"Wir wollen uns vom islamistischen Terror nicht das Leben diktieren lassen" - so lautet das Mantra der westlichen Welt. Tatsächlich aber hat der Terror durchaus unseren Alltag erodiert. Auch in Deutschland greifen Regeln und Gesetze, wie jüngst die Bargeld-Obergrenze, in unser Leben ein. Einiges davon beschränkt unseren Komfort. Interessant aber ist, wie wir mit der Terrorgefahr und den Konsequenzen tatsächlich umgehen.

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"Wer das Bargeld abschafft, schafft die Freiheit ab", sagte der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger vor einigen Monaten in einem Interview.

Ganz so weit ist es noch nicht, aber die Bundesregierung will künftig Bargeschäfte über 5.000 Euro verbieten - ein Einschnitt in die persönliche Freiheit der Bürger. Begründet wird die Maßnahme auch mit dem Kampf gegen die Finanzströme des internationalen Terrors.

Das wirkt einerseits logisch, andererseits aber auch so, als trauten die Politiker ihren eigenen Worten nicht. "Unser freies Leben ist stärker als jeder Terror", das sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem Terror in Paris.

Wir lassen uns nicht einschüchtern, nicht beirren, so lautete die Botschaft der Politik an die Menschen.

Dabei prägt die Terrorgefahr den Alltag in Deutschland schon seit dem 11. September 2001. Die Einführung einer Obergrenze für Barzahlungen wäre nur eine weitere Begleiterscheinung - an die meisten haben sich die Menschen längst gewöhnt.

Einschränkungen bei Flugreisen

Sofort nach den Anschlägen von Al-Kaida in den USA verschärften die Behörden die Sicherheitsbestimmungen im Flugverkehr – die Kontrollen dauern seitdem erheblich länger. Wer in die USA einreisen will, muss seit 2004 sogar einen Fingerabdruck abgeben. Ein Jahr später beschloss die deutsche Bundesregierung das Luftsicherheitsgesetz.

Feuerzeuge, Nagelscheren und Regenschirme dürfen nicht mehr ins Handgepäck. Wer an einem Flughafen arbeiten will, wird vorab einer intensiveren Sicherheitsüberprüfung unterzogen.

Im November 2006 schließlich verfügt die EU, dass Passagiere nur noch Flüssigkeiten bis 100 Milliliter mitnehmen dürfen. Das Verbot sollte schon vor Jahren wieder aufgehoben werden, 2016 soll es tatsächlich soweit sein.

Bürgerrechte werden aufgeweicht

Der Abgleich von Passagierdaten war eines der zentralen Punkte des Sicherheitsgesetzes, das der damalige Innenminister Otto Schily (SPD) nach 9/11 durch den Bundestag brachte.

Im Januar 2002 trat der "Otto-Katalog" in Kraft, der weitgehende Befugnisse für die Sicherheitsbehörden beinhaltete: Im "Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum" arbeiten Geheimdienst und Polizei zusammen, was vorher undenkbar war.

Es entstand eine Antiterrordatei, die allerdings in Teilen vom Bundesverfassungsgericht beanstandet wurde, weil auch unbescholtene Bürger ins Visier der Sicherheitsbehörden geraten könnten.

Und die Maßnahmen werden weiter ausgebaut. Erst im Herbst 2015 verabschiedete der Bundestag ein modifiziertes Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung, die 2010 in der alten Fassung vom Bundesverfassungsgericht kassiert worden war.

Vorratsdatenspeicherung, Antiterrordatei - diese Maßnahmen greifen nicht sichtbar in den Alltag ein. Nach den Anschlägen auf das World Trade Center war es selten, dass die Terrorabwehr für die Menschen in Deutschland wirklich fühlbar wurde.

Eine Ausnahme war der Herbst 2010, als Innenminister Thomas de Maiziere öffentlich vor einem Anschlag warnte und Polizisten mit Maschinenpistolen in Berlin patrouillierten.

Bedrohung durch "abstrakte Gefahr"

Das hat sich seit dem vergangenen Jahr geändert. Im Februar sagte die Stadt Braunschweig nach "konkreten Hinweisen auf einen geplanten Anschlag" den Karneval ab. Die Quelle erwies sich als schwach, aber die Jecken durften nicht feiern.

Wie gefährlich die Situation in Hannover bei Deutschlands Länderspiel gegen Holland wirklich war, als kurz nach den Anschlägen von Paris die Partie Stunden vor Anpfiff abgesagt wurde, ist noch immer unklar.

Die Verunsicherung griff auch auf die Bundesliga über – am ersten Spieltag nach Paris starteten einige Spiele mit Verzögerung, weil die Sicherheitskontrollen verschärft worden waren.

In den Tagen nach dem Anschlag in Frankreichs Hauptstadt gab es an den Grenzübergängen zwischen Frankreich und Deutschland ungewohnte Bilder: Polizisten stoppten Autos und durchsuchten Züge.

Die Grenzen im Schengen-Raum sind eigentlich offen, doch auch wegen des Verdachts auf eingeschleuste Terroristen in Flüchtlingsgruppen gehören Kontrollen und die entsprechenden Wartezeiten wieder zum gewohnten Bild.

Für die Bürger eine Geduldsprobe, für die Wirtschaft ein Ärgernis: Werden flächendeckende Kontrollen eingeführt, kostet das die deutsche Wirtschaft rund zehn Milliarden Euro im Jahr, warnt der Deutsche Industrie-und Handelskammertag.

Eigentlich drängt die Europäische Union darauf, dass die Grenzen wieder offen gehalten werden – doch Innenminister de Maiziere will sich laut eigener Aussage bis mindestens 2017 Kontrollen vorbehalten, andere EU-Länder wie Österreich und Belgien halten es ähnlich.

Der Faktor Angst

In der Silvesternacht erhielten die Behörden in München Hinweise von ausländischen Geheimdiensten über einen geplanten Anschlag. 550 Polizisten riegelten den Hauptbahnhof und den Bahnhof Pasing ab, die Öffentlichkeit wurde über soziale Netzwerke gewarnt.

Doch von einer Panik keine Spur – die meisten Menschen feierten ganz normal weiter ins neue Jahr.

Hier besteht offensichtlich ein Widerspruch: Zwei Drittel der Bundesbürger glauben laut einer Umfrage von YouGov an einen Anschlag des IS in Deutschland im nächsten Jahr. Auch Bundesinnenminister de Maizière bleibt bei seinem Warnung: "Die Lage in Europa und auch in Deutschland bleibt ernst."

Das heißt aber nicht, dass die Menschen deswegen ihr Verhalten ändern. "Es gibt Menschen, die überlegen rational und rechnen zum Beispiel mal hoch, wie viele Menschen bisher in Deutschland an Terroranschlägen gestorben sind", sagte der Psychologe Andreas Fallgatter jüngst im Interview mit unserer Redaktion.

Deswegen gehen die Menschen auch weiter auf Weihnachtsmärkte und zum Karneval – nur eben begleitet von mehr Polizei als üblich, was laut Terrorexperte Rolf Tophoven eine Möglichkeit ist, den Menschen die Angst zu nehmen.

"Die kann man durch beruhigende Erklärungen eindämmen oder durch sichtbare Präsenz", sagte er dem Sender n-tv. Allerdings sei es manchmal auch richtig, nicht viele Worte über die Sicherheitsmaßnahmen zu verlieren, um der Gegenseite keinen Einblick zu gewähren.

So, wie die Deutschen weiter den Karneval besuchen, werden sie auch weiter in den Urlaub fahren – auch wenn dort die Gefahr des Terrors lauert. Nach dem Anschlag in Istanbul mit zehn Todesopfern im Januar packten viele Türkei-Reisende ihre Koffer.

Doch: "Der Tourist an sich vergisst schnell", sagte Jürgen Schmude, Professor für Tourismuswirtschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München vor einigen Wochen im Gespräch mit diesem Portal.

Er erwartet einen kurzfristigen Einbruch der Reisen in die Türkei. Wenn sich die Lage dort beruhigen sollte, werde das aber kein langfristiger Trend sein.

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