Europa rüstet auf. Doch bislang tut das jedes Land für sich. Einige Stimmen glauben, dass sich der Kontinent besser mit einer gemeinsamen Armee verteidigen könnte. Doch auf dem Weg zu einer EU-Arme gibt es viele Probleme. Eins davon heißt Österreich.

Mit schnellen Lösungen lässt sich in der Verteidigungspolitik meist nicht dienen. Zwei Jahre dauerte es zum Beispiel, bis in der Panzerschmiede von KNDS im Münchner Stadtteil Allach, ein bestelltes Kettenfahrzeug vom Band rollt. Und die langwierige Beschaffung von Material ist nur eine der großen Baustellen, denen Europa gegenübersteht.

Angesichts der veränderten Sicherheitslage spürt der Kontinent das wie schon lange nicht mehr. Man müsse jetzt "sofort handeln, damit wir spätestens 2030 gerüstet sind", mahnte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei der Vorstellung der neuen EU-Verteidigungsstrategie in Brüssel an. Denn Europa könne es sich "nicht leisten, von der Geschichte hin und her geschubst zu werden."

Eine Idee, die Europa dabei helfen könnte, erlebt derzeit eine Renaissance: die EU-Armee. Doch obwohl darüber schon seit Jahren diskutiert wird – passiert ist selbst trotz der angespannten Sicherheitslage wenig. Schuld daran ist auch, dass es im Sicherheitsnetz der EU-Mitgliedstaaten schon jetzt ein Loch gibt: Österreich.

Wäre Österreich bei einem Angriff auf die EU solidarisch?

Meist werden zwei Modelle für eine EU-Armee diskutiert. Das Erste: Jedes Mitgliedsland stellt einen Teil seiner Streitkräfte für eine der EU unterstellten Armee ab. Doch weil 23 der 27 EU-Mitglieder auch Teil der Nato sind – und diese sehr ähnlich aufgebaut ist – befürchten Kritiker dieser Variante vor allem teure Doppelstrukturen.

Deshalb rückt derzeit die Idee der Auflösung der nationalen Armeen, um diese zu einer Armee unter der EU-Flagge zusammenzufassen, in den Vordergrund.

Doch Österreich ist ein neutraler Staat, was im Kern bedeutet, dass es nur zu Selbstverteidigung zur Waffe greifen darf. Die Alpenrepublik darf sich auch nicht an militärischen Konflikten anderer Staaten beteiligen, nicht einmal mit indirekten Hilfen, wie etwa Waffenlieferungen. Der Beitritt zu Militärbündnissen, wie es eine EU-Armee wäre, ist ebenfalls Tabu.

Schon jetzt sorgt die Neutralität Österreichs immer wieder für Spannungen in der EU. Denn der Vertrag über die Europäische Union verpflichtet seine Mitglieder bei einem Angriff auf "auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats" zur Unterstützung.

Allerdings gibt es diesbezüglich ein Schlupfloch. Denn die sogenannte irische Klausel des Vertrags sagt auch, dass die EU-Politik "den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten" nicht berühren darf.

Einfach gesprochen, geht in der EU deshalb die Befürchtung um: Österreich könnte sich selbst im Falle eines Angriffs auf ein EU-Mitglied auf seine Neutralität berufen – und einfach nicht helfen. Gleichzeitig wären die anderen Staaten bei einem Angriff auf das österreichische Staatsgebiet zur Unterstützung verpflichtet.

Österreich als Trittbrettfahrer in der Sicherheitspolitik?

Dazu kommt: Für seine Verteidigung gibt Österreich deutlich weniger aus als die meisten anderen EU-Staaten. Laut Daten der Europäische Verteidigungsagentur lagen die Rüstungsausgaben zuletzt bei nicht einmal einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

In Europa gehört es damit zu den Schlusslichtern. Bis 2032 will Österreich zwar 2 Prozent seines BIP für Verteidigung ausgeben. Doch selbst das dürfte vielen Partnern, verglichen mit dem neuen Fünf-Prozent-Ziel der Nato ab spätestens 2035, zu wenig sein.

Immer wieder werden deswegen Vorwürfe gegen die Alpenrepublik laut, sie sei ein sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer. Eins der Argumente ist dabei auch, dass Österreich sich seine Neutralität sicherheitspolitisch nur leisten könne, weil das Land vollständig von Nato-Staaten umringt ist.

Ein Ende der Neutralität? Theoretisch möglich

Trotzdem: Zumindest in der Theorie ist die Idee einer EU-Armee trotz Österreichs Neutralität nicht zum Scheitern verdammt. Das Land könnte diese Doktrin nämlich jederzeit aufgeben.

1955 unterzeichnete Österreich das sogenannte Moskauer Memorandum. Darin sicherte es Russland, als Bedingung für den Abzug von dessen Besatzungstruppen, die Neutralität zu. Allerdings ist das Memorandum lediglich eine politische Absichtserklärung – kein rechtlich bindender Vertrag.

Ausformuliert wurde sie hingegen im sogenannten Neutralitätsgesetz. Und das ließe sich mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament und der Zustimmung des Bundesrats ändern, oder abschaffen.

Dass es aber so weit kommt, gilt als höchst unwahrscheinlich. Denn die Neutralität ist tief im Land verwurzelt. Viele Menschen verstehen sie als Teil der Identität des Staates und in Umfragen sprechen sich fast drei Viertel der Bevölkerung für sie aus. Ernsthaft infrage stellt sie kaum jemand in der österreichischen Politik.

Eine neue Verfassung für eine EU-Armee?

Doch auch wenn Österreichs Neutralität ein zentraler Faktor ist, der den Aufbau einer gemeinsamen Armee der EU-Staaten derzeit unmöglich erscheinen lässt: Der einzige ist er bei weitem nicht. Schließlich müssten auch andere Länder tiefgehende politische Umstrukturierungen vornehmen, um solch eine Truppe zu ermöglichen. Und das ist leichter gesagt als getan.

In Deutschland gilt beispielsweise für bewaffnete Auslandseinsätze des Militärs der sogenannte Parlamentsvorbehalt. Der geht auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1994 zurück und besagt, dass solche Einsätze immer durch Zustimmung des Bundestags legitimiert, werden müssen.

Zwar legt das Grundgesetz fest, dass Deutschland Kompetenzen an die EU abgeben darf. Doch Hans-Jürgen Papier, Ex-Präsident des Bundesverfassungsgerichts, sieht mit Blick auf das Militär hier eine Grenze erreicht. Wie er der Süddeutschen Zeitung sagte, sei die "Realisierung einer europäischen Armee" auf Basis des Grundgesetzes "nicht zulässig".

Der Grund: Das "zivile und militärische Gewaltmonopol" gehöre zu den "wesentlichen Bereichen demokratischer Selbstgestaltung". Deshalb könne man die Kontrolle darüber nicht an Brüssel abtreten. Dazu müsste man sich erst "eine neue Verfassung geben".

Das Einstimmigkeitsprinzip als Blockade

Riho Terras sieht das ähnlich. Der Ex-Oberbefehlshaber der estnischen Streitkräfte ist derzeit stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Sicherheit und Verteidigung im EU-Parlament. "Die Diskussion über eine EU-Armee ist eine Ersatzbeschäftigung, die von den wichtigen und realen Fragen ablenkt", erklärt er im Interview mit unserer Redaktion.

Terras verweist darauf, dass eine EU-Armee schließlich auch von irgendjemand Befehle bekommen müsste. Und wer sollte das sein?

Bisher gilt in der EU bezüglich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik das Einstimmigkeitsprinzip. Anders gesagt: Alle EU-Staaten müssen im Europäischen Rat für eine Maßnahme stimmen, damit diese umgesetzt werden kann.

Schon heute führt das immer wieder dazu, dass die EU durch Partikularinteressen einzelner Mitglieder blockiert wird. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán nutzte das etwa mehrfach, um die übrigen Mitgliedstaaten zu erpressen. Etwa in Bezug auf die Ukraine-Hilfen, oder die Sanktionen gegen Russland. Reformversuche bezüglich des Einstimmigkeitsprinzips gab es immer wieder – bislang allerdings ohne Erfolg.

Mit Blick auf eine EU-Arme hieße das: Wenn nicht alle Mitgliedstaaten für ihren Einsatz stimmen würden, könnte sie faktisch nie aktiv werden. Und gerade beim Eintritt in bewaffnete Konflikte, dürfte die Messlatte für eine Einigung im Rat nochmal höher liegen.

Würde das Einstimmigkeitsprinzip abgeschafft, müssten hingegen Soldaten eines Landes eventuell in einem Krieg kämpfen, den ihre Heimat vielleicht gar nicht führen will. Ein der Bevölkerung kaum zu vermittelnder Umstand.

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Terras: Halte eine EU-Arme "für Blödsinn"

Und was ist mit dem EU-Parlament als Kommandogeber einer EU-Armee? "Dafür bräuchte es vereinigte europäische Staaten mit einer föderalen Struktur", sagt Terras. "Die haben wir aber nicht und der Vertrag von Lissabon erlaubt das auch nicht. Deswegen halte ich die Idee gelinde gesagt für Blödsinn."

Stattdessen müsse man darüber sprechen, wie die Armeen innerhalb der EU gestärkt werden könnten. "Wie kooperieren unsere Armeen, wie machen wir die Beschaffung von Material billiger?"

Doch schon seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine werden diese Gespräche intensiv geführt. Eine klare EU-Linie gibt es trotzdem bis heute nicht. Aber andererseits: Wenn es schon zwei Jahre dauert, einen Panzer zu bauen – sind drei Jahre, um einen Kontinent abwehrbereit zu machen, vermutlich kein Maßstab.

Verwendete Quellen: