In Deutschland werden pro Jahr mindestens elf Millionen Tonnen Nahrungsmittel entsorgt. Bis 2030 soll die Zahl halbiert werden. Ansätze gibt es genug: bei Händlern, Produzenten – aber auch bei uns Konsumenten.

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Sie müssen jeweils 225 Euro Strafe zahlen und acht Stunden bei der Tafel arbeiten: So lautete im Januar das Urteil des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck für zwei Studentinnen, die Lebensmittel aus dem Müllcontainer eines Supermarktes geholt hatten. Die beiden gingen in Revision, diese wurde jedoch abgelehnt. Nun reichen die beiden Frauen eine Beschwerde gegen dieses Urteil beim Bundesverfassungsgericht ein.

Der Fall hat bundesweit eine Debatte angestoßen: Ist es zeitgemäß, das sogenannte "Containern" zu bestrafen? Und wie lässt sich Lebensmittelverschwendung effektiv bekämpfen?

Jeder wirft jährlich 81,6 Kilogramm weg

Die Universität Stuttgart ermittelte 2012, dass Industrie, Handel und Verbraucher in Deutschland pro Jahr elf Millionen Tonnen Nahrung entsorgen – auf den einzelnen Bürger bezogen sind es 81,6 Kilo jährlich. Eine WWF-Studie kam 2015 sogar auf eine Gesamtmenge von 18 Millionen Tonnen.

Die Gründe sind vielfältig: etwa Fehlplanungen bei der Produktion oder Supermärkte, die bis zum Ladenschluss volle Regale präsentieren. Der Wissenschaftler Thomas Schmidt vom Thünen-Institut, einer Forschungseinrichtung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, erklärt aber auch: 44 Prozent der Lebensmittelabfälle fallen in Privathaushalten an.

Hinzu kommen zwölf Prozent, die in Restaurants oder Kantinen erzeugt werden. "Der Konsument ist damit für mehr als die Hälfte der Lebensmittelabfälle verantwortlich", so Schmidt im Gespräch mit unserer Redaktion.

Aus einem Report des Bundesernährungsministeriums geht zudem hervor, dass junge Menschen überdurchschnittlich viel wegwerfen. In kleinen Haushalten und bei alten Menschen fallen dagegen weniger Abfälle an.

"Ältere haben häufig noch eine höhere Wertschätzung für Lebensmittel. Junge Menschen sind es dagegen gewohnt, dass Waren in großen Mengen verfügbar sind", sagt Schmidt.

"Containern" ist rechtlich gesehen Diebstahl

Vor diesem Hintergrund erscheint es nachvollziehbar, dass Aktivisten Lebensmittel aus Containern holen. Allerdings kann man sich damit nach Paragraf 242 des Strafgesetzbuchs wegen Diebstahls strafbar machen. Hinzu kommt Hausfriedensbruch, wenn die "Diebe" etwa einen Zaun überwinden.

Aber kann man einen Gegenstand stehlen, den ein anderer entsorgt hat? Der Verteidiger der Studentinnen bezweifelt das: Die Supermarkt-Betreiber hätten ihre Eigentumsrechte aufgegeben, wenn sie Lebensmittel in den Müll werfen.

Diese Argumentation entspricht aber bisher nicht der juristischen Mehrheitsmeinung, berichtet das Portal "Legal Tribune Online": Wenn Abfall noch nicht abgeholt und zum Beispiel mit einem Schloss gesichert ist, bleibt er Eigentum des Besitzers. Die beiden Studentinnen fordern auf ihrem Blog deswegen auch eine Gesetzesänderung: "Containern" soll nicht mehr strafbar sein.

Pflichten für den Handel in Frankreich und Tschechien

Nahrungsmittel sind in Deutschland vergleichsweise günstig – und gleichzeitig ein wertvolles Gut. Bundesweit nutzen aktuell rund 1,5 Millionen Menschen das Angebot der Tafeln, mehr als doppelt so viele wie 2007. Die Lebensmittel bekommen die Betreiber in der Regel gespendet.

Trotzdem landen immer noch viele Waren im Müll – auch weil das für die Händler schlicht einfacher ist, als die Verteilung zu organisieren. Dabei könnte die Politik an diesem Punkt ansetzen: Frankreich etwa verbietet es Supermärkten, noch genießbare Lebensmittel zu entsorgen.

Auch in Tschechien müssen sie stattdessen kostenlos an Hilfsorganisationen abgegeben werden. In Großbritannien wiederum hat sich der Staat gemeinsam mit Händlern und Produzenten auf freiwillige Zielvereinbarungen verständigt, um Lebensmittelabfälle bis 2030 zu halbieren.

Dieses Ziel der UN gilt genauso für Deutschland, Handlungsbedarf besteht also auch hierzulande. Regeln wie in Frankreich und Tschechien lehnt die Bundesregierung allerdings ab. Union und SPD haben in ihrem Koalitionsvertrag stattdessen angedeutet, mit den Beteiligten Zielmarken formulieren zu wollen – ähnlich wie in Großbritannien.

Zahlreiche Ideen gegen den Wegwerfwahn

Nach Ansicht von Thomas Schmidt wäre es sinnvoll, künftig Daten zu diesem Thema zu erfassen: "Erste Einspareffekte sehen wir, wenn Abfälle gemessen werden. Schon das kann dazu führen, dass die Wertschätzung für Lebensmittel wächst."

Dazu könnten laut Schmidt zudem höhere Preise beitragen: "Wir brauchen faire Preise. Das würde bedeuten, dass Umwelteffekte der Produktion auf Nahrungsmittel umgelegt werden."

Die Hauptverantwortung sieht die Bundesregierung beim Bürger: Die Kampagne "Zu gut für die Tonne" soll zu einer höheren Sensibilität für den Wert von Lebensmitteln beitragen.

Der Verband "Tafel Deutschland" wiederum schlägt vor, das Mindesthaltbarkeitsdatum nicht mehr auf allen Waren zu vermerken. Schließlich sind viele Verbraucher weiterhin fälschlicherweise der Auffassung, dass ein Produkt danach generell nicht mehr genießbar sei. Bei Reis, Nudeln, Kaffee oder Salz würde laut den Tafeln ein Produktionsdatum genügen. Der Einspareffekt wäre gleichwohl offen: Laut GfK ist ein überschrittenes Haltbarkeitsdatum nur in 6,8 Prozent der Fälle der Grund, warum ein Produkt im Müll landet.

Supermarkt-Ketten bieten inzwischen gezielt Obst und Gemüse an, das optisch nicht makellos ist. Denkbar wäre auch, dass sie das Warenangebot reduzieren. Da müssten allerdings die Kunden mitspielen. Laut der Stuttgarter Studie zum Thema erwarten sie nämlich häufig, dass die Regale voll sind. "Dies zwingt den Einzelhandel dazu, mehr Waren zu bestellen beziehungsweise produzieren zu lassen, als tatsächlich verkauft werden", so die Autoren. (Aktualisierung: awa)

Verwendete Quellen:

Dies ist ein Artikel aus unserem Archiv, den wir um aktuelle Entwicklungen ergänzt haben.
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