Timo Boll gehört zu den größten Legenden in der Geschichte des deutschen Sports. Mit 44 Jahren steht der Tischtennis-Star Boll nun vor dem letzten Spiel einer langen Karriere.
29 Jahre Bundesliga. 20 Mal bei einer WM. 20 Mal Europameister im Einzel, Doppel oder mit der Mannschaft. Viermal die Nummer eins der Weltrangliste. Mit dieser Karriere spielt
Für seinen Sport ist es ein tiefer Einschnitt, wenn diese Karriere am kommenden Sonntag in Frankfurt am Main endet. Das Playoff-Finale der Tischtennis-Bundesliga zwischen seinem Verein Borussia Düsseldorf und dem deutschen Pokalsieger TTF Ochsenhausen (13.00 Uhr/Dyn) ist das letzte Spiel in Bolls langer Karriere.
Wenn man keinen anderen Lebensstil kennt, hat man natürlich Angst vor dem Moment, an dem es heißt: Jetzt ist damit Schluss
Ganz offen sagt der 44-Jährige: "Ich spiele Tischtennis, seitdem ich drei oder vier bin und mache das profimäßig, seit ich 15 oder 16 bin. Wenn man keinen anderen Lebensstil kennt, hat man natürlich Angst vor dem Moment, an dem es heißt: Jetzt ist damit Schluss."
Er sagt aber auch: "Der Kampf gegen das innere Ich. Zu spüren, dass ich als Perfektionist nicht mehr an mein höchstes Niveau herankomme": Das sei ihm immer schwerer gefallen. "Olympia in Paris war für mich noch einmal ein großer Anker und ein großes Ziel. Jetzt aufzuhören, fühlt sich irgendwie rund an."
Was kommt jetzt?
Die große Frage ist: Was kommt jetzt? Was macht Boll, nachdem er mehr als zwei Jahrzehnte von Kontinent zu Kontinent gehetzt ist? Von Bundesliga-Spiel zu internationalem Turnier - und das an etwa 300 Tagen pro Jahr.
Möglichkeiten hat er genug. Sein Freund und Nationalmannschaftskollege Patrick Franziska hat ihm angeboten, sein Trainer zu werden. Mit seinem Lieblingsfußballverein Borussia Dortmund spricht er über verschiedene Ideen: Boll als Türöffner für den BVB im Tischtennis-Wunderland China. Oder Boll als Praktikant beim BVB, um etwas über Unternehmensstrukturen und Sport-Management zu lernen. "Noch ist nichts spruchreif", sagte er in einer Medienrunde der Streaming-Plattform Dyn zu der großen Doku "Timo Boll - Der letzte Aufschlag".
Die wahrscheinlichste Variante ist aber: Boll macht erst einmal gar nichts, fährt mit seiner Familie in den Urlaub und verbringt die Zeit mit Frau und Tochter, die er in den vergangenen Jahren nie hatte. Denn populär war der Tischtennis-Star auch immer durch das, was er nicht ist: kein Lautsprecher, kein Aufschneider. "Typ Tiefstapler", nennt er sich selbst.
Fair-Play-Preis für Boll
So flog er 2005 als Mitfavorit zu den Weltmeisterschaften nach Shanghai und stand am Ende auch ganz oben auf dem Podest. Doch Boll bekam dort keine Medaille überreicht, sondern den Fair-Play-Preis. Im Achtelfinale spielte er gegen den Chinesen Liu Guozheng, hatte im siebten Satz einen Matchball und der Schiedsrichter erklärte den Deutschen bereits zum Sieger, weil sein Gegner diesen Ball verschlug. Boll aber zeigte an: Der Ball habe die Tischkante noch leicht touchiert, der Punkt gehöre dem Chinesen. Außer ihm hatte das in der Halle niemand bemerkt. Zwei Ballwechsel später war er ausgeschieden.
Das ist der Unterschied zu Boris Becker oder
In Frankfurt oder Berlin kann er unbehelligt durch die Fußgängerzone gehen, in Peking oder Shanghai geht das nicht. Tischtennis ist vor allem in China der alles überstrahlende Sport. Dort das Werbegesicht deutscher Firmen zu sein, hat Boll viel Geld gebracht.
Ovtachrov reagiert emotional
"Dass er jetzt aufhört, fühlt sich so ein bisschen an, als wenn auch ein Teil von mir aufhört", sagt Dimitrij Ovtcharov. Der 36-Jährige war ebenfalls die Nummer eins der Welt, gewann den World Cup, zwei EM-Titel und im Gegensatz zu Boll auch zwei Olympia-Medaillen im Einzel.
Ähnlich wie bei Michael Stich und Boris Becker stand auch Ovtcharov immer ein wenig im Schatten von Boll. Der große Unterschied ist nur: Die beiden Tischtennis-Stars waren von Anfang an eng befreundet.
"Ich werde seine Gelassenheit vermissen", sagt Ovtcharov. "Dass er bei Olympia oder bei einer WM einfach da sitzt, eine Ruhe ausstrahlt und seinen Kaffee macht: Daran habe ich mich sehr gewöhnt. Die ersten ein, zwei Turniere ohne ihn waren schon etwas stressiger."
Jetzt hat Boll nur noch ein Spiel vor sich. Und er ist froh, dass es dabei noch einmal um einen Titel geht. "Ich denke, es muss so sein, dass das noch einmal kribbelt und richtig weh tut", sagt er. Zum Abschied die deutsche Meisterschaft mit Borussia Düsseldorf zu holen - es wäre bereits die 15. in seiner Karriere. (dpa/bearbeitet von phs)