kritik an Altkanzler Gerhard Schröder

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Das war das Thema bei "Maischberger"

Der anhaltende Krieg in der Ukraine und die abwartende Rolle von Bundeskanzler Scholz beschäftigen die Deutschen und ihre Verbündeten seit Monaten. Auch Sandra Maischberger diskutierte mit ihren Gästen kontrovers darüber, wie die Haltung und Kommunikation von Scholz zu bewerten ist.

Außerdem ging es in der Mittwochsausgabe ihrer Talkshow am Rande auch um die Erhöhung der Leitzinsen durch die Europäische Zentralbank. Boulevardesk wurde es beim Auftritt von TV-Star Barbara Schöneberger.

Die Gäste

  • Ulrich Wickert: Möglichst emotionslos etwas erklären und sich dann nicht festnageln zu lassen? Für den früheren (Tagesthemen-Moderator) ist das die Definition von "scholzen". Das Gegenteil des Kanzler-Verhaltens nannte der 79-Jährige übrigens "habecken". Außerdem überraschte Wickert damit, dass er eine Führungsmacht Deutschland völlig okay fände. "Wir müssen zusammen mit Frankreich die sein, die Europa voran bringen." Da gab es sogar Applaus vom Publikum. Deutschland solle endlich mal führen, aber schlau. "Und wenn es nur mit Ideen ist."
  • Michael Bröcker: Der Chefredakteur von "The Pioneer" zeigte sich angesichts von Scholz' Zögerlichkeit bei Waffenlieferungen an die Ukraine enttäuscht. Er bremse an vielen Stellen und hätte viel mehr machen können. "Es ist too little too late." Auch Bröcker wünschte sich mehr Führungsstärke von Deutschland. "Wir müssen unsere ökonomische Macht sicherheitspolitisch durchspielen." Das sei eine Binse. Auch an dieser Stelle applaudierten die Studiozuschauer.
  • Ulrike Herrmann: Die "taz"-Journalistin nahm Scholz als einzige gegen den Vorwurf der Zögerlichkeit in Schutz. "Selenskyi braucht jemanden im Ausland, der glaubhaft Schuld ist", sagte sie über die harsche Kritik des ukrainischen Präsidenten. Er müsse den Leuten klar mache, dass sein Land nicht die Verantwortung für eine mögliche Niederlage im Krieg trage, "sondern der Westen durch seine nicht ausreichenden Waffenlieferungen." Eine durchaus gewagte These. Herrmann outete sich als klare Gegnerin des Weiterbetriebs der drei noch laufenden deutschen Atommeiler, um die Energiekrise in den Griff zu bekommen "Selbst wenn die AKW weiter laufen würden, dann hätten wir das Gasproblem nicht gelöst." CDU-Chef Friedrich Merz hatte genau das in einer Rede angedeutet, so Herrmann. "Er redet eine Menge, aber er hat keine Ahnung von den Fakten", ätzte Herrmann. "Und das ist auf Dauer gefährlich."
  • Peer Steinbrück: Der ehemalige Bundesfinanzminister (SPD) nannte seinen früheren Kabinettskollegen Scholz "einen in der Sache sehr guten und sehr versierten Mann", übte aber auch Kritik an dessen Kommunikationsstil und bezweifelte, ob Scholz in der aktuellen Krise "kommunikativ die Zuwendung gefunden hat" zu den Deutschen. Fehler seiner Partei gegenüber Russland erklärte er mit der erfolgreichen Ostpolitik von Willy Brandt. "Wir waren blind, wir waren naiv und zwar sträflich naiv. Nicht alleine, aber insbesondere die SPD." Eine zentrale Frage ist für Steinbrück, der deutlich jünger als seine 75 Jahre wirkte, wie ein zukünftiger "Modus Vivendi mit Russland" aussehen soll? "Putin wird nicht weggeputscht", war Steinbrück sicher. Er empfahl für künftige Gespräche einen "dicken Knüppel unter dem Tisch". Schließlich übte der Sozialdemokrat schwere Kritik an der Zinspolitik der EZB, die er für die hohe Inflation mitverantwortlich machte. Der SPD-Mann rechnet mit schweren Zeiten für die Deutschen: einer deutlichen Eintrübung des Wachstums und dem Ende des Wohlstandsparadigma für die Bundesrepublik.
  • Barbara Schöneberger: Für die neue Moderatorin von "Verstehen Sie Spaß?" ist Unterhaltung "natürlich" auch in schwierigen Zeiten wie diesen sehr wichtig. "Wir sollten unabhängig von Nachrichten, die auf uns einprasseln, versuchen gute Menschen zu sein", sagte der TV-Star. Als Maischberger sie zu ihrer Meinung zu Scholz fragte, musste Schöneberger lachen: "Wo ist Peer Steinbrück, wenn man ihn braucht?" Einer ihrer witzigsten und natürlich nicht ganz ernst gemeinten Sätze, fiel zum Sänger Robbie Williams: "Immer wenn ich ihn getroffen habe, war ich schwanger, leider."

Das war der Moment des Abends bei "Maischberger"

Es hätte eine gnadenlose Abrechnung mit einem Altkanzler werden können, der sich in seinen (finanziellen) Verflechtungen mit Wladimir Putins Russland in eine Sackgasse manövriert hat. Peer Steinbrück bedauerte, dass sich sein Parteifreund Gerhard Schröder trotz seiner guten Bilanz als Kanzler "für die Geschichtsbücher derartig selber zerstört" hat. Klare Worte vom einstigen Kanzlerkandidaten, der bei der Bundestagswahl 2013 an Angela Merkel scheiterte. Eines forderte Steinbrück aber nicht: einen Parteiausschuss Schröders. Das müsse jeder für sich selbst entscheiden.

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Das war das Rededuell des Abends

"taz"-Journalistin Hermann sieht in einer größeren Führungsrolle Deutschlands in der Welt eher eine Gefahr und lobte den Führungsstil des Bundeskanzlers. Scholz wolle die Probleme mit den anderen Nationen gemeinsam lösen. "Das heißt ja nicht, dass er nicht führt. Aber er führt von hinten, nicht von vorne". Sie warf ihrem Kollegen Michael Bröcker vor, er bevorzuge eine Idee "von Führung, dass man sich mit breiter Brust in die Medien stellt."

Da konnte der Journalist nur mit dem Kopf schütteln. Nein, die Führung, die er sich wünsche, sei gerade keine "keine breitbeinige, Ich-geh-voran-, Bitte-folgt-mir-Führung", sondern im Idealfall eine Weimarer Dreieck-Führung mit Polen, Frankreich und Deutschland. Aber einer müsse die Debatte ja anfeuern, so Bröckers. Er wünschte sich, dass Scholz mal vorne dabei ist beim Führen und nicht immer hinten als passiver Zuschauer. Genau das ist für ihn "Führen von hinten". Bröcker und Herrmann kamen nicht nur bei diesem Punkt auf keinen gemeinsamen Nenner.

So hat sich Sandra Maischberger geschlagen

Im Zwiegespräch mit ihrem Stargast Peer Steinbrück zeigte die Gastgeberin ihr ganzen Stärken. Wie sie bei den historischen Fehlern der SPD im Verhalten gegenüber Russland immer wieder nach bohrte und schließlich auch zum Ziel kam, sodass Steinbrück die Versäumnisse seiner Partei klar benannte, verdiente Respekt.

Deutlich entspannter wirkte Maischberger dann beim seichten Plausch mit Barbara Schöneberger. Bei der Bitte einzelne Schlagworte zu kommentieren, sagte Maischberger zu Schöneberger die schrägen Worte: "Ein Satz zu Hühnern!" Vielleicht wäre das auch in so manchem ernsten Politikergespräch ein humorvoller Türöffner und Stimmungsaufheller.

Das ist das Fazit

Was tun gegen die immense Inflation, gegen die horrend steigenden Energiepreise? Ulrich Wickert, der lange in Frankreich gelebt hat und sich selbst "atomverseucht" nannte, schlug den Weiterbetrieb der drei deutschen Atommeiler und ein Tempolimit vor, um Energie zu sparen. "Ja meine Güte, reichen denn nicht 19 Grad?", sagte Wickert.

Wer bietet weniger Rauminnentemperatur? Barbara Schöneberger sagte, sie könne auch mit 17 Grad leben und würde sich dann eben eine Decke überwerfen und einen dicken Pulli anziehen. Während Bröcker Atomstrom als Brücke zu den Erneuerbaren wollte, bekannte sich Herrmann als klare Gegnerin der Atomenergie.

Auch das Fazit zur deutschen Positionierung in der Welt und in Europa unter Kanzler Olaf Scholz fiel geteilt aus. Die SPD habe es über Jahrzehnte verdrängt, "dass Deutschland eine Führungsrolle in der Welt einnehmen muss", sagte Peer Steinbrück. Auch wenn SPD-Chef Lars Klingbeil genau dies nun – in Abstimmung mit Scholz – öffentlich äußerte, bleibt abzuwarten, wie sich diese Worte in konkrete Politik übersetzen. Denn auch die postulierte "Zeitenwende" in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik scheint mit Blick auf die zurückhaltenden Waffenlieferungen an die Ukraine bisher vor allem eine Ankündigung zu sein.

Der Ukraine-Krieg sei auch für Deutschland eine Zäsur, schlussfolgerte Steinbrück. Aufgrund von Putins Plänen, Europa und die EU seit gut zehn Jahren zu destabilisieren "sind wir alle ins politische Koma geraten. Und daraus wachen wir heute auf."

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