Das Recht weiblich gelesener Menschen auf körperliche Selbstbestimmung im Sport bezieht auch die Wahl ihrer Outfits mit ein. Diese Tatsache wird derzeit von etlichen Athletinnen thematisiert – endlich.

Eine Kolumne
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Würde man Menschen ohne weiteren Kontext fragen, wer darüber zu entscheiden hat, wie wir mit unserer eigenen Intimität umgehen, wäre die Antwort vermutlich klar: Wir alle haben das Recht, selbst zu definieren, was wir davon preisgeben – und was wir für uns behalten wollen. Der Blick in den Duden legt das ebenfalls nahe. Intimität wird hier beschrieben als Vertrautheit oder vertrauliche Angelegenheit sowie als sexuelle und erotische Handlung. Intimsphäre wird wiederum als der ganz persönliche Lebensbereich eines Menschen definiert, Intimzone oder auch Intimbereich hat sich als Begriff für den Bereich der Genitalien durchgesetzt.

Intimität als Grundrecht

Körper sind intim. Daraus leitet sich keinesfalls ab, sie müssten verhüllt werden. Was sich aber definitiv daraus ableitet, ist das Recht, selbst entscheiden zu dürfen, wie viel eine Person vom eigenen Körper in welcher Situation zeigen und wie viel bedecken mag. Kaum vorstellbar, dass diese Aussage in einer Gesprächssituation als besonders strittig angesehen würde. Es sei denn natürlich, es geht um Religion – oder um Sport, was in einigen Belangen nah beieinanderliegt – und es sei denn, es geht innerhalb dieser Themen um nicht cis-männlich gelesene Körper. Da sind Vorschriften zum Thema offenbar aus der Sicht etlicher Verantwortlicher völlig okay.

Das ist derzeit bei den Olympischen Spielen in Tokio erneut zu beobachten und war auch im Vorfeld der Wettbewerbe bereits Thema. Beim Auftakt der Kunstturn-Europameisterschaft im April sorgte Sarah Voss für Aufsehen, als sie im glitzernden Gymnastikanzug mit langen Beinen antrat. Üblich sind sonst knappe, Badebekleidung ähnliche Outfits, doch die Turnerin wollte am Schwebebalken ein Statement setzen gegen den sexualisierten Blick auf weiblich gelesene Körper auch im Kontext sexualisierter Übergriffe gegen Turnerinnen. Der Skandal um Larry Nassar, den ehemaligen US-Teamarzt, der 2018 wegen massenhaften sexuellen Missbrauchs von Frauen und Mädchen verurteilt wurde, hat tiefe Wunden in diesem Sport hinterlassen.

Outfits der Athletinnen müssen grundlegend überdacht werden

Ganz grundsätzlich geht es um das Recht, auch im Leistungssport den eigenen Körper so zu präsentieren, dass keine unangenehmen Gefühle damit verbunden sind. In der Qualifikation für den Teamwettbewerb der Olympischen Spiele trugen Voss und ihre Kolleginnen Elisabeth Seitz, Kim Bui und Pauline Schäfer deswegen ebenfalls Ganzkörperanzüge und erregten damit viel Aufmerksamkeit. Voss erklärte, es sei als Frau in gewisser Weise schwierig, sich an den eigenen Körper zu gewöhnen, der nun mal Veränderungen durchmacht. Als unangenehm oder entblößend empfundene Outfits können sogar dazu führen, dass junge Mädchen dem Sport ganz den Rücken zukehren oder gar nicht erst damit anfangen, wie eine US-Studie zeigt. Was einmal in Ordnung war, muss nicht für alle Zeiten als okay empfunden werden. Es muss normalisiert werden, das zu äußern und Outfits für Wettbewerbe dementsprechend zu ändern.
Wer die oft sehr knappe Bekleidung für Sportlerinnen sieht, muss zudem unweigerlich zu dem Schluss kommen, dass an Designs und Regeln ganz sicher keine Menschen mit Uterus beteiligt waren. Selbst wer sich in den Outfits an vielen Tagen wohlfühlt, dürfte den Wunsch verspüren, sich während der Menstruation weniger luftig zu präsentieren als im Bikini. Wer also profitiert, wenn vor allem Frauen in engen Designs zu Wettbewerben antreten? Jene, die sie gerne auf diese Weise zurechtgemacht betrachten und die vielfach auch die Regeln machen: Männer.

Beachhandballerinnen für Outfits bestraft

Immerhin, die Turnerinnen haben bei der Wahl ihrer Outfits gewisse Freiheiten. Ihr Zeichen zielte vor allem darauf ab, diese auch selbstbewusst zu nutzen. In anderen Sportarten sind die Regeln strenger, wie beim Beachhandball, wo Frauen laut Regelwerk in Bikinihosen antreten müssen. Um ein Zeichen gegen diese sexistische Anforderung zu setzen, trug das norwegische Spielerinnen-Team bei der Beachhandball-Europameisterschaft der Frauen im Spiel um Platz drei Radlerhosen. Dafür wurde ihr Verband mit einer Geldstrafe belegt. Im Vorfeld des Turniers hatte dieser bereits den Antrag gestellt, entsprechende Hosen tragen zu dürfen, doch das war abgelehnt worden. Der Europäische Handballverband hat angekündigt, das Geld zu spenden und dem Weltverband Regeländerungen vorzuschlagen, Ausgang derzeit offen.
Derweil hat Musikerin P!ink angeboten, die Strafzahlung zu übernehmen, auch Tennis-Ikone Billie Jean King sprang den Sportlerinnen zur Seite. Die deutschen Kunstturnerinnen in Tokio wiederum erhielten viel Unterstützung von ihren Kolleginnen. Beides zeigt, wie wichtig es ist, diese Diskussion zu führen und den Fokus weg vom male gaze, dem männlichen Blick, hin auf die Bedürfnisse der Frauen zu richten.

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Das Thema "Kleiderordnung" muss dabei allumfassend betrachtet werden, also neben der Sexualisierung durch Outfits die religiösen Beweggründe von Sportler*innen ebenso mitdenken wie mutmaßlich rassistisch motivierte Haltungen von Entscheider*innen. Das hat zuletzt das Verbot spezieller Badekappen für PoCs (People of Colour) ebenso gezeigt, wie es an der andauernden Debatte um Hijabs für Sportlerinnen abzulesen ist. Denn das Recht weiblich gelesener Menschen, über ihre Körper selbst zu bestimmen, ist nicht verhandelbar.

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