Der neue Bundeskanzler heißt Friedrich Merz. Allerdings wurde der CDU-Chef erst im zweiten Wahlgang gewählt. Für Merz und seine schwarz-rote Koalition ist es der wohl schlechteste Start. Über einen denkwürdigen Tag in Berlin.
Um 16:15 Uhr fällt an diesem Dienstag der Druck von
Die Standing Ovations in der Unionsfraktion können allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass Merz seine Kanzlerschaft mit Blessuren beginnt. Und das hat mit den Ereignissen vom Morgen zu tun. Im ersten Wahlgang hat Merz die Kanzler-Mehrheit noch verfehlt. Er kam auf nur 310 Stimmen, sechs weniger als benötigt. Dass ein Kanzler nicht im ersten Wahlgang gewählt wird, gab es in der Bundesrepublik noch nie. Es ist ein historischer Moment. Und ein politisches Beben.
Merz wollte alles anders machen. Und dann stolpert er
Ausgerechnet Merz. Wie oft hatte er in den vergangenen Jahren seinen Jetzt-Vorgänger
Für Schwarz-Rot ist es eine Hypothek. Die neue Koalition war schon vor dem Start unbeliebt. Auch Merz' persönliche Umfragewerte sind schlecht. Der neue Kanzler muss schnell liefern. Die AfD ist in Umfragen gleichgezogen. Die deutsche Wirtschaft taumelt durchs dritte Rezessionsjahr. In der Ukraine tobt weiter ein Krieg und der wichtigste Verbündete im Westen, die USA, ist unberechenbar geworden. Zugleich sinkt das Vertrauen der Deutschen in die demokratische Mitte. "Es gibt wohl keinen Kanzler, der so schwierige Startbedingungen hatte", sagt der Merz-Biograf Daniel Goffart im Interview dieser Redaktion.
Auf den Knacks vom Dienstag hätte Merz wohl gerne verzichtet. Nur durch einen Kniff konnte der Bundestag noch am selben Tag erneut abstimmen. Normalerweise wäre der zweite Wahlgang erst am Mittwoch oder Freitag gewesen. In der Politik kann das eine Ewigkeit sein. Im Lager der Koalition hätten sofort die Diskussionen begonnen. Der Kanzler in spe, aber auch sein potenzieller Vize, wären weiter beschädigt worden. Das wollten Merz und SPD-Chef
Die Union wirft Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linken über den Haufen
Und so musste die Union etwas tun, das sie immer tunlichst vermeiden wollte. Um die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit für die Fristverkürzung ohne die AfD zu erreichen, brauchte es die Linke. Die Fraktions- und Parteichefs von Union, SPD, Grünen und Linken zogen sich am Mittag auf der Fraktionsebene im Reichstag zu Beratungen zurück. Am Ende waren sie sich einig: Wir stimmen gemeinsam ab. Damit hat die Union den Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linken über den Haufen geworfen. Auch das: historisch.
Doch Deutschland braucht eine Regierung, irgendwie. Aus allen Hauptstädten Europas richteten sich die Blicke heute in Richtung Berlin. Ein Scheitern? Nicht drin. Dafür ist die weltpolitische Lage zu ernst. Und Deutschland als größtes Land der EU zu wichtig.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Schwarz-Rot hat schon vor der Wahl keine Euphorie versprüht. Das liegt auch am Kanzler. Im Wahlkampf hat Merz noch lautstark Kehrtwenden versprochen: bei der Migration, in der Wirtschaftspolitik, bei Staatsausgaben. Kurz nach der Wahl die erste Verrenkung. Union, SPD und Grüne haben mit dem alten Bundestag die Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben aufgeweicht – und ein 500 Milliarden Euro schweres Investitionspaket für die bröckelnde Infrastruktur geschnürt. Was bei Ökonomen gut ankam, sorgte im eigenen Lager für Kritik. Und für beißenden Spott der AfD. Die Rechtsaußen-Partei – inzwischen vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft – wartet nur darauf, Merz vor sich herzutreiben.
Das Bündnis aus Union und SPD ist längst keine große Koalition mehr
Viel wird nun davon abhängen, ob es der Koalition gelingt, in ruhigeres Fahrwasser zu kommen. Neben Merz steht auch SPD-Chef Lars Klingbeil unter Druck. Zwar hat er seine Macht in der Partei vorerst gefestigt, doch ein Problem bleibt: Die SPD befindet sich in einem kontinuierlichen Abwärtstrend. Das Bündnis aus Union und SPD ist längst keine große Koalition mehr. Klingbeil und Merz müssen beide liefern.
Das Bild einer Koalition, die schon am Beginn stolpert und zu scheitern droht, kann ihnen nicht passen. Die Ampel hat gezeigt, wie schnell eine Koalition zerrieben werden kann. Bis sie am Ende implodiert. Immerhin: Das Arbeitsverhältnis zwischen Merz und Klingbeil soll gut sein, wie zu hören ist. Doch was heißt das schon für die Zukunft? Hilfreich ist sicherlich, dass der Koalitionsvertrag genügend Flexibilität bietet. Schwarz und Rot haben ihre Projekte allesamt unter Finanzierungsvorbehalt gestellt. Eine Lehre aus den Ampel-Jahren, die am Geld zerbrochen ist.
Friedrich Merz wird seine Schlüsse daraus gezogen haben. Vor allem auf ihn kommt es jetzt an. Merz hatte noch nie ein Regierungsamt inne. Er muss zeigen, dass er trotz erlittener Schrammen sein schwarz-rotes Bündnis zum Erfolg führt. 18 Abgeordnete aus den Regierungsfraktionen haben Merz an diesem Dienstagmorgen die Gefolgschaft verweigert.
Kann er die Kritiker in den eigenen Reihen überzeugen? Hält er seine Koalition zusammen? Diese Fragen stehen nach dem heutigen Tag im Raum. Die wahre Arbeit von Friedrich Merz beginnt jetzt – und sie beginnt damit, die eigene Koalition nachhaltig zu legitimieren.