Seit 28 Jahren bringt Norbert Grünleitner mit seinen witzigen Ansagen Ordnung ins Wiesn-Chaos am U-Bahnsteig in München. Während andere vor dem Getümmel flüchten, bleibt er mittendrin. Der Kult-U-Bahnsprecher spricht über schräge Erlebnisse – und warum das Oktoberfest für ihn trotz immer lauter werdender Kritik noch zeitgemäß ist.
Der bekannte Münchner U-Bahnsprecher Norbert Grünleitner sorgt seit 28 Jahren während des Oktoberfests mit humorvollen Durchsagen für Ordnung am Bahnsteig. Sein Ziel: Tausende Menschen sicher zur Wiesn und hinterher wieder nach Hause zu bringen.
Während etliche Anwohner rund um die Theresienwiese in dieser Zeit regelmäßig das Weite suchen, begibt sich der 57-Jährige direkt in den Trubel der – zum Teil stark alkoholisierten – Wiesn-Besucher. Aber warum tut man sich das an? Im Interview mit unserer Redaktion beantwortet der berühmte U-Bahnsprecher diese Frage und gibt Einblicke hinter die Kulissen des größten Volksfests der Welt. Dabei muss auch der selbsternannte Wiesn-Junkie feststellen: "Es ist nicht alles Gold, was glänzt."
Herr Grünleitner, warum tut man sich tagelang diese lauten, alkoholisierten Menschenmassen an?
Norbert Grünleitner: Diese 16 Tage sind für mich eine totale Abwechslung. Ich bin in meinem Alltag immer mehr im Innendienst, im Büro. Für mich persönlich ist meine Arbeit während der Wiesn am U-Bahnhof keine Arbeit, weil ich das gern mache. Und in 99,9 Prozent der Fälle sind die Fahrgäste gut drauf.
Wie viele Tage während der Wiesn arbeiten Sie? Alle 16 Tage durch?
16 Tage darf ich gar nicht arbeiten. Ich muss zwei Tage freinehmen. Also immer nach sechs Tagen, einen Tag frei. Aber ich bin so ein Wiesn-Junkie, dass ich an den zwei freien Tagen sogar privat mit Kollegen ins Bierzelt gehe. Wenn man täglich sieht, wie die Leute von der Wiesn gut gelaunt die Treppen bei der U-Bahn runterkommen, dann muss man selbst einmal dabei sein.
Wie lange dauert Ihre Schicht?
Ich fange gegen 16 Uhr an – und dann bis zum Schluss. So genau kann man das nie sagen, denn Schluss ist, wenn die letzten heimgefahren sind. Deshalb können es acht Stunden, am Wochenende mal bis zu zehn Stunden werden. Aber natürlich gibt es Pausen dazwischen. Die müssen schon sein, dass man sich irgendwo in einen ruhigen Raum zurückziehen kann.
Norbert Grünleitner freut sich nach dem Oktoberfest wieder auf Ruhe
Nach 16 Tagen machen sich die langen Tage bestimmt körperlich bemerkbar, oder?
Ja, das merkt man schon. Ich bin eigentlich Frühaufsteher. Das Umswitchen in den Spätdienst während der Wiesn ist mir mit 25 Jahren wesentlich leichter gefallen. Nach den 16 Tagen ist man schon froh, wenn man wieder zwei, drei ruhigere Tage hat und in seinen normalen Rhythmus reinkommt.
Wie bereiten Sie sich auf eine Schicht vor?
Ich bereite mich überhaupt nicht vor. Man kommt in die Arbeit und weiß nicht, was einen erwartet – außer, dass ein Haufen Leute kommt und ich diese sicher von Zuhause zur Wiesn und später zurückbringen möchte.
U-Bahnsprecher Norbert Grünleitner: "Es ist nicht alles Gold, was glänzt"
Wovon gefühlt jeder Zweite fragt, welcher Zug zum Hauptbahnhof fährt. Nervt das nicht irgendwann? Wie dick ist Ihr Fell inzwischen?
Ich finde das nicht so tragisch. Mein Gott, dann sag' ich es halt nochmal durch. Es kommt immer auf die eigene Einstellung an. Wenn ich mit Widerwillen da rausgehe, bin ich fehl am Platz. Ich mache das gern und dann habe ich auch kein Problem, wenn ich das 25-mal sage. Bei diesen Massen muss man nicht das Diskutieren anfangen. Klar sieht man da Sachen, die man das ganze Jahr nicht sieht. Es sind viele lustige dabei. Aber es ist nicht alles Gold, was glänzt.
Was meinen Sie damit?
Die 0,1 Prozent, die meinen, dass ihnen der ganze Bahnhof gehört, herumschreien und randalieren. Aber dafür haben wir unsere U-Bahn-Wache, die diese Personen besonders in Augenschein nimmt. Wenn sich einer gar nicht benehmen kann, muss er wieder zurück auf "Los": Er wird nach oben begleitet und kann es später nochmal probieren, normal herunterzugehen. Ansonsten bekommt er Hausverbot.
0,1 Prozent ist auf den ersten Blick eine niedrige Quote.
Das Ganze mit den Durchsagen hat ja seinen Sinn. Wir wollen deeskalieren. Jeder Spruch hat seinen Sinn und es geht uns immer um die Sicherheit, das ist oberstes Gebot. Ich mache das seit 28 Jahren. Bisher habe ich sehr gute Erfahrungen mit meinen spontanen, lockeren Sprüchen gemacht wie "Kommts zu mir in die Bahnsteigmitte, da sind die feschesten Madln und die hübschesten Buam" oder "Bei uns dürft ihr alle 18 Türen gleichzeitig öffnen, die U-Bahn ist kein Adventskalender". Da lachen die Leute, haben ein Lächeln im Gesicht. Das wollen wir.
"Es sind alle gleich. Und so werden sie auch behandelt."
Sie machen Ihre Ansagen mit viel Humor. Wie weit darf der Spaß am Mikro gehen?
Man muss die Kirche im Dorf lassen. Respektvoll bleiben – und dann passt das auch. Man muss aber eine lockere Zunge haben und spontan reagieren, denn die Leute kommen mit zwei, drei Maß Bier herunter. Da muss man die anders ansprechen als unter dem Jahr. Aber wir müssen immer bedenken: Wir wollen für Sicherheit und Ordnung sorgen. Ein sturer Ton hilft da nicht.
Was haben Sie im Laufe der 28 Jahre als Wiesn-Ansager über Menschen gelernt?
Es sind alle gleich. Und so werden sie auch behandelt.
Was war für Sie das einprägsamste Erlebnis am U-Bahnsteig während der Wiesn?
Wir hatten einmal fast eine Geburt. Bei einer hochschwangeren Frau haben am Bahnsteig die Wehen angefangen. Wir haben darauf den Sanitätsdienst am Bahnhof gerufen, der sie dann abholen lassen hat. Gott sei Dank ist es nicht zur Geburt gekommen. Aber da habe ich schon Gänsehaut bekommen, weil wir alle gedacht haben: "Jetzt an diesem Bahnhof? An so einem Ort?"
Ist das Oktoberfest noch zeitgemäß?
Hoher Alkoholkonsum, sexistische Lieder, hohe Preise: Ist so ein Volksfest wie die Wiesn eigentlich noch zeitgemäß?
Klar, dass das für den einen oder anderen ein bisschen zu viel Alkohol ist. Aber wenn man die ganze Zeit arbeitet, dann muss man sich auch mal eine Auszeit gönnen. Das heißt nicht, dass man sich da immer volllaufen lassen muss, sondern man kann auch seinen Spaß haben, wenn man nur so mal über die Wiesn geht. Das muss man dem Menschen auch zugestehen, dass er sich irgendwann einmal diesen Spaß holt.
Ja, für den einen oder anderen ist das natürlich ein Riesengeld. Aber das muss jeder für sich selbst entscheiden, ob er sich das leisten kann oder nicht.
Empfehlungen der Redaktion
Ich persönlich gehe gern auf die Wiesn, gehe auch nur so mal durch. Allein schon die Gerüche da draußen: von der Wurstbraterei, von den gebrannten Mandeln, die Zuckerwatte. Das weckt Kindheitserinnerungen.
Über den Gesprächspartner
- Norbert Grünleitner hat während des Oktoberfests die Gesamtleitung für die fünf Wiesn-Bahnhöfe: Theresienwiese, Schwanthalerhöhe, Hauptbahnhof, Odeonsplatz und Goetheplatz. Bekannt geworden ist er mit seinen charmanten und humorvollen Mikrofon-Ansagen, mit denen er am Bahnsteig für Ordnung und Sicherheit sorgt. Den Job macht er mittlerweile seit 28 Jahren, weshalb er als Wiesn-Kult gilt.