In ihrem neunten Fall der ZDF-Krimireihe "In Wahrheit" untersucht Kommissarin Mohn den Tod einer Frau, deren Ehemann eine App zur Krebs-Früherkennung entwickelt hatte. Im Interview mit unserer Redaktion spricht Hauptdarstellerin Christina Hecke über die Faszination Mord, grünes Drehen und die schwierige Lage der deutschen Filmbranche.
Im neuen Film "In Wahrheit – Für immer dein" (am 06.09. um 20:15 Uhr im ZDF) ermittelt Kriminalhauptkommissarin Judith Mohn mit ihrem Kollegen Freddy Breyer (gespielt von Robin Sondermann) die Geschehnisse rund den Tod einer Frau, deren Sohn plötzlich ohne Mutter aufwachsen muss. Der hinterbliebene Ehemann hatte eine App zur Früherkennung von Hautkrebs entwickelt. Steht der Mord damit im Zusammenhang? Oder liegt ein Motiv innerhalb der Familie vor?
Wir haben mit Hauptdarstellerin Christina Hecke über die Krimireihe und das Phänomen des Voyeurismus, aktuelle Herausforderungen in der deutschen Filmbranche und ihre Erfahrungen aus ihrer Zeit im Rettungsdienst gesprochen.
Frau Hecke, wie viel Wahrheit steckt in der Krimireihe "In Wahrheit"?
Christina Hecke: Bei "In Wahrheit" ist der Titel für uns Arbeitsvorgabe. Wir erzählen keine True-Crime-Fälle. Und doch setzen sich alle Filme aus Versatzstücken zusammen, die irgendwann einmal irgendwo nahezu genauso geschehen sind. Es gibt nichts unter der Sonne, was wirklich neu ist. In unseren Filmen behandeln wir zwischenmenschliche Themen wie beispielsweise "Was bedeutet eigentlich Liebe?" oder "Was machen wir alles für die Liebe?".
Was heißt das auf den neuen Fall bezogen?
Wir beschäftigen uns mit der Frage, wie verzweifelt man werden kann, wenn etwas nicht nach Plan verläuft – und das nicht nur im Kontext einer Liebesbeziehung, sondern zum Beispiel auch im Verhältnis zwischen einem Vater und einem Sohn. Was passiert, wenn man andauernd mit Erwartungen konfrontiert ist, die man scheinbar nicht zu erfüllen vermag? Oder umgekehrt, aus der Perspektive des Sohnes: Was bedeutet es, wenn man permanent um die Anerkennung des Vaters, der Ehefrau oder des Umfelds buhlt, weil man seinen eigenen Selbstwert nicht kennt?
Mit Inhalten wie diesen erfinden wir das Rad sicher nicht neu. Aber: Dass wir diese Themen, die Menschen seit jeher umtreiben, bis heute nicht überwunden haben, zeigt doch, wie schwer wir uns mit der Aufarbeitung tun. Daher ist es wichtig, von allen Richtungen immer wieder aufs Neue draufzuschauen.
Aber warum ausgerechnet in Form eines Krimis?
Bei der Reihe "In Wahrheit" gibt der Kriminalfall den Film vor. Ich stehe aber dafür, zunächst möglichst wertneutral auf beide Seiten zu blicken – also sowohl auf die des Opfers als auch auf die des Täters. Meistens handelt es sich nämlich um eine Kollision der Dinge. Wir versuchen, den Kriminalfall nicht nur auszustellen, sondern ihn flächendeckend zu betrachten.
"Morde geschehen, seit es die Menschheit gibt."
Was fasziniert Menschen so sehr an einem Mord?
Morde geschehen, seit es die Menschheit gibt. Allein diese Tatsache übt eine große Faszination aus. Hinzu kommt der Faktor Neugier. Denn was passiert, wenn irgendwo ein Unfall geschieht oder zwei Menschen sich prügeln? Einige gaffen, andere zücken ihr Handy und filmen das "Ereignis".
Ich habe mal eine Zeit lang im Rettungsdienst gearbeitet – das größte Problem sind die Gaffer. Entweder stehen sie im Weg oder sie kippen um, weil sie den Anblick nicht ertragen können. Um Letztere musst du dich als Sanitäterin oder Sanitäter dann auch noch kümmern.
Laufen im deutschen Fernsehen mittlerweile zu viele Krimis?
Das Phänomen des Voyeurismus ist so tief in uns verankert, dass wir im Grunde genommen so viele Krimis erzählen können, wie wir wollen – ohne damit jemanden zu übersättigen. Unser Programm gestaltet sich aus zwei Perspektiven: Die eine zielt auf den Nachfragehorizont ab. Lässt sich anhand der Quote ablesen, dass die Leute gerne Krimis schauen, dann liefert ihnen der Anbieter – in diesem Fall die öffentlich-rechtlichen Anstalten – eben mehr davon. Daher gibt es meiner Ansicht nach nicht "zu viele" Krimis.
"Preise im Eimer": Darum geht es der deutschen Filmbranche nicht gut
Der andere Faktor ist, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen in den vergangenen Jahren unter Beschuss geraten und auch politisch infrage gestellt worden ist. Dies hatte zur Folge, dass in gewisser Weise der Kurs Sicherheit eingeschlagen wurde. Es wird produziert und gesendet, was bisher gut funktioniert hat. Experimentelle Sachen finden seltener statt. Das Kino orientiert sich am großen Kassenschlager und setzt auf große Namen, um das Publikum anzuziehen und so sicherzugehen, dass Geld in die Kassen gespült wird.
Woran liegt es, dass scheinbar zu wenig Geld da ist, um ins Risiko gehen zu können?
Der deutschen Filmbranche geht es schon seit zwei, drei Jahren per se nicht mehr so gut. Es werden deutlich weniger Produktionen gemacht, auch seitdem sich die Streamer zum Großteil zurückgezogen haben. Die Preise sind quasi im Eimer – und im Gegensatz zu allen anderen europäischen Ländern fehlt es an der Reinvestitionsverpflichtung für ausländische Dritte.
Die Gebühren werden nicht erhöht, wozu aktuell die zweite Verfassungsbeschwerde läuft. Einige große Firmen haben bereits im großen Stil entlassen müssen, und mit den Zahlen wird Augenwischerei betrieben. Von 250 Millionen Euro im kommenden Jahr für die Förderung im Kino wird gesprochen. Dabei waren es immer 120 Millionen, und die 130 Millionen kämen aus der Reinvestitionsverpflichtung – die wir aber noch nicht haben. Also kein wirklicher Aufwind. Sondergagen sind das Tagesgeschäft.
Hadern Sie damit?
Zumindest wundere ich mich. Wir wollen das Fernsehen erhalten, müssen aber im Programm zurückschrauben, weil wir die Kosten nicht mehr decken können, was den Gegnern in die Karten spielt. Der Zuschauer fragt zu Recht: Mehrere Milliarden – wo gehen die hin?
Hinzu kommen Auflagen des Staates (etwa grünes Drehen), die zum Beispiel vorgeben, Elektroautos statt Benziner zu mieten. E-Autos kosten allein schon ein Vielfaches mehr an Miete. Das ist ja nicht falsch, aber in der Summe bleibt weniger bei den Produktionsfirmen, die dann auch weniger bereit sind, beim Produzieren von alternativen Inhalten ins Risiko zu gehen.
Wünschen Sie sich als Schauspielerin mutigere Rollen?
Ja, wir müssen mutiger werden. Aber auch hier stellt sich die Frage, ob wir als Publikum überhaupt willens sind, andere Stoffe zu sehen. Ich persönlich bin der Meinung, dass das so ist. Der Mainstream mag mit dem Programm so, wie es sich aktuell darstellt, d'accord sein. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass viele Leute sagen: "Gebt uns doch mal etwas Neues!" Oder: "Seid doch mal mutig und zeigt uns die Brutalität des Lebens!"
"Warum zeigen wir nicht auch mal, wie hässlich das Miteinander mitunter sein kann?"
Was meinen Sie damit?
Es ist eine Tatsache, dass häusliche Gewalt während Corona exorbitant zugenommen hat. Und es ist statistisch erwiesen, dass Missbrauch meist innerhalb der Familie stattfindet und nicht vom bösen Fremden verübt wird. Warum zeigen wir also nicht auch mal, wie hässlich das Miteinander mitunter sein kann?
Wir sind immer noch zu ängstlich, weil natürlich immer das Risiko besteht, Gewalt zu verherrlichen. Die Verantwortung liegt hier aber ganz klar bei allen gemeinsam: den Redakteuren, Regisseuren, Autoren, Darstellern und Produzenten.
In dem Film kommt eine App zur Früherkennung von Hautkrebs zur Sprache. Wie stehen Sie zu solchen Tools?
Es geht gar nicht darum, was ich davon halte. In unserem Film hat sich jemand zu sehr auf eine App verlassen. Vielleicht können wir mit diesem inhaltlichen Strang ja eine Diskussion darüber anstoßen, wie verantwortlich der User mit einer Gesundheits-App umgeht.
In meiner Familie gibt es sowohl Fälle von weißem als auch von schwarzem Hautkrebs. Wenn eine App dazu beiträgt, dass jemand den Arzt aufsucht, dann finde ich dieses Tool total sinnvoll. Aber der Schritt, zum Arzt zu gehen, darf nicht ausbleiben.
Der Fall beginnt sehr emotional. Ein Ehemann weint bitterlich, als er vom Tod seiner Ehefrau erfährt. Ein kleiner Junge muss von einem auf den anderen Moment ohne Mutter aufwachsen. Wie schwierig war es für Sie, in der Rolle der Kommissarin da den richtigen Ton zu treffen?
Auf solche Situationen kann man sich nicht vorbereiten. Auch das habe ich während meiner Zeit im Rettungsdienst gelernt: Wenn ein Unfall passiert und Tränen fließen, hilft dir keine Schablone. Ich funktioniere so nicht. Und daher kann ich das auch nicht auf meine Figur der Judith Mohn übertragen.
Wie gehen Sie vor?
Man kann und sollte sich von einer Situation berühren lassen. Wichtig aber ist, dass man den Platz der Beobachterin oder des Beobachters nie aufgibt. Wenn man das nämlich macht, wird man in das Drama hineingesogen, man verliert den Überblick.
Empfehlungen der Redaktion
Von der Position der Beobachterin aus bekomme ich hingegen Impulse, was zu tun ist. Irgendwann muss man als Kommissarin die entsprechenden Fragen stellen. "Wann haben Sie das Opfer zum letzten Mal gesehen?" Und: "Wo waren Sie zum Zeitpunkt des Mordes?" Wie in vielen Bereichen des Lebens braucht es auch hier ein gesundes Mittelmaß aus "Raum geben" und "seinen Job machen".
Über die Gesprächspartnerin
- Christina Hecke ist eine deutsche Schauspielerin. Die in Stuttgart geborene Darstellerin studierte zunächst Jura, ehe sie ins Schauspielfach wechselte. Nach ihrer Zeit am E.T.A.-Hoffmann-Theater in Bamberg übernahm sie Hauptrollen in TV- und Kino-Produktionen, etwa im DDR-Drama "Barbara" (2012). Regelmäßig ist Hecke als Kommissarin Judith Mohn in der Krimireihe "In Wahrheit" zu sehen. 2020 erschien ihr Buch "Mal ehrlich – Mein Blick hinter unser Leben", das unter anderem die Beziehung mit ihrer Ehefrau beleuchtet.