"Schaffe ich mir mehr Freiräume oder mache ich so weiter wie bisher?" Mit dieser essenziellen Frage setzt sich Marco Girnth seit seinem 50. Lebensjahr intensiv auseinander. Das hat der Schauspieler uns verraten. Ein letztes Mal ist der mittlerweile 55-Jährige nun in einer "SOKO Leipzig"-Staffel zu sehen. Wir haben ihn gefragt, wie sich der Abschied für ihn anfühlt und wie er sich seine Zukunft vorstellt.
26. Staffel mit 26 neuen Folgen: Am 3. Oktober (immer freitags um 21.15 Uhr) geht die ZDF-Serie "SOKO Leipzig" in die nächste Runde – dem Datum entsprechend mit einer ersten Folge, die diesen historischen Tag inhaltlich aufgreift. Ein Künstler liegt tot in seinem Atelier. Neben ihm wurde sein Gemälde zum 35. Jubiläum der Deutschen Einheit mit roter Farbe übergossen.
Marco Girnth ermittelt als Kriminaloberkommissar Jan Maybach ein letztes Mal an der Seite von Melanie Marschke, Johannes Hendrik Langer und Amy Mußul. Im Interview mit unserer Redaktion spricht Girnth über Ost-West-Denken, die Gründe für seinen Serien-Ausstieg nach rund 25 Jahren und seine Auslandspläne.
Herr Girnth, was war zuerst da: der Starttermin oder die Folge "Die Überwältigung", in der ein Künstler tot in seinem Atelier aufgefunden wird? Sein Gemälde zum 35. Jahrestag der Deutschen Einheit ist mit roter Farbe übergossen worden …
Marco Girnth: Diese erste Folge der neuen Staffel wurde natürlich bewusst auf den Tag der Deutschen Einheit abgestimmt. Dass wir Themen auch mal tagesaktuell behandeln, ist aber nicht neu. Insbesondere wenn es um die deutsch-deutsche Geschichte geht, greifen wir wichtige Termine gerne auf. So sind wir irgendwann mal gestartet.

Ist das Ost-West-Denken für Sie noch spürbar?
Ich persönlich denke nicht mehr groß darüber nach. Für mich ist insofern die Einheit vollzogen, als dass ich nicht mehr das Gefühl habe, von Westdeutschland nach Ostdeutschland zu fahren. Das mag daran liegen, dass ich sehr viel Zeit in Leipzig verbracht und diese Stadt als ein Stück Heimat begriffen habe.
Die Familienverbundenheit in unserem Team ist so groß, dass viele Freundschaften daraus entstanden sind. In den Gesprächen merke ich, dass wir alle einen ähnlich justierten moralischen Kompass haben. Große Unterschiede im Alltag kann ich nicht erkennen. Ich bin aber auch sehr an den Geschichten der einzelnen Menschen interessiert und höre mir gerne an, wie es damals vor der Wende wirklich war.
Sie sprechen von der Großstadt Leipzig. Ist die Realität in ländlichen Gefilden nicht eine andere?
Natürlich ist es ein Unterschied, ob ich mit Menschen in der Stadt oder auf dem Land spreche. Das betrifft aber nicht nur den Osten des Landes. Ich lebe zwar in Köln, bin aber im Umland von Neuss aufgewachsen. Der Vibe in dem Dorf, in dem ich meine Kindheit verbracht habe, ist ein ganz anderer als der in einer Großstadt. Und mit Blick auf die politische Situation in Deutschland können wir meines Erachtens längst nicht mehr von einer reinen Ost-Denke sprechen. Bundesweit haben sich mittlerweile verschiedenste politische Ansichten durchgesetzt.
Wie sehr steht die neue Staffel für Sie persönlich im Zeichen Ihres Abschieds nach mehr als zwei Jahrzehnten?
Diese Staffel ist für mich eine ganz besondere, weil es meine letzte sein wird. Und ich muss zugeben, dass für mich schon im Vorfeld klar war, dass die Geschichte meiner Figur des Jan Maybach diesmal andere Handlungsstränge überschatten würde. Ich spreche hier nur über meine persönlichen Empfindungen und möchte noch nicht zu viel verraten. Aber: Es hat mich sehr beschäftigt, wie es sich dahin entwickelt, worauf es am Ende dieser Staffel hinauslaufen wird …
"Bis heute gibt es Tage, an denen ich ganz sachlich darüber reden kann. Es gibt aber auch Tage, an denen mir nur ein kleiner Gedanke einen Stich ins Herz versetzt."
Was geht Ihnen rund um die Ausstrahlung Ihrer letzten Staffel durch den Kopf?
Es ist schon ein sehr ambivalentes Gefühl. Ich habe mir das zwar lange und gut überlegt, doch zum Zeitpunkt der Verkündung vor etwa einem Jahr war der Abschied noch weit weg. Und wie es eben so ist, ging dann doch alles ganz schnell. Heute wird mein Abschied nicht mehr abstrakt behandelt, sondern konkret gefühlt. Ich glaube, dass das dem gesamten Team von Woche zu Woche mehr und mehr bewusst wurde. Auf einmal befanden wir uns inmitten der letzten gemeinsamen Verhandlung oder der letzten gemeinsamen Verfolgungsjagd. Das alles war sehr bewegend.
Bis heute gibt es Tage, an denen ich ganz sachlich darüber reden kann. Es gibt aber auch Tage, an denen mir nur ein kleiner Gedanke einen Stich ins Herz versetzt. Die "SOKO Leipzig" war ein Vierteljahrhundert meine Heimat, meine Familie und mein Daily-Business. All das hat mir eine Struktur gegeben.
Warum war es für Sie an der Zeit, das Kapitel zu beenden?
Mit der Entscheidung wollte ich mir wieder Räume zum Denken, zum Träumen und zum Gestalten schaffen – ohne dabei einen Masterplan in den Händen zu halten. Es ging vielmehr darum, sich freizumachen für Optionen, die sich jetzt erfüllen dürfen. Das ist ein Gefühl, das ich lange nicht hatte. Denn eigentlich war nach der Folge immer vor der Folge.
Ich möchte nicht undankbar klingen: 25 Jahre lang habe ich es sehr geschätzt, all das in diesem Team erleben zu dürfen. Nur bei mir war es so, dass ich spätestens ab meinem 50. Lebensjahr angefangen habe, intensiv darüber nachzudenken, wie ich die zweite Lebenshälfte gestalten möchte. Schaffe ich mir mehr Freiräume oder mache ich so weiter wie bisher?
Aber Sie bereuen Ihre Entscheidung nicht?
Nein. Ich bin mir sehr sicher, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Mein letzter Drehtag liegt allerdings auch erst wenige Wochen zurück. Ob der Moment kommen wird, an dem man vielleicht doch noch mal zweifelt, kann ich noch nicht sagen. Grundsätzlich bin ich aber sehr schlecht darin, Abschied zu nehmen.
Immerhin wurde ich zuletzt gut abgelenkt. Wir sind nämlich mit unserem alten Camper, ein amerikanischer Chevy Van, fünf, sechs Wochen durch Italien gefahren. Über so eine lange Zeit am Stück war ich noch nie zuvor in meinem Leben unterwegs. Wir haben uns einfach treiben lassen. Während dieser Reise habe ich gemerkt, dass ich genau das brauchte, um loslassen zu können.
Wären Sie mental an Ihre Grenzen gekommen, wenn Sie noch ein, zwei Staffeln dabei geblieben wären?
Nein, das nicht, weil das Gesamtpaket bis zum Schluss immer gestimmt hat. Ich wusste immer, dass es irgendwann zu einem Ende kommen wird. Es hätte die gemeinsamen 25 Jahre komplett kontaminiert, wenn ich es zu einem "Ich halte es hier nicht mehr aus"-Zustand hätte kommen lassen. Ich wollte die Serie so schön in Erinnerung behalten, wie ich sie gerade empfinde.
"Mit 55 musst du sagen: Irgendwann ist jetzt!"
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Zu dieser rein persönlichen Entscheidung hat auch der Tod eines guten Kumpels beigetragen. Er ist mit 50 gestorben – an einer Krankheit, die ich früher bei Onkel und Tante verortet hätte. Den Luxus, deine Träume irgendwann verwirklichen zu können, hast du vielleicht mit 25 oder 30 Jahren. Aber mit 55 musst du sagen: Irgendwann ist jetzt!
Warum müssen sich die Fans auch nach Ihrem Ausstieg keine Sorgen um den Fortbestand der Serie machen?
Allein mit Blick auf die Konstanz haben wir es mit einem absoluten Traum-Cast zu tun – mit Melanie Marschke (spielt die Ina Zimmermann; Anm. d. Red.) seit 25 Jahren an der Spitze. Sie ist ein Fels in der Brandung. Amy Mußul (Kim Nowak) ist mittlerweile auch schon seit sieben Jahren dabei, Johannes Hendrik Langer (Moritz Brenner) seit fast fünf Jahren. Der Zuschauer behält sein gewohntes Umfeld – auch wenn nun einer die Crew verlassen hat. Und wie mir zu Ohren gekommen ist, sind auch die Geschichten weiterhin gut. Ich sehe die "SOKO Leipzig" maximal in der Halbzeit angekommen.
Welche beruflichen und privaten Pläne wollen Sie in Zukunft in die Tat umsetzen?
Zum Beispiel möchte ich gerne weiterhin Drehbücher schreiben. Das habe ich in der Vergangenheit immer mal wieder getan – auch schon für die "SOKO". Aktuell entwickle ich zudem eine eigene Serie. Anfang des Jahres habe ich meinen ersten Kurzfilm produziert, mit dem ich mich 2026 auf Kurzfilm-Festivals bewerben möchte. Als Schauspieler hätte ich Lust, mal wieder eine andere Rolle als die eines Kommissars zu übernehmen. Außerdem würde ich gerne für zwei, drei Monate oder sogar noch länger ins Ausland gehen. Das ist eine Erfahrung, die mir in meinem Leben bisher fehlt.
Über den Gesprächspartner
- Marco Girnth ist ein deutscher Schauspieler. Sein Durchbruch gelang ihm Mitte der 90er-Jahre bei "Unter uns". In der Daily-Soap spielte er den Sven Rusinek. Im Anschluss folgten weitere Serien-Rollen, etwa in "Gegen den Wind" oder "Die Strandclique". Seit 2001 ermittelt der gebürtige Düsseldorfer in der ZDF-Serie "SOKO Leipzig" als Kriminaloberkommissar Jan Maybach – 2025 gab er seinen Ausstieg bekannt.