Was tun, wenn sich der Klimawandel nicht wie eine Krise anfühlt? Eine neue Studie zeigt, wie Eichhörnchen, gefrorene Seen und stille Bäume helfen können, die Klimakrise wieder spürbar zu machen.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Elena Matera (RiffReporter) dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Ich erinnere mich gut an diesen Baum: Eine große, dichte Kastanie, direkt vor meinem Kinderzimmerfenster. Während ich an meinem Schreibtisch saß und Hausaufgaben machte, schweifte mein Blick oft zur grünen Krone, in der fast immer etwas los war: Eichhörnchen, die sich jagten, sich versteckten, waghalsig von Ast zu Ast sprangen. Und das mitten in Hamburg, nahe dem Schanzenviertel, wo ich aufgewachsen bin. Als Kind war das für mich völlig selbstverständlich. Ich dachte: So ist die Stadt eben. Sie ist laut, schnell und es gibt viele Eichhörnchen vor dem Fenster.

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Vor ein paar Tagen war ich wieder zu Besuch bei meinen Eltern. Die große Kastanie steht noch. Es war fast alles wie früher. Und trotzdem stimmte etwas nicht. Denn diesmal war da nichts: kein Sprung, kein Rascheln, keine Bewegung im Geäst. Und je länger ich am Fenster saß und den Baum beobachtete, desto schwerer fühlte sich diese Stille an. Die Eichhörnchen fehlten.

Eichhörnchen leiden unter Trockenheit

Tatsächlich geht es vielen Eichhörnchen in diesem Frühjahr nicht gut. Die anhaltende Trockenheit setzt ihnen zu, wie etwa der "Tagesspiegel" berichtet hat. Ihre kleinen Körper überhitzen, sie finden kaum noch Wasser. Einige fallen dehydriert von den Bäumen.

Und ja, der Klimawandel hat etwas damit zu tun. Es wird wärmer, Trockenperioden nehmen zu. Im Herbst fehlen immer öfter die Vorräte, weil Haselnüsse zu früh fallen. Die Winter werden mit der Klimaerwärmung immer milder und kürzer. Und Eichhörnchen brauchen den Frost, die Minustemperaturen, um zur Ruhe zu kommen, den Stoffwechsel zu senken, das Immunsystem zu stabilisieren. Bleibt diese Winterruhe aus, stehen sie unter Dauerstress – und sie werden anfälliger für Krankheiten oder Parasiten.

Gewöhnung an den Klimawandel

In Hamburg etwa gab es laut dem Hamburger Klimareport in den 1960er-Jahren durchschnittlich 70 Frosttage im Jahr. Heute sind es im Schnitt nur noch 62. Auch die sogenannten Eistage – Tage, an denen die Temperatur nicht ein einziges Mal über null steigt – sind von 20 auf 13 gesunken.

Trotzdem nehmen die meisten von uns diese Veränderungen kaum wahr. Nicht, weil sie unbedeutend wären, sondern weil sie schleichend passieren. Weil es keinen Knall gibt, keinen "Tag X". Wir gewöhnen uns schneller an den aktuellen Zustand, als wir denken. Und was gestern noch auffiel, wird heute zur Normalität.

Eine neue Studie, veröffentlicht in "Nature Human Behaviour", liefert Hinweise darauf, wie sich die Wahrnehmung des Klimawandels verändern lässt. Ein interdisziplinäres Team aus Informatik, Psychologie, maschinellem Lernen und Kommunikationswissenschaft hat herausgefunden: Wir sollten den Klimawandel nicht als abstrakten Trend vermitteln, sondern als konkrete, spürbare Zäsur – im Sinne von: "Früher war das so – heute ist es anders." Auch Eichhörnchen haben damit etwas zu tun. Denn die Forschenden zeigen: Menschen nehmen den Klimawandel nicht über abstrakte Verläufe wahr, sondern über klare Brüche, über einzelne Momente, die sich in unser Gedächtnis einschreiben.

Persönliche Erlebnisse machen die Klimakrise greifbarer

Die über 1.100 Teilnehmenden der Studie sahen zwei Darstellungen derselben Klimadaten: einmal als kontinuierliche Temperaturkurve, einmal als sogenannte binäre Grafik. So etwas wie: "See gefroren" oder "nicht gefroren". Obwohl die Inhalte gleich waren, löste die klare Ja-oder-Nein-Darstellung stärkere Reaktionen aus. Die Teilnehmenden spürten die Veränderung deutlicher und bewerteten den Klimawandel als näher und bedrohlicher.

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Warum das so ist? Weil unser Gehirn Übergänge klarer erkennt als schleichende Entwicklungen. Wir begreifen die Klimakrise nicht in Zehntelgraden, sondern in Momenten, in denen sich etwas spürbar verändert. In Seen, die nicht mehr zufrieren. In Amphibien, die keine Laichplätze mehr finden. Oder wenn – wie bei mir – keine Eichhörnchen mehr durch die Kastanie vor dem Elternhaus turnen. Seit ich von dieser Studie gelesen habe, denke ich viel über solche persönlichen Kipppunkte nach.

Erinnerungen an das "Alstervergnügen"

Zum Beispiel an die Alster, ein Fluss in Hamburg, der mitten in der Stadt zu zwei Seen aufgestaut ist: der kleineren Binnenalster direkt am Rathaus und der weit größeren Außenalster. Wenn sie zufriert, wird das "Alstervergnügen" ausgerufen, ein inoffizielles Winterfest, bei dem Hamburger und Hamburgerinnen über das Eis spazieren, Glühwein trinken, Schlittschuh laufen.

Das letzte Mal, dass ich auf der zugefrorenen Alster spazieren ging, war 2010, als ich mit einer Freundin mitten auf dem Eis fürs Abi lernte. Eingemummelt in dicken Jacken, mit heißem Kaffee in Thermosbechern. Die Hamburger Umweltbehörde führt über die zugefrorene Alster Buch: Im Schnitt fror sie in der Vergangenheit alle fünf bis sechs Jahre zu. Seit 2012 tat sie das nicht mehr.

Ein weiteres Beispiel: Letzten November war ich mit einem Förster im Brandenburger Wald unterwegs. Der Brandenburger Winter 2024/25 war der trockenste in ganz Deutschland. In keinem anderen Bundesland fiel weniger Niederschlag. Der Förster zeigte mir einen kleinen, ruhig fließenden Bach, der früher ein beliebter Angelplatz war. Jetzt war dort nur noch ein Rinnsal zu sehen. Die Wurzeln der Bäume lagen freigespült, so niedrig war der Wasserstand. Und auch seine Erinnerungen berührten mich. Er erzählte, wie die Kinder früher auf den Bächen Schlittschuh liefen und wie seine eigenen Kinder das wahrscheinlich nicht mehr erleben können.

Diese Geschichten sind keine Randnotizen, sondern Ausschnitte aus dem Leben eines jeden Menschen, der auf diesem Planeten lebt. Sie sind das, was bleibt, wenn die Statistik verblasst. Sie machen den Klimawandel erfahrbar, nicht als globale Kurve, sondern als lokale Erfahrung.

Vom Abstrakten ins Konkrete

Die aktuelle Studie zur Klima-Apathie zeigt deutlich, dass wir anders über den Klimawandel sprechen müssen. Wenn wir Menschen wirklich erreichen wollen, müssen wir vom Abstrakten ins Konkrete wechseln. Vom globalen Erwärmungsziel zur fehlenden Schneedecke vor der Haustür. Vom CO2-Ausstoß zur ausgetrockneten Buche im Stadtpark. Und ja: Vom Temperaturmittelwert zum stillen Baum, in dem kein Eichhörnchen mehr lebt.

Temperaturkurven mögen zwar eindringlich sein, aber sie sind einfach nicht greifbar. Erlebnisse hingegen bleiben im Kopf. Sie berühren uns. Das bedeutet nicht, auf Zahlen zu verzichten, sondern sie zu übersetzen. In Bilder, in Geschichten, in Erlebnisse. In "Vorher – Nachher".

Es heißt vielleicht auch: achtsamer werden. Hinsehen, wenn etwas fehlt. Und darüber sprechen, die Erinnerungen teilen. Ich bin mir sicher: Egal, wen man anspricht – jeder und jede wird eine Geschichte kennen, die den Klimawandel im Kleinen deutlich macht. Ob von schneefreien Hängen in den Alpen, einem See, der nun fast ausgetrocknet ist, von weniger Schmetterlingen im Garten – oder eben von Eichhörnchen, die nicht mehr vor dem Fenster spielen.

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