Bundeskanzler Stocker bringt Wien als möglichen Ort für neue Atomgespräche mit dem Iran ins Spiel – und äußert sich auch zur Sicherheitslage am Golf, zur EMRK und zur künftigen Rolle der Ukraine in Europa.

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Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) hat Österreich als Gastgeber für Verhandlungen über das iranische Atomprogramm ins Spiel gebracht. "Wien würde sich als Verhandlungsort und Sitz der Atomenergieorganisation anbieten", sagte Stocker am Mittwoch im EU-Hauptausschuss des Nationalrates. Stocker begrüßte, dass sich die USA im Konflikt zwischen Israel und dem Iran als "Vermittler" und "bestimmende Kraft eingemengt haben" und eine Waffenruhe zustande gekommen sei.

Stocker sagte, dass er in diesem Zusammenhang auch Gespräche mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu und dem Sultan von Oman, Haitham bin Tariq, plant. Mit IAEA-Generaldirektor Rafael Grossi habe er bereits gesprochen, berichtete der Kanzler in einer Aussprache zum EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag. Die Gefahr, dass es durch den Konflikt zu einer Sperre der Straße von Hormuz mit entsprechend verheerenden Auswirkungen auf die internationalen Öllieferungen kommen könnte, schätzte Stocker als "nicht gegeben" ein. "Es gibt viele Interessen, die dem entgegenstehen, unter anderem auch das Interesse des Iran selbst."

Nein zu Suspendierung von EU-Israel-Abkommen

Der EU-Gipfel, bei dem es auch um die Themen Verteidigung, Migration, Ukraine, Erweiterung und EU-Budget geht, wird wohl ganz im Zeichen der kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten stehen. Europaministerin Claudia Plakolm (ÖVP) zeigte sich auf eine Frage der Grünen Nationalratsabgeordneten Meri Disoski ablehnend, was die Suspendierung des Assoziierungsabkommens mit Israel betrifft. "Wir brauchen die Gesprächskanäle (zu Israel, Anm.). Eine Suspendierung des Assoziierungsabkommens würde genau das gefährden", sagte sie.

In der Debatte ging es auch um den Komplettstopp russischer Energielieferungen und eine Verpflichtung auf die EU-Klimaziele 2040. Entsprechende Anträge der Grünen blieben ebenfalls in der Minderheit wie zwei FPÖ-Anträge zu den Themen Migration und gegen die vermeintlich neutralitätsgefährdende engere Kooperation von EU und NATO.

Kanzler spricht von EU-Eigenmitteln

Beim Thema EU-Budget ließ Stocker aufhorchen, indem er vom bisherigen Nein Österreichs zu EU-Eigenmitteln abzurücken schien. Als österreichische Zielsetzung für die Verhandlungen über das Mehrjahresbudget ab 2028 gab er aus, dass weder das Gesamtbudget noch die österreichischen Beiträge steigen sollen. Allerdings beginne in der nächsten Periode auch die Rückzahlung der von der EU-Kommission aufgenommenen Corona-Wiederaufbauhilfen, mit einem Umfang von 30 Milliarden Euro pro Jahr. "Da sind neue Eigenmittel etwas, was überlegt wird. In diese Richtung verläuft die Diskussion", sagte er.

Eine Absage erteilte Stocker auf eine Frage des FPÖ-Abgeordneten Axel Kassegger einer raschen Vollmitgliedschaft der aktuellen Beitrittskandidaten. Einen Beitritt im Jahr 2030 "sehe ich nicht", sagte er. Stattdessen solle auf eine "graduelle Integration" der Kandidatenländer gesetzt werden, etwa indem sie ohne Stimmrecht an Sitzungen teilnehmen können. Plakolm bekräftigte die österreichische Position, dass es "keine zwei Klassen von Beitrittskandidaten geben kann" und verwies konkret auf den Vorschlag der EU-Kommission, lediglich für die Ukraine die Roaminggebühren im Mobilfunk abzuschaffen. Es brauche auch für die Menschen am Westbalkan "greifbare und spürbare Fortschritte".

EMRK soll von Regierungen "authentisch interpretiert" werden

Stocker unterstützte auch seinen Vorstoß für eine Neuauslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) im Migrationsbereich. Es sei diesbezüglich am Rande des EU-Gipfels ein Treffen der gleichgesinnten Staaten geplant, kündigte er an. Weder gehe es darum, die Konvention zu ändern noch den Gerichtshof in seiner Unabhängigkeit zu beschränken.

Vielmehr sollen die Mitgliedsstaaten eine sogenannte "authentische Interpretation" beschließen, also dem Gerichtshof vorgeben, wie bestimmte Artikel der EMRK auszulegen sind. "Es ist ein rechtsstaatliches Instrument, authentisch zu interpretieren", sagte der Rechtsanwalt. Allerdings brauche es dafür einer Übereinstimmung der einzelnen Mitgliedsstaaten. "Wir werden in den nächsten Sitzungen darüber reden, wie wir im Europäischen Rat mit diesem Thema umgehen", so Stocker, der auch darauf hinwies, dass der EMRK neben den EU-Mitgliedern noch weitere europäische Staaten angehören.

Trump werde Ukraine-Frage "wieder einholen"

Am EU-Gipfel wird auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj teilnehmen, so Stocker. Bei dessen Besuch in der Vorwoche habe er Österreich als Verhandlungsort vorgeschlagen, doch sei die Lage derzeit "ziemlich eindeutig", so der Kanzler. Friedensverhandlungen könne es derzeit nicht geben, weil Russland kein Interesse daran habe. "Solange (Kreml-Chef Wladimir) Putin glaubt, dass er im Krieg mehr erreicht als in Verhandlungen, wird es sehr schwer sein", sagte Stocker.

Umso wichtiger sei, dass Europa weiterhin mit der Ukraine solidarisch bleibe. Wenn diese Solidarität nicht gegeben sei, "dann wird Putin sicher glauben, dass er im Krieg mehr erreicht", so Stocker, der auch die Erwartung äußerte, dass diese Frage auch US-Präsident Donald Trump "wieder einholen" werde, nachdem er zwischenzeitig "das Spielfeld gewechselt hat, von der Ukraine zum Iran". (APA/bearbeitet von skr)