Die vertagte Verfassungsrichterwahl sorgt für erhitzte Gemüter. Bei "Markus Lanz" redete sich Grünen-Politikerin Britta Haßelmann in Rage, als sie den Unionsfraktionschef Jens Spahn für das Debakel verantwortlich machte. Mit ihrer Argumentation eckte sie bei CDU-Politiker Christoph Ploß an.

Eine TV-Nachlese
Diese TV-Nachlese gibt die persönliche Sicht von Natascha Wittmann auf die Sendung wieder. Sie basiert auf eigenen Eindrücken und ordnet das Geschehen journalistisch ein. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Das Richterwahl-Debakel stürzt nicht nur die neue schwarz-rote Regierung in eine tiefe Krise. Bei "Markus Lanz" warnte Grünen-Politikerin Britta Haßelmann vor einer möglichen Schwächung der Demokratie. Dabei kritisierte sie vor allem den Unionsfraktionschef Jens Spahn und warf ihm "ein eklatantes Führungsversagen" vor. Ein Vorwurf, den CDU-Politiker Christoph Ploß nicht unkommentiert ließ.

Das Thema der Runde

Die geplatzte Verfassungsrichterwahl sorgte am vergangenen Freitag im Bundestag für einen echten Eklat. Nachdem die SPD-Kandidatin für das Verfassungsgericht, Frauke Brosius-Gersdorf, am Dienstagabend bei "Markus Lanz" versuchte, ihre Positionen sachlich darzustellen, analysierte der ZDF-Moderator in seiner Sendung am Mittwoch die daraus entstandene Debatte. Dabei beleuchtete er vor allem die Haltung der Union sowie die daraus resultierenden Folgen für künftige Verfassungsrichterwahlen.

Markus Lanz, Britta Haßelmann, Christoph Ploß, Melanie Amann, Robin Alexander
Bei "Markus Lanz" debattierten Britta Haßelmann und Christoph Ploß am Dienstagabend mit den Journalisten Melanie Amann und Robin Alexander (v.l.) über die geplatzte Verfassungsrichterwahl im Bundestag.

Die Gäste

  • Grünen-Politikerin Britta Haßelmann erläutert ihre Kritik an der Union nach dem Eklat um die geplatzte Wahl von drei Verfassungsrichtern: "Ein solches Desaster hat es bei einer Wahl zum Bundesverfassungsgericht noch nie gegeben."
  • CDU-Politiker Christoph Ploß äußert sich kritisch zur SPD-Kandidatin für das Verfassungsgericht: "Eigentlich trennt mich von Frau Brosius-Gersdorf alles - mit Ausnahme der Rentenpolitik vielleicht."
  • Journalistin Melanie Amann sagt über den TV-Auftritt der umstrittenen SPD-Nominierten: "Was Frauke Brosius-Gersdorf gestern gemacht hat, war auch ein Akt der Selbstbehauptung."
  • Journalist Robin Alexander kommentiert den politischen Umgang mit der Causa Brosius-Gersdorf: "Was da passiert ist, hat in Wahrheit eine längere Vorgeschichte."

Das Wortgefecht

Bei "Markus Lanz" machte CDU-Politiker Christoph Ploß deutlich, dass er in der Debatte um die Verfassungsrichter-Kandidatur von Frauke Brosius-Gersdorf "nicht den Eindruck gewonnen" habe, dass es darum ging, "man geht jetzt irgendeiner (...) rechten Kampagne auf den Leim oder lässt sich treiben". Vielmehr habe er in der vergangenen Woche das Gefühl gehabt, "die Abgeordneten haben sich eine eigenständige Meinung gebildet".

Ploß ergänzte, dass die Nominierung von Brosius-Gersdorf "für viele ein Spannungsfeld" darstelle. Die Union wisse, "wie wichtig Stabilität ist, wie wichtig es ist, dass wir nicht große Konflikte oder Streitigkeiten haben". Dennoch werde in Bezug auf die Haltung von Brosius-Gersdorf "ein Kern der Union berührt: die Würde des Menschen". Ploß: "Sie hat schon eine sehr klare Stoßrichtung." Er fügte hinzu, dass bei der SPD-Nominierten "eine politische Agenda zu sehen" sei, "die die meisten in der Union ablehnen und das hat man in den Diskussionen auch wahrgenommen". Dementsprechend stellte Ploß klar: "Ich fand dann richtig, dass Jens Spahn auch die Abstimmung abgesagt hat und gesagt hat, es kommt an diesem Tag nicht zur Wahl."

Grünen-Politikerin Britta Haßelmann hielt prompt dagegen: "Ich wirke deshalb irritiert, weil ich bin ja selbst Fraktionsvorsitzende. (...) Wenn ich mir vorstelle, dass eine so wichtige Frage wie die Richterwahl für das Bundesverfassungsgericht so dilettantisch vorbereitet wird, dass Ihre Fraktion da am Montag bis Freitag reinstolpert, dann ist das ein eklatantes Führungsversagen von Jens Spahn!" Sie wetterte weiter: "Ich kann das wirklich nicht verstehen, dass man von seinem eigenen Führungsversagen so ablenkt, indem man so eine Geschichte konstruiert."

Christoph Ploß konterte genervt: "Aber Abgeordnete entscheiden doch nach ihrem Gewissen!" Ein Argument, das Haßelmann nicht überzeugen konnte. Sie wollte in Bezug auf Jens Spahn wissen: "Wie hat er einen so wichtigen Prozess (...) in Ihrer Fraktion abgesichert? Mein Eindruck ist inzwischen (...): Gar nicht! Ich habe vor fünf, sechs Wochen (...) im Büro von Jens Spahn gesessen, und dort haben wir über die Richterwahlen geredet - vertraulich. Dort war klar, es gibt einen gemeinsamen Vorschlag."

Ploß zeigte sich unbeeindruckt: "Aber das ist ja auch Demokratie." Dieses Argument prallte an Britta Haßelmann ebenfalls ab, denn: "Sie haben doch als Fraktionsvorsitzender eine Verantwortung gegenüber den Menschen, die man da vorschlägt!" Das bittere Fazit der Grünen-Politikerin? "Rundherum (...) verantwortungsloses Verhalten!" Daraufhin gab Christoph Ploß zu: "Das hat Jens Spahn ja selber auch gesagt, dass der Prozess nicht optimal gelaufen ist. Da sind wir uns ja einig, der Prozess war nicht gut und da gilt es auch einiges aufzuarbeiten."

Eine Aussage, die Journalistin Melanie Amann müde lächeln ließ: "Das ist ja die Untertreibung des Jahrhunderts!"

Britta Haßelmann, Christoph Ploß
In der Debatte mit Christoph Ploß warf Grünen-Politikerin Britta Haßelmann dem Unionsfraktionschef Jens Spahn ein "eklatantes Führungsversagen" vor. © ZDF / Cornelia Lehmann

Offenbarung des Abends

In seiner Sendung gab Markus Lanz zu, dass Christoph Ploß "der einzige von 24 CDU-Abgeordneten" gewesen sei, der als Gast am Mittwochabend zugesagt habe. "Alle anderen hatten heute schon Termine", so der ZDF-Moderator. Während Ploß erklärte, dass er sich "auch in schwierigen Situationen" der Debatte stelle, merkte Robin Alexander an: "Dass hier niemand aus der Führung der CDU sitzt, das spricht für sich." Als Lanz nach dem Grund fragte, ergänzte der Journalist: "Der Ur-Fehler dieser ganzen Kiste ist in der CDU gemacht worden. Die Unions-Führung hat eine Zusage gemacht, die sie nicht einhalten konnte, weil sie nicht wusste, wie die eigenen Leute ticken. Und das will man nicht erklären."

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Grünen-Politikerin Britta Haßelmann nickte und fügte hinzu, dass der TV-Auftritt von Frauke Brosius-Gersdorf bei "Markus Lanz" derweil "großen Respekt" verdient habe, "denn da ist mit so viel Dreck geworfen worden. So viele Unterstellungen, so viele Aussagen über sie, die sie hat über sich ergehen lassen müssen". Der ZDF-Moderator reagierte nachdenklich: "Ich habe auch eine Idee davon, was es bedeutet, unter wirklich hartem öffentlichen Druck zu stehen. Man kann sich darauf auch nicht wirklich vorbereiten. Das kann man nicht trainieren."

Mit Blick auf Brosius-Gersdorf erklärte Lanz weiter: "Ich weiß, dass sie das gemacht hat gegen den Rat aller um sie herum. (...) Das ist etwas, was eine Frau macht, die sich ihr Leben zurückholen will. Die die Kontrolle über ihr Leben zurückgewinnen will. Die nicht mehr Getriebene sein möchte." Dennoch prognostizierte Melanie Amann, dass die SPD-Nominierte die Unionsmitglieder mit ihren Fakten und Thesen nicht mehr umstimmen könne "und aus meiner Sicht spricht viel dafür, dass sie nicht Verfassungsrichterin wird".

Robin Alexander stimmte zu: "In der politischen Einschätzung ist es eher schwieriger geworden, dass sie jetzt Richterin wird." Britta Haßelmann zeigte sich derweil optimistisch und sagte: "Ich glaube ja immer an die Stärke des Argumentes." Laut der Grünen-Politikerin habe Brosius-Gersdorf "zur Versachlichung ihrer Position beitragen" können und habe "sehr deutlich" gemacht, "wo ihre Position ist. Dass sie eine ganz andere ist", als in der Union oder "in Teilen der Öffentlichkeit kommuniziert wurde".

Haßelmann ergänzte streng, dass nicht außer Acht zu lassen sei, dass im Verfassungsgericht nicht nur Menschen sitzen, "die eine Auffassung vertreten, sondern es geht um juristische Abwägungen und Aussagen". In dem Zusammenhang warnte Melanie Amann vor den "gravierendsten Folgen" der aktuellen Debatte: "Ich glaube, wir haben jetzt die letzte normale Bundesverfassungsrichterwahl erlebt. Es wird ab jetzt alles anders sein bei künftigen Verfassungsrichterwahlen." Der Grund? "Welcher Wissenschaftler soll sich dem aussetzen?!"

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Der Erkenntnisgewinn

Melanie Amann stellte klar, dass es bei der geplatzten Verfassungsrichterwahl nicht nur "um die Sache" gegangen sei, es habe auch "einen enormen Kampagnen-Druck auf die Abgeordneten" gegeben. Dem konnte Britta Haßelmann nur zustimmen. Sie sagte mit Blick auf CDU-Politiker Christoph Ploß: "Was diese Frau die letzten drei Wochen erlebt hat an Diffamierung, an Diskreditierung ihrer eigenen Person (...), das was an Kampagnen vorbereitet war (...): Herr Ploß, ich mache mir große Sorgen um die CDU/CSU!"

Die Grünen-Politikerin fragte in dem Zusammenhang: "Merkt ihr eigentlich nicht, dass die AfD einen Plan hat, euch zu zerstören?" Während Ploß verzweifelt versuchte, zu erklären, dass "die Debatte in der Unionsfraktion (...) rein sachlich und inhaltlich" gewesen sei, wetterte Haßelmann unbeirrt weiter: "Sie müssen das klären, ob Sie sich treiben lassen (...) von AfD-nahen, rechten Netzwerken. (...) Ich halte das für sehr bedenklich."  © 1&1 Mail & Media/teleschau

Teaserbild: © ZDF / Cornelia Lehmann