Immer mehr Städte in den USA erklären sich zu sogenannten Sanctuary Cities und bieten Schutz für Migranten. Diese Entwicklung steht im Widerspruch zu den strengen Einwanderungsgesetzen der Trump-Regierung und wirft Fragen auf: Dürfen die das? Und haben sie Erfolg?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Dominik Bardow sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Sanctuary Cities - so werden in den USA Städte genannt, die sich weigern, Einwanderer an Bundesbehörden auszuliefern. Diese Bewegung gewinnt an Fahrt in den USA, während die Trump-Regierung versucht, ihre strengen Einwanderungspolitiken durchzusetzen. Zwei Experten beleuchtet die Hintergründe, die rechtlichen Aspekte und ob das Konzept von Los Angeles & Co. eine Vorlage für Europa sein könnte.

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Jetzt wehrt sich auch der Baseball: Die Los Angeles Dodgers verwiesen kürzlich Agenten der US-Ausländerbehörde ICE des Stadiongeländes, als Gerüchte über Festnahmen von Fans aufkamen.

Unbeachtet der weltpolitischen Krisen in Nahost gehen die Abschieberazzien in den USA weiter. Dagegen formieren sich, nach den Protesten in L.A., immer mehr sogenannte "Sanctuary Cites".

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Der Oberste Gerichtshof hat die Anordnung eines Richters aus Boston aufgehoben. Durch diese sollten Abschiebungen in sogenannte Drittstaaten eingeschränkt werden. Die US-Regierung hatte in einem Eilantrag gegen diese Anordnung geklagt. Das Urteil ist ein Erfolg für Trumps strikte Einwanderungspolitik.

Das sind Städte und Gemeinden in den USA, die Zusammenarbeit mit Bundesbehörden verweigern oder Abschiebungen erschweren, in dem sie Einwanderern ohne Aufenthaltserlaubnis Schutz bieten.

Speziell Metropolen wie Boston, Chicago oder New York widersetzen sich Präsident Donald Trump bei geplanten Massenabschiebungen. Kann es ihnen gelingen, sie zu stoppen - und das ganz legal?

Zufluchtsstädte: Ein Konzept aus dem Mittelalter

Um das zu klären, muss man zunächst erläutern, wie eine Stadt überhaupt "Sanctuary City" wird. Stefanie Kron, Professorin in Berlin, gab ein Buch zu solidarischen Städten in Europa mit heraus, die folglich kein rein amerikanisches Konzept sind. "Der Begriff hat historische Wurzeln, die bis ins Mittelalter zurückreichen", erklärt sie im Gespräch mit unserer Redaktion. Damals hätte etwa Nürnberg Verfolgten Zuflucht geboten.

In den 1980er-Jahren wurde der Begriff populär, als Flüchtlinge aus Zentralamerika kein Asyl von der US-Regierung erhielten. San Francisco war damals erste "Zufluchtsstadt", wie Kron übersetzt.

Zunächst ist das symbolisch: Die Stadtverwaltung erklärt öffentlich, sich für Migrantinnen und Migranten einzusetzen. Sie kann auch Dekrete erlassen, etwa, dass die lokale Polizei nicht bei Abschiebungen kooperiert.

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Dies sei möglich, da die US-Struktur den Kommunen mehr rechtliche Kompetenzen einräumt als in Deutschland, wo Pass- und Meldegesetze Bundesgesetze sind, die Städte nicht ignorieren können. Kron erstellte ein Gutachten für den rot-rot-grünen Senat in Berlin, dass nur weichere solidarische Maßnahmen möglich sind, wie etwa ohne Papiere Zugang zu Gesundheitsdiensten zu gewähren.

Befürworter der Sanctuary Cities argumentieren dabei, dass sie den sozialen Zusammenhalt fördern und die Sicherheit erhöhen, da Migrantinnen und Migranten ohne Aufenthaltsstatus sich in Städten einbringen können. Kritiker befürchten, dass solche Städte Kriminelle anziehen könnten. Kron widerspricht, dass dafür empirische Belege fehlten und kritisiert schlechte Bedingungen für viele Migrantinnen und Migranten in Deutschland.

US-Ministerium bedroht über 500 Sanctuary Cities

In den USA hingegen sieht die Trump-Regierung "Sanctuary Cities" längst als offenes Feindbild. Das Heimatschutzministerium veröffentlichte eine Liste von über 500 Orten, die Hindernisse für die Durchsetzung von Einwanderungsgesetzen seien und denen Bundesmittel entzogen werden sollen - fast alle demokratisch regiert, auch wenn versehentlich Trump-Unterstützer auf die Liste gerieten.

Eine Organisation, die den Druck auf US-Gemeinden schildern kann, heißt "Public Rights Project" (PRP). PRP hilft gemeinnützig lokalen Regierungen, Bürgerrechte zu verteidigen, etwa bei Rechtsstreits. Das Netzwerk besteht aus über 200 Partnern, darunter eine Multi-City-Gruppe von 70 Städten und Landkreisen, die sich eng über Herausforderungen, speziell im Bereich Einwanderung austauschen.

Eine Organisation hilft Städten bei Klagen

ICE steht in der Kritik, überfallartige Festnahmen von Migrantinnen und Migranten durchzuführen, um die hohe Zahl von 3.000 Festnahmen pro Tag zu erreichen, die inhaftiert und danach abgeschoben werden sollen.

"Unsere Partner sind sehr besorgt über das aggressive Vorgehen der Trump-Regierung, die lokale Regierungen zwingen möchte, Teil der ICE-Zugriffe zu werden", so Jon Miller, Progammleiter bei PRP, gegenüber unserer Redaktion Es werde gedroht mit der Kürzung von Bundesmitteln, straf- und zivilrechtlichen Klagen. Dies erzeuge zum einen Angst in den Gemeinschaften selbst, zum anderen Druck auf Regierungen.

Dabei sei die Rechtslage ähnlich wie in Deutschland: Man könne Bundesrecht nicht widersprechen, aber nicht gezwungen werden, es durchzusetzen, erklärt Miller. So ist auch zu verstehen, warum Trump 2.000 Nationalgardisten nach L.A. schickte, gegen den Willen der dortigen Regierungen. PRP klagt zusammen mit einer Koalition von 16 Gemeinden in Kalifornien gegen Trumps Exekutivverordnungen. "Wir beraten Städte und Beamte, andere Gruppen bieten direkte Unterstützung für Einwanderer."

Bürgermeisterkandidat in New York verhaftet

Diese anderen Initiativen finanzieren etwa Anwälte, sprechen mit Einwanderern über Asylanträge. Es gebe Bestrebungen, diesen Organisationen Bundesmittel zu streichen, PRP sei nicht betroffen, da spendenbasiert, sagt Miller, der glaubt, dass die Bewegung der "Sanctuary Cities" dennoch wächst. "Wir sehen, dass immer mehr lokale Regierungen bereit sind, sich in den Kampf einzubringen, vor Gericht zu gehen und ihre Werte zu leben." Er sieht daher Momentum auf Seiten des Widerstands.

Was Effekte und Statistiken angeht, verweist Miller auf Bostons Bürgermeisterin Michelle Wu, die im US-Kongress ihre progressive Einwanderungspolitik mit Zahlen verteidigte. Sie betonte, Boston sei die sicherste US-Großstadt, die Mordrate in den letzten zwei Jahren um 40 Prozent gesunken. In New York wurde derweil Bürgermeisterkandidat Brad Lander im Juni von ICE-Beamten festgenommen, als er versuchte, einem Migranten in einem Einwanderungsgericht zu helfen.

Es seien herausfordernde Zeiten, sagt Anwalt Miller vom PRP. "Wir sind unglaublich stolz darauf, an der Seite dieser mutigen Führungspersönlichkeiten zu stehen, die bereit sind, sich zu erheben."

Der Ausgang ist ungewiss. Professorin Kron sagt: "Es ist wichtig, dass sich auch nicht betroffene Menschen engagieren, dafür, dass Gesetze eingehalten, andere über ihre Rechte informiert werden."

Über die Gesprächspartner

  • Jon Miller ist Programmleiter beim Public Rights Project. Die Organisation setzt sich seit 2017 für die Rechte von marginalisierten Gruppen ein und hat Gerichtsurteile mit über 46 Millionen Euro an Entschädigungen erwirkt. Miller ist erfahrener Anwalt und Dozent an der Harvard Law School.
  • Stefanie Kron ist Professorin für Soziale Arbeit mit Schwerpunkt Quantitative und Qualitative Forschung an der Evangelischen Hochschule Berlin (EHB) und hat mit der ehemaligen Berliner Senatorin Wenke Christoph (Linke) ein Buch über solidarische Städte in Europa herausgegeben.

Verwendete Quellen