Eine Frage, mehrere Antworten: Manchmal hilft es, ein Problem aus mehreren Perspektiven zu betrachten. In unserem Format "... und jetzt?" beantworten Menschen mit ganz unterschiedlichen Expertisen die sehr persönlichen Fragen unserer Leserinnen und Leser.

Es gibt mehr als schwarz und weiß, richtig oder falsch. Eigentlich wissen wir das. Doch wir haben uns daran gewöhnt, laute, einfache Antworten zu akzeptieren oder nur die Meinung zu hören, die uns unser Algorithmus vorgibt. Doch die Welt ist komplexer. Und das, was für jede und jeden von uns richtig sein kann, ist es auch.

Unsere Leserinnen und Leser haben uns für dieses Format persönliche oder sogar intime Fragen geschickt, die sie beschäftigen. Wir haben diese Fragen dann mit verschiedenen Menschen besprochen und unterschiedliche Antworten erhalten - die sich mal ergänzen, mal widersprechen.

Eine Frage – verschiedene Antworten

In unserer aktuellen Ausgabe hat sich eine Person Antworten auf die folgende Frage gewünscht:

"Warum finde ich nicht den passenden Partner für eine Beziehung? Ich habe häufig Bedenken, was das Vertrauen angeht, im Sinne von sich wirklich fallen lassen können."

Hier lesen Sie die Antworten, die uns Expertinnen und Experten auf diese Frage gegeben haben:

Simon B. Eickhoff: Gene und (schlechte) Erfahrungen prägen unser Vertrauen

"Die Antwort hängt mit der Plastizität unseres Gehirns zusammen. Wir sind keine einmal fertig gestellte Maschine.

Simon Eickhoff
Simon Eickhoff © FZJ/Sascha Kreklau

Wir sind vielmehr das Ergebnis von genetischer Prägung und vor allem unserer lebenslangen Erfahrung. Gerade im Hinblick auf Vertrauen und das 'Sichfallenassen' spielen die bisherigen Erfahrungen im Leben eine zentrale Rolle.

Das kann zu dysfunktionalen Mustern führen, in denen mein, durch schlechte Erfahrungen geprägtes, Handeln dazu führt, dass ich neue negative Erlebnisse habe. Die genauen Hintergründe sind individuell und können äußerst komplex sein: Familie, Sozialisation, Ausbildung, Schulzeit, Berufsleben, frühere Beziehungen oder andere Erfahrungen können eine Rolle spielen."

Zum Gesprächspartner

  • Prof. Dr. Simon Eickhoff leitet das Institut für Systemische Neurowissenschaften am Universitätsklinikum Düsseldorf und das Institut für Neurowissenschaften und Medizin am Forschungszentrum Jülich.
  • Seine Forschungsschwerpunkte sind die Gehirnorganisation und neue diagnostische Ansätze für neurologische und psychiatrische Erkrankungen. Dabei setzt er auf Künstliche Intelligenz.

Tanja Hoyer: Sich aktiv zum Vertrauen entscheiden

"Wir müssen selbst etwas dafür tun, dass wir dem anderen vertrauen. Du kannst Dich zwar nicht zu einem Grundvertrauen entschließen, aber Du kannst entscheiden, ob Du Deinem Gegenüber in diesem Moment vertrauen möchtest und ihm offen sagen, was Du denkst und fühlst.

Tanja Hoyer
Tanja Hoyer © privat

In jeder Situation muss man bewusst schauen: Wie fühle ich mich gerade mit der Person? Habe ich ein komisches Bauchgefühl – und kann ich meinem Bauchgefühl trauen? Dann kann man das Thema auch ansprechen und sagen: Ich habe ein komisches Bauchgefühl, gibt es was, wo du nicht ehrlich mit mir bist? Das ist dann die eigene Entscheidung.

Du vertraust darauf, dass Du mit der anderen Person darüber reden kannst. So geht man das Thema an, das zwischen einem steht und der Frage nach: Hat dieses komische Gefühl etwas mit dir zu tun oder mit dem anderen zu tun? Du entscheidest, wann Du vertraust und ob Du Vertrauen lernen möchtest.

Allerdings ist es mit dem Vertrauen so wie mit der Liebe: Beides wächst mit der Zeit. Vertrauen entsteht auch dann, wenn man ehrlich und aufmerksam miteinander ist, gut kommuniziert und schaut, wie man einander näher kommen kann. "

Über die Gesprächspartnerin

  • Tanja Hoyer führt eine eigene Praxis im Bereich Sexual- und Paarberatung, Körperarbeit und sexueller Aufklärarbeit.
  • Sie leitet Workshops, gibt Vorträge und Interviews zum Thema Sexarbeit, der sie selbst zehn Jahre lang nachgegangen ist.

Michael Kühler: Es kommt nicht darauf an, dass ein Partner einen Kriterienkatalog erfüllt

"Erich Fromm hat schon in den 50er Jahren mehrere Irrtümer der modernen Liebespassung kritisiert, unter anderem die Idee, es muss nur die passende Person sein und dann funktioniert alles. Das würde bedeuten, dass man an sich selbst nicht arbeiten muss, es muss einfach nur der oder die Richtige sein. Laut Fromm geht es aber darum, die eigene Fähigkeit zu lieben, zu entwickeln.

Prof. Dr. Michael Kühler
Prof. Dr. Michael Kühler © Fachhochschule Dortmund/Florian Freimuth

Passt ein Partner dann, wenn er einen Kriterienkatalog erfüllt? Oder ist es bei einer Liebesbeziehung angemessener, dass es nicht primär darauf ankommt, ob es in allem passt, sondern eher darauf, sich offen aufeinander einzulassen und sich gemeinsam miteinander als Paar zu entwickeln? Das ändert die Sichtweise auf das angesprochene 'Problem' massiv.

Zum Thema Vertrauen: Hier gibt es zwei Verständnisweisen. Zum einen: Ich verlasse mich darauf, dass zum Beispiel der Handywecker pünktlich klingelt. Typischerweise versuche ich dann die Rahmenbedingungen zu kontrollieren, dass es wahrscheinlicher wird, dass mein Vertrauen erfüllt wird: Ich lade den Akku, achte darauf, dass es kein Update über Nacht gibt und ähnliches. Mit dieser Einstellung kann ich auch am Menschen herangehen. Ich versuche dann ebenfalls zu kontrollieren, dass das, was ich erwarte, wahrscheinlicher wird.

Zum anderen kann ich an eine andere Person glauben. Wenn man etwa mit einem Freund, der nie pünktlich ist, um 17 Uhr verabredet ist. Aufgrund der Erfahrung kann ich mich eigentlich darauf verlassen, dass er auch dieses Mal nicht pünktlich sein wird. Wenn ich an die Person glaube, bin trotzdem um 17 Uhr da. Nur um dann festzustellen, es war wie immer."

Über den Gesprächspartner

  • Prof. Dr. Michael Kühler hat die Professur für "Angewandte Ethik in der gesellschaftlichen Verantwortung" an der Fachhochschule Dortmund.
  • Einer seiner Arbeitsschwerpunkte ist die Philosophie der Liebe.

Sharon Brehm: Das Vertrauen in uns ist wichtiger als das, in andere

"Das klingt ein bisschen so, als hätte die Person oft in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, dass sie Menschen nicht vertraut. Das kann zum einen daran liegen, dass man beim Dating sehr schnell ist.

Sharon Brehm
Dr. Sharon Brehm © Susanne Schramke

Gerade wer einen ängstlichen Bindungsstil hat, ist oft ganz schnell dabei, sich zu verlieben. Dabei geht es dann gar nicht so sehr darum, zu prüfen, ob die andere Person wirklich zu einem passt oder nicht. Und dann könnte es passieren, dass man, nachdem man ein paar Mal auf die Nase gefallen ist, viel vorsichtiger wird oder sich mehr Zeit nimmt.

Wenn wir sagen, dass wir jemandem nicht vertrauen können und viel Zeit brauchen, ist das meistens eine Art Schutzmechanismus. Indem ich mir möglichst viel Zeit lasse oder viel teste, umso weniger oft kann ich verletzt werden. Die Realität ist jedoch, dass selbst mit dem allerliebsten Partner oder der allerliebsten Partnerin es sein kann, dass uns Liebe verletzt.

Was vielleicht wichtiger ist, ist das Vertrauen in uns selbst – dass wir, selbst wenn uns jemand verletzt, mit der anderen Person darüber sprechen können, um uns zu heilen. Und dass wir auch stark genug sind, dass selbst, wenn uns jemand verletzt, wir wieder aufstehen können."

Über die Gesprächspartnerin

  • Dr. Sharon Brehm ist systemische Paartherapeutin und bietet Sitzungen in München sowie virtuell an.
  • Sie hat mehrere Bücher über Beziehungen geschrieben, darunter den "Spiegel"-Bestseller "wiederherzgestellt".

Paula Lambert: Leben bedeutet, zu vertrauen

"Das hat nichts mit dem Partner zu tun, sondern nur mit dir. Kurz gesagt: mit deiner Erfahrungswelt und mit deinen Glaubenssätzen.

Paula Lambert
Paula Lambert © Lydia Gorges

Man kann im Leben nichts anderes machen, als zu vertrauen. Und natürlich gibt es Situationen, die dazu führen, dass manche Menschen nicht mehr vertrauen können oder wollen, aber am Ende bleibt dir nichts anderes übrig als zu glauben, dass die Menschen gut sind. Und das Witzige ist: Wenn du dich darauf einlässt, dass jemand gut ist und du offen mit deinen Ängsten umgehst, dann werden sich auch Menschen an dich andocken, die dir genau das bestätigen.

Wenn du rumläufst und jedem unterstellst, dass er dich anlügt, betrügt oder verlässt, wirst du genau Leute anziehen, die sich darauf einschwingen. Das ist einfach so. Und ein Leben ohne Verletzung gibt es einfach nicht. Das muss man sich klarmachen. Und die Wahrscheinlichkeit, dass du jemanden findest, der es gut mit dir meint, ist viel größer, wenn du davon ausgehst, dass es Menschen gibt, die es gut mit einem meinen."

Über die Gesprächspartnerin

  • Die Journalistin und Podcasterin Paula Lambert ist Expertin für Liebes- und Sexfragen.
  • Sie hat mehrere Bücher über Beziehungen geschrieben und gibt in ihrem Podcast "Paula Lieben Lernen" sowie auf Instagram (@therealpaulalambert) Tipps zu Liebe, Sex und Partnerschaft.

Torsten Geiling: Eigene Probleme nicht auf die andere Person projizieren

"Es könnte helfen, das eigene Bindungsverhalten zu reflektieren und sich bewusst zu machen, was genau einen daran hindert, sich wirklich auf einen Partner einzulassen. Ein erster Schritt wäre, mit dem Partner von Anfang an offen über dieses Thema zu sprechen. Denn oft versuchen wir, das Problem beim Partner zu suchen, obwohl es eigentlich unser eigenes ist.

Torsten Geiling
Torsten Geiling © Torsten Geiling

Deshalb ist es wichtig, dass man sich zuerst mit sich selbst auseinandersetzt. Wenn man seine eigenen Blockaden erkennt und daran arbeitet, wird es auch leichter, sich auf eine Beziehung einzulassen. Es kann auch hilfreich sein, sich zu fragen, was man in der Vergangenheit erlebt hat: Wo wurde man verletzt? Warum ist man vorsichtig? Vielleicht wurde man in der Kindheit enttäuscht, was die Zurückhaltung im Vertrauen erklärt. Wenn man diese Ursachen kennt, kann man offener damit umgehen und sie dem Partner erklären.

Es ist wichtig, Verantwortung für seine eigenen Themen zu übernehmen und sich nicht darauf zu verlassen, dass der Partner sich ändert, um die eigenen Bedürfnisse zu erfüllen. Wenn man weiß, was einem Schwierigkeiten bereitet, kann man dies kommunizieren und so die Beziehung gesünder gestalten. Beispielsweise kann man dem Partner erklären, dass man aus bestimmten Gründen eifersüchtig ist und warum. Der Partner kann dann darauf reagieren und entscheiden, ob oder wie er damit umgehen will."

Über den Gesprächspartner

  • Torsten Geiling ist Kommunikationswissenschaftler und systemischer Coach. Er berät und begleitet Menschen, die sich trennen wollen, vor, während und nach einer Trennung.
  • Er schreibt Ratgeberbücher wie "Ich will mich trennen". Sein neues Buch trägt den Titel "Du wusstest doch, dass ich Kinder habe!".

Hier finden Sie auch frühere Ausgaben von "... und jetzt?"