ORF-Chef Alexander Wrabetz weist "Maulkorb"-Vorwürfe von in- und ausländischen Medien über die Pläne für Social-Media-Guidelines zurück.

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Die Pläne für Social Media-Guidelines im ORF sorgen für Wirbel. Auf Twitter gehen die Wogen hoch, in- und ausländische Medien schrieben von einem "Maulkorb", und auch SPÖ-Mediensprecher Thomas Drozda ortet einen "Maulkorberlass".

ORF-Chef Alexander Wrabetz wies solche Vorwürfe am Mittwoch im APA-Gespräch als "absurd" zurück. Aber selbst Bundeskanzler Sebastian Kurz äußerte Skepsis zum Entwurf.

Eben deshalb betonte Wrabetz auch: Es handle sich um einen Entwurf, der diskutiert werde. Dieser Entwurf sei vergangenen Freitag an Redakteursrat, Zentralbetriebsrat, Chefredakteure und ORF-Direktoren gegangen, erklärte er.

Nachdem das Papier publik geworden war, schickte er nun noch eine Information an denselben Adressatenkreis nach: "Der guten Ordnung halber" hält er darin fest, dass der Text "ein Entwurf ist, der noch mit der Redakteursvertretung und dem Zentralbetriebsrat beraten wird", heißt es in dem der APA vorliegenden Schreiben: "Darüber hinaus bin ich für Anregungen im Hinblick auf Formulierungen dankbar."

"Das Ziel des Entwurfes ist es, auf Basis auch internationaler Vorbilder, die Grundsätze des ORF-Gesetzes und der Programmrichtlinien zur Sicherstellung der Objektivität und Glaubwürdigkeit der ORF-Information auf Social Media Aktivitäten zu übertragen", betont der Generaldirektor in dem Mail. "Zeitungsmeldungen, dass durch diesen Entwurf der kritische, unabhängige öffentlich-rechtliche Journalismus im ORF eingeschränkt werden soll, sind absurd und entbehren jeder Grundlage."

Kein Twitter-Verbot für ORF-Promis

In der zweiten Julihälfte werde es Gespräche mit Betriebs- und Redakteursrat geben, kündigte Wrabetz gegenüber der APA an. "Dann wird man sehen, wie so eine Empfehlung an die Mitarbeiter aussieht."

Den Vorwurf, dass ORF-Journalisten verboten werde, Kritik zu üben, lässt er nicht gelten: "Wenn man sich kritisch mit Fragen auseinandersetzt, muss man das so tun, dass nicht der Eindruck der Voreingenommenheit der journalistischen Arbeit im ORF entsteht. Das ist also eine Maßnahme, die den kritischen Journalismus im ORF absichern und nicht behindern soll."

Im Übrigen würden die Guidelines auch als "eine empfehlende Richtlinie ohne Sanktionen" ausgestaltet, betonte Wrabetz: Dass die journalistischen Vorgesetzten die Einhaltung "kontrollieren" sollen, "steht im zweiten Entwurf gar nicht mehr". Bei möglichen Verstößen seien keinerlei personalrechtliche Schritte wie etwa ein formeller Verweis in der Personalakte, vorgesehen.

Der ORF-Chef sieht auch keine Gefahr, dass ORF-Promis ihre publikumswirksamen Twitter-Aktivitäten einstellen müssen. Er verweist auf ZiB2-Moderator Armin Wolf: "Dessen Tweets sind in einem ganz hohen Ausmaß mit dem, was im Entwurf steht, kompatibel."

Einen Tweet Wolfs vom Mittwoch wollte Wrabetz aber nicht kommentieren. "JournalistInnen, die offen von polit. Parteien protegiert werden, zu befördern u. anderen jede polit. Äußerung zu verbieten, scheint mir doch etwas inkonsistent", hatte Wolf geschrieben.

"Mich darf man immer kritisieren", quittierte Wrabetz das nur trocken. Wolf hielt im selben Tweet fest: "Ich bin sehr dafür, dass ORF-JournalistInnen auch auf Social Media darauf achten, wo sie arbeiten (tue ich)."

Kurz sieht ORF-Richtlinien "sehr skeptisch"

SPÖ-Mediensprecher Thomas Drozda stößt sich vor allem am Zeitpunkt, zu dem die Pläne publik wurden. "Ich verfolge die Diskussion seit fünf Jahren. Warum kommt das jetzt?" Er vermutet Druck der ÖVP und FPÖ im ORF-Stiftungsrat.

Das Thema gehöre auf einer "breiten Ebene" diskutiert, und wenn man schon internationale Vorbilder von BBC bis "New York Times" zitiere, solle man sich auch "internationale Expertise" für diese Diskussion holen. "Was meines Wissens gar nicht geht, ist, private Meinungsäußerung zu untersagen", kritisierte Drozda: "Ich wäre natürlich auch dagegen, dass ein Wirtschaftsredakteur Anlagetipps gibt, aber trotz allem ist klar: Die Meinungsfreiheit gilt auch für Journalisten", wenn auch "die Verpflichtung gegenüber einem öffentlich-rechtlichen Unternehmen mit Objektivitätsgebot sicher strikter ist".

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zeigte sich am Mittwoch vom durchsickerten Entwurf einer neuen Social Media-Richtlinie für den ORF "mehr als nur überrascht". Es handle sich zwar um eine "Angelegenheit des ORF", aber den "Erlass" sehe er "sehr skeptisch", betonte Kurz im Pressefoyer nach dem Ministerrat.

Gefragt, ob die neue Richtlinie also ein Maulkorb der Regierungsparteien bzw. der erste Schritt Richtung "Neutralisierung" des ORF sei, wie sie der oberösterreichische FPÖ-Landesrat Elmar Podgorschek gefordert hatte, machte Kurz deutlich, dass er mit den Vorgaben wenig anfangen kann: "Ich halte die Meinungsfreiheit für ein hohes Gut." Er habe von der Richtlinie in der Zeitung gelesen und sehe sie "sehr skeptisch".

Kritik an Social Media-Vorschriften auch von NEOS

Weniger kritisch äußerte sich Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ): Es handle sich um eine "interne Angelegenheit" des ORF, dort sei die Fragestellung gut aufgehoben. In Sachen Meinungsfreiheit sei er mit dem Kanzler einer Meinung. Es gebe bei einem öffentlich-rechtlichen Sender aber schon die "Erwartungshaltung", dass dem öffentlich-rechtlichen Auftrag im Sinne von "neutraler" und "unabhängiger" und nicht "parteipolitischer" Berichterstattung nachgekommen werde, fügte der Vizekanzler hinzu.

Auch die NEOS kritisierten die geplanten Social Media-Vorschriften für ORF-Journalisten. Mediensprecherin Claudia Gamon zeigte sich am Mittwoch "irritiert": "Grundrechte wie die freie Meinungsäußerung sind unumstößlich und müssen für alle Journalisten gelten - gerade auch für jene des ORF", erklärte sie. Weitere Wortmeldungen beurteilten das Vorhaben ebenfalls ablehnend.

Gamon sieht es als "unbestritten" an, "dass für den ORF als öffentlich-rechtlichen Rundfunk besondere Standards gelten". Aber "dass Journalistinnen und Journalisten auch als Privatpersonen nicht mehr ihre Meinung kundtun dürfen, ist grundrechtlich höchst bedenklich. Ich hoffe sehr, dass die ORF-Führung diese Anweisung nicht in die Tat umsetzt".

Reporter ohne Grenzen: "Anschlag auf die Meinungs- und Pressefreiheit"

Der ORF-Zentralbetriebsratsvorsitzende Gerhard Moser verwies gegenüber dem "Standard" darauf, dass "Erlässe dieser Art" nur gelten, wenn sie "mit dem Zentralbetriebsrat, der Belegschaftsvertretung, besprochen und verhandelt werden. Was hier vorliegt, scheint, wie ich etlichen Stimmen aus dem Haus entnehmen kann, ein Kniefall des amtierenden Generaldirektors vor den schwarz-blauen Wünschen und Diktaten gegenüber ORF-Journalisten zu sein." Radiobetriebsrätin Gudrun Stindl meinte, sie "gehe davon aus, dass diese Richtlinien noch überarbeitet werden".

Der ÖJC ortete einen "massiven Verstoß gegen den Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention und gegen den Artikel 13 des Staatsgrundgesetzes", so Präsident Fred Turnheim. Gerhard Ruiss (IG Autorinnen Autoren) sah das genauso und sprach von einem "skandalösen Meinungsverbot für ORF-Journalisten".

Scharfe Worte kamen am Mittwoch von Reporter ohne Grenzen Österreich. Präsidentin Rubina Möhring sprach von einem "inakzeptablen Anschlag auf die Meinungs- und Pressefreiheit": "Grundrechte wie freie Meinungsäußerung müssen gerade auch für kritische Stimmen gelten." Möhring warnte vor einem "gefährlichen Schritt hin zu Vorschriften innerhalb eines autoritären Regimes".  © APA

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