Ex-Kanzlerin Angela Merkel äußerte sich jüngst zur Mitschuld einiger EU-Staaten am Ausbruch des Ukraine-Kriegs. Damit zog sie den Zorn eben jener Länder auf sich. Die Kritik folgte umgehend.
Nachdem die ehemalige Bundeskanzlerin
Als erster äußerte sich Polens Ex-Präsident Andrzej Duda. Er antwortete erbost, dass Polen keine Mitschuld an Russlands Aggressionen trage, sondern es sei potenziell selbst durch Russland bedroht. Verhandlungen, die dem Kreml politische Legitimität verleihen, dürften nicht stattfinden, schob der Pole nach.
Was hatte Merkel in dem Interview gesagt?
Vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 hätte sich die damalige Bundeskanzlerin einen engeren Dialog der EU mit dem russischen Präsidenten
Sie habe damals gespürt, "dass das Minsk-Abkommen nicht mehr ernst genommen wird". Das Aushandeln des Minsker Friedensabkommens sei richtig gewesen, "nur wir hatten dann in Corona eben keinerlei Möglichkeit mehr, uns mit Putin direkt auszutauschen, und das war sehr schlecht für die weitere Entwicklung", sagte Merkel. Das Abkommen war 2015 geschlossen worden, mit dem Ziel, die damals bereits herrschenden Kämpfe in der Ost-Ukraine zu beenden.
Direkte Gespräche der EU mit Putin seien damals "von einigen nicht unterstützt" worden, "das waren vor allen Dingen die baltischen Staaten, aber auch Polen war dagegen, weil sie Angst hatten, dass wir keine gemeinsame Politik gegenüber Russland haben", führte die Ex-Kanzlerin aus. "Meine Meinung war, wir müssen dann eben daran arbeiten, eine gemeinsame Politik zu haben. Auf jeden Fall ist es nicht zustande gekommen, und ja, dann bin ich aus dem Amt geschieden, und dann hat die Aggression Putins begonnen. Wir werden heute nicht mehr klären können, was gewesen wäre, wenn", sagte Merkel.
Baltische Staaten reagieren auf Merkels Vorwurf
Estlands Außenminister Margus Tsahkna wies die Aussagen von Merkel als unverschämt und falsch zurück. Der Grund für Russlands umfassende Aggression sei Putins Unfähigkeit, den Kollaps der Sowjetunion zu akzeptieren, sowie der frühere Wunsch der westlichen Länder, mit Putin zu verhandeln und seine Taten zu ignorieren, sagte er in einer Mitteilung des Außenamtes in Tallinn. So seien weder der Krieg in Georgien 2008 noch Russlands Annexion der Krim 2014 auf starke Reaktionen gestoßen.
"In unserer Region wurde Russlands wahre Natur schon früh erkannt, und es wurde vor den von Russland ausgehenden Gefahren gewarnt. Die große Mehrheit der westlichen Welt zog es jedoch vor, dies zu ignorieren", sagte Tsahkna. Deutschland habe unter Merkels Führung zudem die Kosten der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Russland falsch eingeschätzt und durch die Eröffnung der Nord-Stream-Pipeline dazu beigetragen, von Russland energieabhängig zu bleiben.
Sauer reagierte auch der ehemalige lettische Verteidigungs- und Außenminister Artis Pabriks auf X und verortete Merkel sogar ins russische Lager. "Das Problem mit solchen Ankündigungen von Merkel ist, dass sie nach dem Drehbuch des Kremls spielt, um dessen Agenda voranzutreiben, die Europäer zu spalten und zu fragmentieren und uns gegeneinander aufzubringen." Dann legte Pabriks noch einen nach. "Sie klingt wie eine russische Einflussagentin."
Kurz und knapp brachte seine Kritik auch der ehemalige litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis auf der Plattform X auf den Punkt. "Man kann über Merkels Vermächtnis sagen, was man will, aber letztendlich hat sie gezeigt, auf welcher Seite sie steht." Richard Kols, EU-Parlamentsmitglied aus Lettland, nannte auf X Merkels Aussagen "unanständig". Er fügte noch hinzu: "Diejenige, die Russlands unverhohlene Aggression mit neuen Pipelines belohnt hat, belehrt nun diejenigen, die sich geweigert haben, Beschwichtigung und Selbstzerstörung zu feiern."
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Merkels Sprecherin versucht zu beschwichtigen
Das Gespräch mit einem Journalisten von "Partizán" wurde bereits vor einigen Tagen online veröffentlicht. Merkel hielt sich am 1. Oktober in der ungarischen Hauptstadt Budapest auf, um dort für die ungarische Übersetzung ihrer Memoiren zu werben.
Eine Sprecherin Merkels teilte am Montag auf Anfrage mit, die Aussagen der früheren Kanzlerin seien "nicht neu". Bei einer Veranstaltung im Juni 2022 habe sie sich bereits entsprechend zur Lage im Juni 2021 geäußert. Die Haltung der baltischen Staaten und Polen zu einem Dialog mit Putin erwähnte sie damals aber nicht. (dpa/bearbeitet von the)