In Frankreich wachsen die Schuldenberge. Gelingt der Sparkurs nicht, könnte sich die Situation zuspitzen. Droht der Eurozone eine neue Krise wie Ende der Nullerjahre – wandelt Frankreich auf den Pfaden, die Griechenland in den Abgrund geführt haben?
In Frankreich häufen sich die schlechten Nachrichten. Die Schuldenquote hat, gemessen an der Wirtschaftsleistung, 114 Prozent erreicht, die dritthöchste nach Griechenland und Italien. Das Haushaltsdefizit liegt weit über den europäischen Stabilitätsvorgaben.
Die Europäische Zentralbank (EZB) ist besorgt, weil die Risikoaufschläge für französische Staatsanleihen deutlich gestiegen sind. Die Ratingagentur Fitch hat gerade Frankreichs Kreditwürdigkeit herabgestuft, was höhere Zinsen und damit noch mehr Kosten bedeutet. Wenn die Regierung nicht den Gürtel enger schnallt und einen harten Sparplan auflegt, droht ein Teufelskreis.
Gerade erst wieder stürzte eine Regierung über einen solchen, nicht zum ersten Mal. Der neue Premierminister Sébastien Lecornu, der aus dem politischen Zentrum von Präsident
Statt 44 Milliarden Euro wie zuvor angedacht, könnten laut Experten von "Allianz Trade" 2026 eventuell nur 20 Milliarden eingespart werden. Wenn es Lecornu überhaupt gelingt, eine Mehrheit im Parlament zu finden.
Krisen über Krisen in Frankreich
Doch Frankreich hat nicht nur ein monetäres Problem, das Land steckt zusätzlich auch noch in einer politischen Sackgasse. Mehrheiten für eine Partei oder wenigstens einen Parteienblock gibt es nicht. Und aus der politischen Krise könnte schnell eine wirtschaftliche werden, langfristig könnte das sogar Auswirkungen auf die EU haben. Die Lage ist ernst.
"Unser Land ist in Gefahr, denn wir stehen am Rande der Überschuldung", so dramatisch formulierte es Ex-Premierminister François Bayrou gegenüber der Zeitung "Le Monde" vor seinem Sturz. Denn schon 2024 hatte Frankreich ein Defizit von 5,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP), weit über den von der EU erlaubten drei Prozent. Entsprechend hat die EU ein Defizitverfahren eingeleitet.
Bis 2029 wollte Frankreich eigentlich wieder die EU-Vorgaben einhalten, doch das Scheitern des Sparplans stellt dieses ambitionierte Vorhaben infrage. Laut Zahlen des Statistikinstituts "Insee" hat Frankreich bereits Schulden in Höhe von 3,345 Billionen Euro.
Wie ernst ist die Lage in Frankreich?
Ökonom Sylvain Bersinger warnt vor weiteren Schulden. Gegenüber unserer Redaktion erklärt er: "Die Lage ist verfahren und könnte sich in Zukunft verschärfen." Es handele sich derzeit vor allem um eine politische Krise, doch diese könnte die wirtschaftlichen Probleme verschärfen und Frankreich in eine Wirtschaftskrise stürzen.
Die Situation in Frankreich sei zwar verfahren, aber noch laufe es in der Wirtschaft rund, erklärt Bersinger. Daran ändere auch die Einschätzung der Ratingagenturen bisher nichts. Auch der Zinssatz, den der französische Staat Käufern von zehnjährigen Anleihen zahlen muss, sei zwar hoch, aber nicht beunruhigt, da er noch unter dem italienischen liege.
Doch die Schulden müssten unbedingt begrenzt werden, erklärt Bersinger, damit Frankreich nicht zu Europas neuem Sorgenkind wird. Aber: "Reformen und Sparpläne sind sehr unbeliebt und fast unmöglich durchzusetzen, wie wir gesehen haben. Das ist beunruhigend."
Droht Europa also eine neue Eurokrise, ist Paris das neue Athen? Nein, sagt Bersinger, Frankreich ist nicht Griechenland. "Dort war alles viel dramatischer. Es gab mehr Staatsschulden und vor allem ein Exportproblem. Griechenland brauchte Geld aus dem Ausland. Ganz Südeuropa hatte damals Probleme, es gab nicht die Hoffnung, dass die Handelsbilanz ausgeglichen werden konnte." Griechenland hing mehr vom Rest Europas ab als Frankreich.
Frankreichs Vorteile seien die Demografie, die zwar stagniert, aber nicht steil abfällt wie in anderen europäischen Ländern. Das Wirtschaftswachstum lag im Europaschnitt und das Handelsdefizit ist gering. Außerdem hätten die französischen Bürger das Doppelte der Staatsschulden gespart, wie Bersinger anführt. "Das ist einerseits beruhigend, doch die großen Sparanstrengungen bremsen auch den Konsum."
Bersinger sieht, ähnlich wie zahlreiche andere Ökonomen, im Moment keinen Grund zur Sorge, dass sich die Krise schnell ausweiten könnte: "Die EU ist derzeit stabil. Aber Frankreich muss jetzt handeln, um in Zukunft Probleme zu verhindern." Die Situation dürfe sich nicht verschärfen wie in Griechenland.
Der Weg aus der Sackgasse
Wie aber kann Frankreich konkret aus der Negativspirale ausbrechen? "Es gibt mehrere Möglichkeiten, abhängig davon, ob die Linke oder die Rechte das Defizit reduziert", erklärt Bersinger. Links würde es mehr Steuern geben. Die konservative Rechte würde sicherlich versuchen, die Ausgaben zu reduzieren. "Ideal wäre eine Kombination aus beidem. Zu großzügige Steuerlücken könnten geschlossen werden, die Franzosen könnten mehr arbeiten oder später in Rente gehen."
Das ist allerdings nicht einfach: Bisher stößt jeder Vorschlag, mehr zu arbeiten, auf Proteste der Bevölkerung. Beim letzten Sparplan kritisierten die Menschen vor allem den Vorschlag, zwei Feiertage ersatzlos zu streichen. Allerdings zeigen Umfragen wie die des Meinungsforschungsinstitutes "Ifop", dass immer mehr Franzosen (58 Prozent) über Frankreichs Schulden beunruhigt sind, das sind 21 Prozentpunkte mehr als 2023. Sie wollen aber vor allem beim teuren Staatsapparat sparen – nicht bei sich selbst.
Sollte es Macrons Mitte nicht gelingen, eine Mehrheit zu finden, würde die politische Situation spätestens 2027 geklärt, wenn die nächsten Präsidentschaftswahlen ins Haus stehen.
Empfehlungen der Redaktion
Doch auch das würde nicht zwingend eine Verbesserung der Staatsfinanzen zur Folge haben. "Sollte die Linke oder die extreme Rechte (Rassemblement National, RN von Marine Le Pen, Anm.d.Red.) an die Macht kommen, gibt es ein Problem. Ihre Wirtschaftsprogramme bedeuten mehr Schulden. Es soll mehr ausgegeben, Rentenalter und Mehrwertsteuer gesenkt, die sozialen Leistungen nicht gekürzt werden."
Sie versprechen mehr Kaufkraft, weil das gut ankommt. Wenn sie zurückrudern, würden sie ihre Wählerschaft brüskieren. Und wenn sie sich an ihr Programm halten – dann hätte Frankreich ein richtiges Problem, warnt Bersinger.
Über den Gesprächspartner
- Sylvain Bersinger ist Ökonom und Chef der Agentur für Unternehmensberatung und Wirtschaftsforschung Bersingéco. Vorher war er Chef-Ökonom der Unternehmensberatung Asterès.
Verwendete Quellen
- allianz-trade.fr: Situation économique en France
- lemonde.fr: Dette : la situation est-elle aussi préoccupante que le soutient François Bayrou ?
- insee.fr: À la fin du premier trimestre 2025, la dette publique s’établit à 3 345,4 Md€
- ifop.com: Balise d’opinion #301 – L’état d’esprit des Français à la rentrée 2025