Vor fast 18 Jahren erschütterte der Mord an der britischen Studentin Meredith Kercher zunächst Italien und dann die ganze Welt. Verurteilt wurde die US-Amerikanerin Amanda Knox, wie sich nach mehreren Prozessen herausstellte, zu Unrecht. In der Mini-Serie "The Twisted Tale of Amanda Knox" erzählt Knox nun als Co-Produzentin ihre Geschichte. Bei Disney+.

Christian Vock
Eine Kritik
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Am 1. November 2007 wurde die britische Austauschstudentin Meredith Kercher im italienischen Perugia brutal ermordet. Der Fall schlug international hohe Wellen und normalerweise würde eine solche Ermordung in der Öffentlichkeit als "der Fall Meredith Kercher" Eingang finden. Doch das tat sie nicht. Aus dem "Fall Meredith Kercher" wurde "der Fall Amanda Knox".

Denn nur kurze Zeit nach der Ermordung Kerchers fiel der Verdacht der italienischen Ermittlungsbehörden auf Kerchers amerikanische Mitbewohnerin Amanda Knox und deren italienischen Freund Raffaele Sollecito. Was folgte, waren, wie sich im Nachhinein herausstellte, stümperhafte Ermittlungen und ein Indizienprozess, bei dem Knox und Sollecito zu langen Haftstrafen verurteilt wurden.

Ein Schock für die beiden Angeklagten, pochten Knox und Sollecito doch immer auf ihre Unschuld. Doch das Urteil war erst der Beginn, zwei Jahre später wurden beide zuerst vom Berufungsgericht frei-, wieder zwei Jahre später jedoch erneut schuldig gesprochen. Erst 2015 sprach der Oberste Gerichtshof Italiens Knox und Sollecito endgültig frei. Doch das waren nur die juristischen Wegmarken.

Die richtige Plattform für einen solchen Mordfall?

Denn zwischen all den Urteilen und Freisprüchen gingen Knox und Sollecito nicht nur durch die Hölle der Haft, sondern auch durch die Hölle der Berichterstattung. Es war eine Mischung aus Sensationslust, billigen Boulevard-Schmierereien, Dämonisierung, aber auch seriösen Versuchen, das Geschehen zu rekonstruieren. Kein Wunder also, dass Knox, neben all dem Schmerz, den die falsche Verurteilung mit sich gebracht haben muss, irgendwie versuchte, Herrin über das eigene Bild zu werden, das von anderen gezeichnet wurde.

Einer dieser Versuche war ihr Buch "Free: My Search for Meaning", das die Basis für die neue Serie "The Twisted Tale of Amanda Knox" liefern soll und an der Knox als Co-Produzentin beteiligt ist. Weitere Co-Produzentin ist Monica Lewinsky, ebenfalls unfreiwillige Expertin dafür, wie man in der Öffentlichkeit zerrissen werden kann und daher irgendwie eine folgerichtige Besetzung. Weniger folgerichtig erscheint aber auf den ersten Blick der Ort, an dem die Serie erscheint: der Streamingdienst Disney+.

Dort, zwischen "Schneewittchen", "Fluch der Karibik" und "Star Wars" wird nun also in einer achtteiligen Mini-Serie der reale Mord einer jungen Frau verfilmt, bei dem es um sexualisierte Gewalt, Falschbehauptungen und Justizirrtümer geht. Ist das der richtige Ort? Selbst wenn man diese Frage für sich mit einem "Ja" beantwortet, dürften einem nach den ersten Minuten der Serie erneut Zweifel kommen, ob aus dem Fall Meredith Kercher nicht nur der Fall Amanda Knox, sondern auch noch eine Disneyisierung geworden ist.

Die fabelhaft verdrehte Welt der Amanda

Die Serie beginnt im Jahr 2022, als Amanda Knox (gespielt von Grace van Patten) auf dem Rücksitz eines Autos unter einer Decke versteckt nach Perugia zurückkehrt. "Das ganze verdammte Land hasst sie. Jeder würde sie ausliefern", warnt Knox' Mutter auf dem Beifahrersitz, als man sich einem Autounfall und den dortigen Polizisten nähert und rät ihrer Tochter: "Wir sollten umdrehen, Amanda. Amanda, hörst du? Ich denke, wir sollten lieber zurückfahren." Doch Knox richtet sich unter der Decke auf, blickt mit einem Lächeln in die Kamera und antwortet dem Zuschauer trotzig: "Das tun wir auf gar keinen Fall!"

Doch dann, mitten aus dieser Dramatik heraus, kippt die Szenerie und damit auch der Erzählton der Serie ins genaue Gegenteil. "Vielleicht gehen wir doch ein Stück zurück. Dorthin, wo meine oft falsch erzählte und verdrehe Geschichte begann", tauscht Amanda Knox als Erzählerin in ihrer eigenen Geschichte Ort und Jahr und springt zum 31. Oktober 1986 zu einem Gerichtsgebäude im italienischen Terni, nach London und nach Seattle, den Ort ihrer Zeugung.

Damit verbindet sie die drei Orte, die für die nun kommende Geschichte von zentraler Relevanz sind und das wäre auch nicht zu beanstanden, wäre da nicht dieser federleichte Plauderton, wie man ihn aus französischen Arthouse-Komödien à la "Die fabelhafte Welt der Amelie" kennt – ironischerweise Knox' Lieblingsfilm. Das wirkt angesichts des brutalen Mordfalls, der hier behandelt werden soll, merkwürdig und unangemessen.

Wie der Fall Amanda Knox begann

Denn der Name der Serie, "The Twisted Tale of Amanda Knox", deutet zwar ganz offensiv darauf hin, dass es um Knox' Geschichte im Ganzen und nicht nur um den dramatischen Mordfall in Perugia gehen soll. Knox will diesen also in einen Kontext, in ihren Kontext einbetten. Sie will sich erklären und das ist auch erst einmal völlig legitim. Gleichzeitig wird es im Folgenden aber natürlich vor allem um den Mord an Meredith Kercher gehen, ohne den Knox wohl noch immer ein Leben ohne Öffentlichkeit führen würde und ohne den es diese Serie nie gegeben hätte.

Es ist also ein Vabanquespiel, hier den richtigen Ton zu treffen und dieses Spiel geht zumindest in den ersten Minuten verloren. Man erfährt amelieesk von der Trennung der Eltern, vom Leben Knox' in ihrer Fantasiewelt, vom Wunsch, mit 19 Jahren die Welt zu entdecken und davon, diesen Wunsch in einer Studenten-WG in Perugia zu beginnen, ihr "romantisches, italienisches Abenteuer". Knox stellt die Mitbewohnerinnen vor, darunter Meredith Kercher, "eine Austauschstudentin aus England", die es mag, "zu tanzen, in der Sonne zu liegen und Kriminalromane zu lesen".

Anfangs seien die beiden unzertrennlich gewesen, "nichts ahnend, dass der armen Meredith etwas Tragisches passieren würde und dass meine Eigenarten dazu genutzt werden würden, mich als Monster zu brandmarken". Damit verflüchtigt sich der Plauderton und weicht der Schilderung der Ereignisse. Wie Knox nach einer Nacht bei ihrem Freund zur WG kommt, dort niemanden trifft, duscht, das Haus wieder verlässt und mit Sollecito noch einmal zurückkehrt, weil ihr ein paar Ungereimtheiten im Haus aufgefallen waren. Die beiden entdecken Einbruchsspuren und als sie Kerchers Zimmer abgeschlossen vorfinden, rufen sie die Polizei und "der Fall Amanda Knox" nimmt seinen Lauf – mit all seinen Missverständnissen, Ermittlungsfehlern und Fehlurteilen.

Wozu diese Serie?

Und genau das führt zu der Frage, warum es diese Serie überhaupt gibt. Denn die erzählt den Fall, zumindest in den beiden Folgen, die bereits bei Disney+ zu sehen sind, Schritt für Schritt und dicht an den Fakten. Doch die sind inzwischen gut bekannt, es gibt zahlreiche Bücher, Dokumentationen oder Podcasts, darunter der achtteilige und sehr hörenswerte Podcast "Judging Amanda Knox" der Podcast-Produktionsfirma Undone und des "Spiegel".

Nein, hier geht es nicht um eine erneute Rekonstruktion der Ereignisse, sondern um Persönliches. Es geht um das Geraderücken ihrer Person, die durch einen medialen und juristischen Sturm derangiert wurde. Und es geht um das Klarstellen, an welchen Stellen die Justiz geschlampt hat, wie sehr der Eifer des damaligen Staatsanwaltes Giuliano Mignini die Ermittlungen beeinflusst hat und warum es zu Missverständnissen gekommen sein könnte.

"Mir wurde oft vorgeworfen, dass das, was ich mache, nicht gut bei den Leuten ankommt. Aber gefährlich wird es erst, wenn du nicht weißt, dass die Leute einen beobachten", erzählt Knox in der Serie etwa über ihr scheinbar merkwürdiges Verhalten und was die Polizei daraus für Schlüsse gezogen habe.

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Was der Serie fehlt

Dass Knox all das aus ihrer Perspektive erzählt, ist zunächst einmal legitim, für den Zuschauer ist dabei allerdings schwer zu erkennen, was Knox' Erinnerungen, was ihre Wahrnehmung, was dramaturgisches Stilmittel oder was definitive Fakten sind. Diese Unterscheidung wird zusätzlich erschwert, da die Geschichte nicht durchgehend aus Knox' Perspektive erzählt wird, zum Beispiel in den Szenen, in denen sich die Ermittler untereinander austauschen und in denen Knox definitiv nicht dabei gewesen ist.

Dennoch gelingt es den Machern der Serie, das eigentlich bereits wieder gerade hängende Bild von Amanda Knox wieder ins Lot zu bringen, vor allem, indem sie erklären, wie es zu den Missverständnissen, den (Vor-)Verurteilungen und der Dämonisierung kommen konnte. Was der Serie, zumindest in den ersten beiden Folgen, fehlt, sind also nicht Fakten und Erklärungen, sondern die Ebene darüber. Die Ebene, die einordnet, welche Rückschlüsse "Die verdrehte Geschichte der Amanda Knox" auf Justiz, Medien und Gesellschaft ziehen lässt. Damit "Der Fall Meredith Kercher" gar nicht erst "Der Fall Amanda Knox" werden kann.