Russland provoziert und testet gerade Europa mit Drohnen und Flugzeugen – aber nicht mit Angriffen. Deshalb diskutierte Maybrit Illner am Donnerstagabend die Frage, wie sich Europa in diesem Graubereich am besten verhalten soll. Ein Abend zwischen Krieg und Frieden und zwischen Alarm und Beruhigung.

Eine TV-Nachlese
Diese TV-Nachlese gibt die persönliche Sicht von Christian Vock auf die Sendung wieder. Sie basiert auf eigenen Eindrücken und ordnet das Geschehen journalistisch ein. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Das war das Thema

Fünf Minuten später als sonst geht Maybrit Illner am Donnerstagabend auf Sendung, dann aber fragt Illner ihre Gäste: "Zwischen Krieg und Frieden: Was bringt Europa Sicherheit?" Dahinter stehen am Ende drei Themenkomplexe, nämlich die Fragen, wie die kurz- und mittelfristige Bedrohungslage für Deutschland und Europa aussieht, ob man wieder auf die USA als Verbündete hoffen kann und welcher Konflikt im Nordpolarmeer lauert. Das sei bereits jetzt Schauplatz von Interessenskonflikten und werde es bald umso mehr sein, wenn es wegen der Klimakrise bald eisfrei ist.

Das waren die Gäste

  • Manfred Weber (CSU): Der EVP-Fraktions- und Parteivorsitzende analysiert, dass die USA nicht mehr so präsent seien wie früher und Russland einen Krieg in Europa führe. "Für uns Europäer heißt das: Wir sind in eine eiskalte Welt geschubst worden und wir sind in dieser eiskalten Welt auch ziemlich nackt." Deshalb müsse man in Europa die Klein-Klein-Debatten überwinden und gemeinsam Antworten auf die großen, systemischen Fragen finden.
  • Jan Van Aken (DIE LINKE): Der Parteivorsitzende der Linken sagt, man müsse sich zwar gegen Drohnenüberflüge wehren, aber gleichzeitig "reagieren, ohne zu eskalieren". Er sei von einer Eskalationslogik geprägt, bei der es "innerhalb von Tagen" eine Eskalation gebe "die keiner mehr stoppen kann".
  • Claudia Major: Major ist Politikwissenschaftlerin und sagt, dass man militärisch, aber auch gesellschaftlich widerstandsfähig werden müsse. Dazu gehöre die Frage: "Sind wir in der Lage zwischen Fakt und Meinung zu unterscheiden? Wie gehen wir mit Propaganda und Desinformation um?" Um Putin vor einem Angriff auf Europa abzuhalten, brauche man eine Kombination aus vielen verschiedenen Maßnahmen, militärisch, politisch und wirtschaftlich.
  • Peter Neumann: Der Politologe und Sicherheitsexperte am Londoner King’s College rät, einerseits Stärke und Grenzen zu zeigen, gleichzeitig aber auch verhältnismäßig und vorsichtig zu agieren. "Deswegen ist es wichtig, dass man Sanktionen formuliert und kommuniziert, rote Linien kommuniziert, von denen man sich sicher sein kann, dass man die auch umsetzen kann", erklärt Neumann, sonst gebe es einen Bumerang-Effekt. Deshalb brauche man einen abgestuften Plan, eine Doktrin, was wann zu tun ist.
  • Katrin Eigendorf: Die Sonderkorrespondentin des ZDF glaubt, dass Putin gerade das Gegenteil von dem erreiche, was er eigentlich wollte. "Er schweißt nämlich die Europäer auf eine Art und Weise zusammen, die ich für sehr erstaunlich halte." Gleichzeitig befinde man sich in einem Graubereich zwischen Krieg und Frieden und statt die Moskauer U-Bahn lahmzulegen, wie es Manfred Weber vor kurzem vorgeschlagen hat, "fang ich vielleicht erstmal damit an, zum Beispiel zu verhindern, dass Russland seine massiven Desinformationskampagnen in Europa weiter fortführt", sagt Eigendorf.
  • Elmar Theveßen: Der ZDF-Studioleiter in Washington ist zugeschaltet und schätzt die US-Politik ein. Putin habe Trump beim Alaska-Gipfel weisgemacht, er könne die Ukraine schnell einnehmen. Nun habe Trump auch durch Selenskyj gemerkt, dass er wohl getäuscht wurde. "In diesem Fall fühlt er sich von Putin betrogen", erklärt Theveßen. Dass die USA angeblich überlegen, Langstreckenraketen an die Ukraine zu liefern, sei aber kein Beweis für Trumps Sinneswandel bezüglich der Ukraine, sondern erstens womöglich Teil eines Deals für Einblicke in ukrainische Drohnentechnik und zweitens ein Indiz für "ein Vorspiel zum Desinteresse". Nun sollten sich die Europäer alleine um die Ukraine kümmern, könnten aber Waffen in den USA kaufen.

Der Schlagabtausch des Abends

Maybrit Illner will von Jan Van Aken wissen, ob es am Ende gut war, dass sich die Ukraine verteidigen kann. Der Linken-Chef erklärt, ihm sei es immer um die Frage gegangen "Wie kann man die Ukraine am besten unterstützen?" Hätte man gleich zu Beginn viel deutlicher mit Sanktionen reagiert, "hätte es vielleicht die ganzen Waffenlieferungen nicht gebraucht", glaubt Van Aken. Im Moment würden europäische Länder immer noch Flüssiggas von Russland im Wert von 20 Milliarden Euro pro Jahr kaufen. "Die zahlen mehr Geld in die russische Kriegskasse, als in die ukrainische", rechnet Van Aken vor. Statt damals nur Waffen zu liefern und 100 Milliarden in Aufrüstung zu stecken, hätte man etwa gleich zu Beginn auf den Kauf von russischem Öl verzichten und das Geld für Heizkostensubventionen verwenden sollen.

"Vollkommen falsche Diskussion", findet Manfred Weber und sagt: "Wenn wir damals nicht militärisch unterstützt hätten mit Waffen, würden wir heute keine Diskussion über die Ukraine führen – es gäbe keine Ukraine mehr." Diplomatie mit Putin würde nicht funktionieren, wie man beim Gipfel zwischen Trump und Putin in Alaska gesehen hätte: "Er hat ihm fast die Hälfte der Ukraine angeboten", sagt Weber über Trump und trotzdem habe Putin danach Krankenhäuser bombardiert. "Wenn wir eine Antwort geben, dann kann das nicht Appeasement sein, wie wir es aus der Linken und leider auch aus der AfD heraus hören, sondern das ist gescheitert. Wir müssen Stärke zeigen, militärische Stärke zeigen", meint Weber.

Dass man beides hätte machen können, stärkere Sanktionen und gleichzeitig Waffen zu liefern, darüber spricht keiner der beiden und so macht Claudia Major den Deckel auf diese Diskussion: "Zu glauben, dass man einen Krieg ohne militärische Fähigkeiten beenden kann, halte ich für naiv und das übersieht auch die russischen Intentionen." Diese Intention sei, die Ukraine zu kontrollieren. "Das kann man, glaube ich, einfach mal abräumen", erklärt Major Jan Van Aken.

Die Offenbarung des Abends

"Warum macht Putin das?", fragt Maybrit Illner Katrin Eigendorf über die jüngsten Verletzungen des europäischen Luftraums durch russische Jets und vermutlich russische Drohnen. Man müsse sich das vor dem Hintergrund dessen erklären, was gerade in Russland passiere, antwortet Eigendorf und sagt: "Russland steht wirtschaftlich nicht gut da. Die Ukraine hat große Erfolge erzielt mit ihren gezielten Schlägen auf die Öl-Infrastruktur. Es ist so weit, dass Russland mittlerweile Benzin importieren muss. Das ist in den 1990er Jahren das letzte Mal vorgekommen."

Daher seinen die Drohnenflüge für Eigendorf "Nebelkerzen". "Maximale Provokation, um eigentlich von den wesentlichen Dingen abzulenken. Dass nämlich Russland dabei ist, in diesem Krieg sehr viel Momentum zu verlieren. Russland steht nicht so stark da, wie wir das immer glauben." Alle seien aber aufgeregt über 19 Drohnen. Die würden in Kiew in einer Stunde heruntergehen, so Eigendorf. Man habe lange geschlafen in Europa, aber "jetzt mit extremer Aufgeregtheit und Angst zu reagieren – das ist genau das, was Putin erreichen will und das halte ich für ein großes Problem."

Die Erkenntnisse

Dass Russland eine akute Gefahr für Europa ist, darüber waren sich die Talkgäste ebenso einig wie in der Einschätzung, dass sich der Kontinent in einem Zwischenstadium zwischen Krieg und Frieden befinde. "Die russische Politik zielt nicht darauf ab, morgen Panzer nach Berlin zu schicken. Die zielt auf eine Destabilisierung europäischer Staaten", fasst Katrin Eigendorf diesen Zustand zusammen. Das klingt wie eine Beruhigung, gleichzeitig macht Manfred Weber darauf aufmerksam, dass die Zeit nicht nur in der militärischen Vorbereitung knapp sei, sondern auch auf politischer Ebene.

Damit meint Weber den Rechtsruck in Europa, genauer die Wahlen 2027 in Frankreich und die Chancen der rechtsextremen Partei Rassemblement National und deren Vorsitzenden Jordan Bardella: "Wenn Bardella Präsident wird, dann kann er an dem Tag, wo er ins Amt kommt als französischer Oberbefehlshaber sagen: 'Ich interessiere mich für Litauen und für Estland nicht mehr.' […] Wir könnten 2027 in der Lage sein, wo plötzlich Polen und Deutschland alleine gegen Putin stehen." Um das zu verhindern, müsse man Europa so stark zusammenschweißen, dass das auch Nationalisten nicht rückabwickeln können.

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Das Fazit

Europa muss sich in vielen Bereichen anders aufstellen: unabhängiger gegenüber den USA, militärisch, wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich robuster und widerstandsfähiger gegen Putin-Versteher, Rechtsextreme und rechtsextreme Putin-Versteher.