Bundeskanzlerin Angela Merkel würde in der Flüchtlingskrise auch aus heutiger wieder genau so handeln wie vor einem Jahr. Das sagte die Kanzlerin im Interview mit der "Bild"-Zeitung (Samstagsausgabe). Zudem verteidigte sie den Flüchtlingspakt mit der Türkei gegen Kritik.

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Würde Angela Merkel aus heutiger Sicht in der Flüchtlingskrise wieder so reagieren wie vor einem Jahr? Hier gibt die Kanzlerin eine klare Antwort im Interview mit der "Bild"-Zeitung: "Ja, das würde ich. Zu dem Zeitpunkt waren die Ankunftszahlen ja bereits über Monate rasant angestiegen. Schon vor dem 4. September war klar, dass wir es mit einer großen Herausforderung zu tun hatten. An jenem Wochenende ging es dann auch nicht darum, die Grenze für alle zu öffnen, sondern sie für diejenigen nicht zu schließen, die sich in großer humanitärer Not aus Ungarn zu Fuß auf den Weg zu uns gemacht hatten."

Merkel bereut nichts

Auf die Frage, ob es auch Entscheidungen aus dieser Zeit gebe, die sie bereue, sagte die Kanzlerin: "Nein. Ich habe schon im August 2015 öffentlich darauf gedrängt, dass wir einen EU-Afrika-Gipfel brauchen, dass wir mit der Türkei reden müssen, dass wir uns mit der Bekämpfung der Fluchtursachen beschäftigen müssen. Es ist ja leider wahr, dass es vorher bei der Versorgung der Menschen in den Flüchtlingslagern im Libanon, in Jordanien und in der Türkei Versäumnisse gegeben hatte und Lebensmittelrationen aus Geldmangel gekürzt worden waren. Das darf sich nie wiederholen. Auch hatten wir die Türkei mit ihren gut drei Millionen Flüchtlingen zu lange alleine gelassen. Deshalb war und ist die EU-Türkei-Vereinbarung so wichtig, weil wir nur so den Schleppern das Handwerk legen und den Menschen besser helfen können."

Zudem widersprach Merkel der These, dass ihre Entscheidungen weltweit als Einladung und Ermunterung für Flüchtlinge verstanden wurden, sich überhaupt erst auf den Weg zu machen: "Schon Mitte August hatte der Bundesinnenminister die Prognose abgegeben, dass wir im Jahr 2015 mit 800.000 Flüchtlingen rechnen müssten."

Im weiteren Verlauf räumte sie allerdings ein, dass diese Prognose dann allerdings beispielsweise in Afghanistan von Schleppern als Aufnahme-Bereitschaft Deutschlands missbraucht wurde und von manchen in der Folge missverstanden wurde. "Da wurde sichtbar, dass eine eigentlich an Länder und Kommunen hier bei uns gerichtete notwendige Prognose anderswo verdreht werden kann und wie vorsichtig man in einer Welt der globalen Kommunikation mit solchen Informationen umgehen muss", erklärte Merkel weiter.

Angela Merkel verteidigt Flüchtlingspakt mit der Türkei

Weiter verteidigte die Kanzlerin im Interview mit der "Bild"-Zeitung das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei: "Wir sprechen über eine umfassende Vereinbarung der EU mit der Türkei, die im gegenseitigen Interesse ist, da gibt es keine einseitige Abhängigkeit. Wir stehen in der Verantwortung, der Türkei zu helfen, Flüchtlinge nahe ihrer Heimat zu beherbergen. Die Türkei ihrerseits kann kein Interesse daran haben, dass jeden Tag Menschen in der Ägäis ertrinken und sich Schlepper und andere Kriminelle in den türkischen Küstenstädten breitmachen. Es ist im Interesse beider Seiten, der EU wie der Türkei, Legalität herzustellen."

Merkel gehe weiterhin davon aus, dass sich die türkische Regierung an die gemeinsamen Vereinbarungen halte, auch wenn es zu Verzögerungen bei den Verhandlungen über die Visafreiheit mit Ankara kommen sollte: "Die Europäische Union ist gewillt, ihren Teil der Flüchtlingsvereinbarung einzuhalten. Ich gehe davon aus, dass das auch für die Türkei gilt. Vereinbart wurde eine Beschleunigung der ohnehin verabredeten Visaliberalisierung – unter der Bedingung, dass die Türkei alle Kriterien hierfür erfüllt. Das ist bei sehr vielen Kriterien gelungen, aber eben noch nicht bei allen."

Die Kanzlerin blieb zudem auch bei ihrer Einschätzung, dass die Übereinkunft mit der Türkei entscheidend gewesen sei für die Eindämmung des Flüchtlingsstroms - und nicht die Schließung der Balkanroute: "Wie schon oft gesagt, hat die Schließung der griechisch-mazedonischen Grenze natürlich zunächst dazu geführt, dass in Deutschland weniger Flüchtlinge ankamen, aber mit der Folge, dass in Griechenland in den Wochen der Schließung der Balkanroute bis zum Wirksamwerden des Türkeiabkommens etwa 45.000 Migranten gestrandet sind. Umgerechnet auf die Einwohnerzahl Deutschlands wären das in einem Monat 360.000 Flüchtlinge gewesen. Sie können sich ausrechnen, was das für Griechenland – ein Land ohnehin am Rande seiner Möglichkeiten – bedeutet. Griechenland mit dem Problem allein zu lassen, wäre nicht gegangen. Deshalb ist die EU-Türkei-Vereinbarung der Schlüssel zur Überwindung des Schlepperwesens in der Ägäis und zur Stabilisierung der Lage in Griechenland." (mgb)

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