Rockstar-Biografie, Theater, One-Man-Show - der Frontmann von U2 berichtet in "Stories of Surrender" von der Bandgründung und seiner Beziehung zu seinen Eltern. Ein schonungsloses Porträt.
Zuerst ist nur die Stimme von Bono zu hören. Er glaube daran, sagt er, dass für niemanden die eigene Geschichte so interessant sei wie für einen selbst. Und eine Autobiografie, das sei noch mal eine ganz andere Liga der Nabelschau. Tja, und wenn diese Nabelschau von Bono, Frontmann der Rockband U2, betrieben wird, ist das noch einmal eine ganz andere Dimension der Selbstdarstellung.
Zuerst war die Autobiografie "Surrender", dann die Ein-Mann-Show "Stories of Surrender: An Evening of Words, Music and Some Mischief". Eine Mischung aus Theater, Musik, Lesung, Erzählung und vor allem Bonos überlebensgroßer Selbstdarstellung, mit der er auf Tournee ging. Apple+ ließ die intime Performance – zumindest für jemanden, der Stadien gewohnt ist – filmen und stellte das Ergebnis bei den Filmfestspielen in Cannes vor.
Die Film-Version der Show-Autobiografie erscheint am 30. Mai. Gedreht wurde in Schwarz-Weiß, wobei eine Version in 2D und eine weitere für Apples Virtual-Reality-Brille Vision Pro entstand. Letztere bietet laut Pressetext ein 180-Grad-Erlebnis, das Zuschauer direkt zu Bono auf die Bühne bringt.
Mit fortschrittlicher Technik kennen sich U2 aus. Ihre Tourneen mit riesigen Videoinstallationen setzten Maßstäbe. 2023 eröffneten sie in Las Vegas "The Sphere", eine kugelförmige Arena mit der weltgrößten LED-Wand. "Bono: Stories of Surrender" ist jetzt so etwas wie Las Vegas für zu Hause, so zumindest die Hoffnung.
Bisher blieben die Verkaufszahlen der mit mindestens 4.000 Euro teuren Vision Pro weit hinter den Erwartungen. Im vergangenen Jahr sollen es weltweit weniger als 500.000 Stück gewesen sein. Der Konzern erwartete über eine Million, weshalb Bono pflichtschuldig zur Veröffentlichung verkündet, dass Apple den Preis für seine Brille bald senken könnte.
Zwei Mitglieder von U2 verstecken sich vor Pavarotti
Doch auch ohne die technische Spielerei legt sich der Rockstar ins Zeug. Eine solche überbordende Form der Selbstdarstellung als Bühnenfigur ist heute, in Zeiten, in denen sich Stars vor allem nahbar geben, fast in Vergessenheit geraten.
Bono tänzelt über die Bühne, zitiert Verse, spricht mit seinen abwesenden Bandkollegen, die er als drei leere Stühle auf die Bühne holt. Er erzählt, wie der große italienische Tenor Luciano Pavarotti unangekündigt U2 überraschte und sich zwei seiner Bandkollegen vor ihm versteckten.
Das Publikum ist ganz verzückt vor so viel Nähe zu dem sonst so weit entfernten Star. Bono performt ganz ohne seine Band, singt Hits wie "Sunday Bloody Sunday", nur von Harfe und Cello begleitet. Auffällig ist dabei, wie eindringlich und sicher die Stimme des mittlerweile 65-Jährigen immer noch klingt. Er erzählt von der Bandgründung, seinem sozialen Engagement, Ruhm, Glauben, Eitelkeiten und Luxusleben versus dem Kampf gegen Hunger und Ungerechtigkeit.
Keine Anerkennung vom Vater
Vor allem ist "Bono: Stories of Surrender" aber die Geschichte des Verhältnisses zu seinen Eltern. Seine Mutter stirbt an einem Aneurysma auf der Beerdigung ihres Vaters, Bono ist zu diesem Zeitpunkt vierzehn. Sein Vater, Bob, reagiert darauf mit Schweigen. Er wird nie wieder von ihr sprechen, er tilgt sie komplett aus seinem Leben und dem seiner beiden Söhne.
So ist Bonos Ein-Mann-Show über weite Strecken vor allem ein Abarbeiten an seinem Vater. Er parodiert ihn, amüsant, aber auch traurig. Das regelmäßige Zusammentreffen der beiden läuft immer wieder auf die gleiche Weise ab: "Irgendetwas Seltsames oder Erschreckendes?", fragt sein Vater. Sein Sohn erzählt, was ihm in seinem wilden Leben widerfahren ist. Doch Stolz darüber, dass Bono einer der größten Rockstars der Welt ist, kann der Vater bis zu seinem Tod nicht zeigen.
Vielleicht ist es das, was Paul David Hewson, so der richtige Name des Sängers, in "Bono: Stories of Surrender" am menschlichsten macht: dass einer, der alles erreicht hat, was es zu erreichen gibt, der von Millionen von Menschen bewundert wird, sich am Ende auch nur die Zuneigung seines Vaters wünscht.
Ein echtes Happy End bietet "Bono: Stories of Surrender" nicht. Der Vater bleibt bis zum Tod verbittert, Bono hat damit aber seinen Frieden geschlossen und daraus etwas ganz Eigenes geschaffen. Pathos, Glauben und Kunst – Bono eben.