Russland überzieht sein Nachbarland erneut mit Drohnen- und Raketenangriffen, mehrere Menschen sterben. Derweil bemühen sich die Verteidiger um internationale Unterstützung. Bringen Gespräche in den USA den erhofften Erfolg?

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj schickt seine Chefunterhändler zu Gesprächen über Sicherheitsgarantien für sein von Russland angegriffenes Land in die USA.

Präsidialamtschef Andrij Jermak und Ex-Verteidigungsminister Rustem Umjerow sollen am Freitag in New York mit Vertretern der Regierung von US-Präsident Donald Trump sprechen, wie Selenskyj in Kiew ankündigte. Seitens der Amerikaner bestätigte Trumps Russland-Unterhändler Steve Witkoff das Treffen. Derweil überzieht das russische Militär die Ukraine einmal mehr großflächig mit Luftangriffen.

"Alle, die an den Sicherheitsgarantien arbeiten – an den militärischen, politischen und wirtschaftlichen Komponenten der Sicherheitsgarantien –, werden einbezogen", sagte Selenskyj in einer Videoansprache. Man müsse so rasch wie möglich vorankommen: "Die Russen müssen sehen, wie ernst es der Welt ist und wie schlimm die Folgen für Russland sein werden, wenn der Krieg weitergeht."

Selenskyj: Moskau will nicht verhandeln

Der ukrainische Präsident warf Moskau vor, nicht verhandlungsbereit zu sein und damit ein Trump gegebenes Versprechen zu brechen. Bei den Sicherheitsgarantien geht es darum, die Ukraine nach einem Ende des Krieges vor einem Wiederaufflammen russischer Aggression zu schützen. Die USA planen sich zu beteiligen, die militärische Hauptlast soll aber bei den Europäern liegen. Russland lehnt Truppen aus Nato-Ländern in der Ukraine strikt ab.

Jermak und Umjerow führen von ukrainischer Seite auch die laufenden Gespräche der Kriegsparteien in Istanbul. Nach Angaben Selenskyjs erkunden sie außerdem mögliche Orte für ein Treffen mit Kremlchef Wladimir Putin. Dabei waren die ukrainischen Vertreter am Dienstag zu Besuch im Golfstaat Katar, am Mittwoch in Saudi-Arabien. Für Donnerstag sind Gespräche in der Schweiz geplant. Putin will indes erst dann mit einem Vertreter der Ukraine sprechen, wenn es eine fertig ausgehandelte Lösung für ein Ende des Krieges gibt.

Außenminister Wadephul: Neue Sanktionen gegen Moskau

Auch der deutsche Außenminister Johann Wadephul sieht Moskaus angebliche Verhandlungsbereitschaft skeptisch. "Ich habe allergrößte Zweifel, dass es in absehbarer Zeit überhaupt zu Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine kommt", sagte er dem Nachrichtenmagazin "Focus". Putin bewege sich trotz Trumps Bemühungen überhaupt nicht. "Ich rate dringend, den Druck auf Russland aufrechtzuerhalten. Es ist doch wahrscheinlicher, dass es in der nächsten Zeit neue Sanktionen gegen Russland gibt, als dass Putin in Verhandlungen in eine Waffenruhe einlenkt", sagte Wadephul.

Großflächiger Luftangriff auf die Ukraine

Russland führt seit mehr als dreieinhalb Jahren einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Am Abend und in der Nacht kam es zu neuen Attacken aus der Luft. Nach Angaben der ukrainischen Luftstreitkräfte habe Russland seit Mittwochabend mit 629 Drohnen, Raketen und Marschflugkörpern angegriffen. 589 anfliegende Ziele habe die Flugabwehr zerstört, teilte die Luftwaffe mit. Die Zahl der Toten in der Hauptstadt Kiew nach den Angriffen stieg auf 14, wie die Behörden mitteilten. Zuvor war von acht Toten die Rede gewesen. Die Zahl der Verletzten wurde mit 48 angegeben.

Russland habe auch zwei Hyperschallraketen vom Typ Kinschal (Dolch), neun ballistische Raketen vom Typ Iskander sowie 20 Marschflugkörper vom Typ X-101 eingesetzt, hieß es von der ukrainischen Luftwaffe weiter. Einschläge habe es an 13 Orten im Land gegeben, zudem seien an 26 Stellen Trümmer abgeschossener Waffen eingeschlagen. Es habe durch die Angriffe Opfer in der Zivilbevölkerung gegeben. "Die russischen Kriegsverbrecher werden auf jeden Fall bestraft", hieß es in der Mitteilung weiter.

Präsident Selenskyj sprach den Angehörigen sein Beileid aus. Es könne noch Menschen unter den Trümmern eines getroffenen Wohnhauses geben, teilte der Präsident weiter mit. Dutzende weitere Menschen seien verletzt worden. "Russland entscheidet sich für Raketen anstelle des Verhandlungstischs", fügte er hinzu.

Ukraine-Krieg - Kiew
Immer wieder nimmt Russland Kiew ins Visier. © dpa / Efrem Lukatsky/AP/dpa

Schäden in EU-Vertretung in Kiew

Bei den Luftangriffen auf Kiew ist auch die Vertretung der Europäischen Union zu Schaden gekommen. Der ukrainische Außenminister Andrij Sybiha warf Russland auf X vor, gezielt Diplomaten ins Visier genommen zu haben.

Es handele sich um einen Verstoß gegen die Wiener Konvention, erforderlich sei eine internationale Verurteilung des Angriffs. "Wie drücken den EU-Kollegen unsere Solidarität aus und sind bereit, Unterstützung zu leisten", sagte Sybiha, der auch Fotos von Schäden in Büroräumen veröffentlichte.

EU-Erweiterungskommissarin Marta Kos verurteilte die "brutalen Angriffe" auf der Plattform X. "Ein klares Zeichen, dass Russland Frieden ablehnt & den Terror wählt", sagte sie.

EU-Außenbeauftragte wirft Moskau Eskalation vor

Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas forderte Russland auf, das Töten zu beenden und sich an den Verhandlungstisch zu begeben. "Während die Welt einen Weg zum Frieden sucht, antwortet Russland mit Raketen", schrieb sie auf der Plattform X. Mit seinen nächtlichen Angriffen auf Kiew strebe Russland eine weitere Eskalation in dem Krieg an und verspotte die Friedensbemühungen.

Ähnlich äußerte sich EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Nach Berichten über einen Treffer und Schäden in der EU-Vertretung in Kiew sagte sie, dass die Mitarbeiter in Sicherheit seien.

Luftalarm auch in Russland - Raffinerien angegriffen

Gleichzeitig gab es in Russland im Gebiet Lipezk zeitweise Luftalarm wegen anfliegender ukrainischer Drohnen, wie die staatliche Nachrichtenagentur Tass berichtete. Das russische Militär meldete den Abschuss ukrainischer Drohnen über den Gebieten Rostow, Belgorod, Smolensk und über der Schwarzmeer-Halbinsel Krim. Mehrere Flughäfen mussten den Betrieb sicherheitshalber einschränken.

Die Ukraine hat mit Drohnenangriffen in der Nacht zwei weitere Raffinerien in Russland getroffen: eine im südrussischen Gebiet Krasnodar, eine im Wolgagebiet Samara. Den Angriff auf die Raffinerie in der Ortschaft Afipski bestätigte der operative Stab des Gebiets Krasnodar auf Telegram. Der Brand sei am Morgen gelöscht worden, 63 Feuerwehrleute und 26 Löschfahrzeuge hätten daran mitgewirkt, hieß es. Angaben zum Ausmaß der Schäden gab es nicht. Die Anlage in Afipski steht mit einer Verarbeitungsmenge von etwa sieben Millionen Tonnen Öl und Gaskondensat pro Jahr auf Rang 21 der russischen Raffinerien.

Fünf Plätze dahinter findet sich die Raffinerie Kuibyschew im Gebiet Samara, die in der Nacht laut Medienberichten ebenfalls getroffen und dabei schwer beschädigt wurde. Das unabhängige Internetportal "Astra" verbreitete am Morgen Videos, auf denen kilometerhohe dunkle Rauchwolken über der Fabrik zu sehen waren. Offizielle Stellen in Samara haben den Angriff bislang nicht kommentiert. Der ukrainische Generalstab übernahm für beide Angriffe die Verantwortung.

Energieanlagen unter Beschuss

Tags zuvor hatten die russischen Luftangriffe nach offiziellen ukrainischen Angaben gezielt das Energiesystem der Ukraine beschädigt. Im nordukrainischen Gebiet Sumy sei nachts ein Umspannwerk getroffen worden, teilte das Energieministerium in Kiew auf Telegram mit. Im ostukrainischen Gebiet Poltawa wurde demnach das Gastransportsystem erheblich beschädigt. Weitere Treffer habe es in den Gebieten Tschernihiw, Charkiw und Donezk gegeben.

Die Angriffe sollten das ukrainische Energiesystem vor Beginn der Heizperiode schwächen, hieß es. Schon in den vergangenen drei Kriegswintern hatte Russland immer wieder gezielt Energieanlagen beschossen.

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Allerdings könnten die russischen Angriffe auch eine Antwort auf erfolgreiche ukrainische Attacken gegen die Öl- und Gasindustrie in Russland sein. Durch Drohnentreffer auf russische Raffinerien hat Russland nach Medienberichten 17 Prozent der Kapazitäten zur Ölverarbeitung verloren. In vielen Regionen herrscht Treibstoffmangel. (dpa/bearbeitet von mbo)

Teaserbild: © Kay Nietfeld/dpa