Für die neue Folge seiner Doku-Reihe "Im Einsatz für ..." hat sich Hannes Jaenicke auf die Spuren des Oktopus begeben. Etwa fünf Millionen Tonnen Tintenfische landen pro Jahr auf dem Teller. Der 65-Jährige erklärt, warum wir die Finger von der Delikatesse lassen sollten. Zudem kritisiert der Umweltaktivist die Tötung von gesunden Pavianen im Nürnberger Zoo scharf.

Ein Interview

"Nachweislich ist das Mittelmeer zu 90 Prozent leergefischt", sagt Hannes Jaenicke. Trotzdem ist der Krake auf der Roten Liste noch als "nicht bedroht" eingestuft. Warum ist das so? Der Umweltaktivist und Schauspieler trifft in "Hannes Jaenicke: Im Einsatz für den Oktopus" (am 16.09. um 20:15 Uhr im ZDF und ab sofort in der ZDF-Mediathek) auf Artenschützer in Griechenland, Forscher in Kroatien und nachhaltige Fischer in Indonesien.

Im Interview mit unserer Redaktion spricht Jaenicke über die Intelligenz von Oktopoden, Marketingstrategien der Fischkonzerne und den in die Kritik geratenen Nürnberger Zoodirektor Dag Encke, der im Juli zwölf Paviane wegen Platzmangels töten ließ.

Herr Jaenicke, wie intelligent ist der Oktopus – insbesondere im Vergleich zu den Menschen, auf deren Tellern er letztlich landet?

Hannes Jaenicke: Da Oktopoden weitgehend unerforscht sind, kann ich nur auf die Anatomie dieser Tiere eingehen. Man weiß, dass ein Oktopus in jedem Arm ein Gehirn hat – ein weiteres befindet sich im Körper. Insgesamt hat das Tier also neun Gehirne. Bekannt ist zudem, dass die Nahrung durchs Gehirn und nicht durch den Magen geht. Dass Oktopoden viel intelligenter sind, als wir denken, daran gibt es keinen Zweifel.

Was können wir von diesem Tier lernen?

In unserem Film kommen drei Professoren zu Wort, deren Lehrstühle und Forschung von der KI- und -Robotikindustrie gesponsert werden. Das zeigt, wie groß das Interesse der Intelligenzforschung ist. Es gilt herauszufinden, warum Oktopoden das können, was sie können. Die entscheidende Frage dabei ist, wie ein Tier mit einer Lebenserwartung von nur anderthalb Jahren ohne Brutpflege so schnell so intelligent werden kann. Und wie ist es möglich, dass dieses Tier acht Arme autark bewegen kann – ohne dabei die Augen zu benutzen? Wenn genau das ein Roboter könnte, würde das beispielsweise die Herzchirurgie revolutionieren – weil man dann durch die hintere Herzwand operieren könnte.

Hannes Jaenicke: "Essen Oktopus nur aus reiner Unwissenheit"

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie andere Menschen in Restaurants panierte Tintenfischringe essen sehen?

Zunächst einmal möchte ich den Tintenfischring-Liebhaber kurz verteidigen: Ich glaube, dass er dieses Tier nur aus reiner Unwissenheit isst. Würden Leute, die Oktopus als Delikatesse verzehren, wissen, was für ein faszinierendes Lebewesen sie da essen, würden sie es sofort wieder ausspucken. Mir persönlich ist es aber ein absolutes Rätsel, wie man es zu sich nehmen kann. Erst recht, nachdem ich vor ein paar Jahren die Netflix-Doku "My Octopus Teacher" [deutscher Filmtitel: "Mein Lehrer, der Krake"; Anm. d. Red.] gesehen habe, die mit einem Oscar ausgezeichnet wurde. Das Mittelmeer wird in einem aberwitzigen Tempo leergefischt – vor allem, was Oktopoden angeht.

Mit welchen Folgen?

Überfischung hat immer Auswirkungen auf das Ökosystem und die marine Nahrungskette. Wenn du keine Oktopoden mehr hast, hast du auch keine Mönchsrobben mehr. Auch Delfine lieben Oktopus als Nahrungsmittel. Eliminiert man ein Glied aus dieser Kette, kollabiert das System. Das sollten eigentlich alle Leute wissen, die gerne Fisch oder eben Oktopus essen. Wir sollten also die Finger davon lassen.

Wie ordnen Sie die Preisentwicklung des Lebensmittels ein?

Je mehr dieses Tier überfischt wird, desto teurer wird es. Aktuell kostet ein Kilo Oktopus in etwa 10 Euro. Wir haben es hier mit einer Delikatesse zu tun, die nicht nur bei uns, sondern leider gerade in Südeuropa extrem beliebt ist. Nachweislich ist das Mittelmeer zu 90 Prozent leergefischt.

Vor wenigen Wochen waren wir für unseren Film mit "Sea Shepard" zwischen Thessaloniki und der türkischen Grenze im Thrakischen Meer unterwegs. Die lokalen Fischer, die die Bemühungen dieser Meeresschutz-Organisation übrigens unterstützen, haben uns erzählt, dass sie früher mit 5.000 Fallen die gleiche Menge Oktopus aus dem Meer geholt haben, wie sie heute mit 500.000 Fallen herausziehen. Jeder Erstklässler kann ausrechnen, dass das nicht mehr lange gutgehen kann.

Erschwerend kommt hinzu, dass der Octopus vulgaris, der gerne gegessen wird, bis zu einer Wassertemperatur von 27 Grad überlebt. Das Mittelmeer ist mittlerweile aber regelmäßig über 27 Grad warm. Die Kurzsichtigkeit des Menschen finde ich immer wieder faszinierend.

"Die Fischereiindustrie tut alles, um Fangquoten wahlweise zu unterbinden, zu verhindern oder zu unterlaufen."

Trotz der alarmierenden Zahlen wird der Krake als "nicht bedroht" eingestuft. Wie ist das zu erklären?

Noch ist das so. Die Fischereiindustrie tut alles, um Fangquoten wahlweise zu unterbinden, zu verhindern oder zu unterlaufen. Es gibt keine genauen Zahlen. Wir waren mit zwei berühmten Oktopusforschern auf Krk in Kroatien. In mehreren Tagen vor Ort haben wir unter Wasser genau einen Oktopus zu Gesicht bekommen. Dem Tier, das nicht ein einziges Mal aus seiner Höhle herauskam, fehlte ein Arm.

Kroatien ist also schon nahezu leergefischt. Ähnlich wie mit Blick auf den Fleischkonsum – Stichwort: Rückkehr zum Sonntagsbraten – empfehle ich, auch Fisch zu einem Feiertagsessen zu machen. Reduktion ist der erste Schritt, um die Balance im Meer wieder herstellen zu können.

Oktopoden gelten als fettarm, sind reich an Proteinen und enthalten Vitamine und Mineralstoffe. Was entgegnen Sie Menschen, die Tintenfisch mit der Begründung bestellen, dass sie sich gesund ernähren möchten?

Das halte ich für total verlogen. Es ist ähnlich wie beim Lachs: Der Oktopus hat mittlerweile große Mengen an Giftstoffen und Mikroplastik aufgenommen. Das hängt damit zusammen, dass dieses Tier sehr viele Fressfeinde hat. Irgendwann hat der Oktopus festgestellt, dass PET-Flaschen ein grandioses Versteck sind. Insofern verkriecht er sich nicht mehr in Muscheln oder Höhlen, sondern lieber in Plastikcontainern.

Was bedeutet das für den Menschen?

2023 wurde in einer Wiener Studie nachgewiesen, dass Plastik bereits die Schranke ins menschliche Gehirn überwunden hat. Mein Stand ist, dass wir pro Woche ungefähr die Plastikmenge einer Kreditkarte verzehren. Wer glaubt, Oktopus sei gesund, ist ein Opfer der Marketingstrategie von Fischkonzernen.

Haben Sie von Ihren Reisen Erkenntnisse mitgenommen, die Hoffnung machen?

Ja. Den ersten Teil des Films haben wir in Indonesien bei den sogenannten Bajaus gedreht. Das sind die Seenomaden, die seit Jahrtausenden auf, im und vom Meer leben. Diese Menschen sind direkt von Klimaveränderungen und Überfischung betroffen. Interessanterweise fischen die Bajaus, obwohl es eine vermeintlich einfache, indigene Kultur ist, ausgesprochen nachhaltig. Sie halten die Schon- und -Laichzeiten rigide ein.

Zu den ermutigenden Erlebnissen unserer Reisen gehörte auch die Tour mit "Sea Shepard" vor der griechischen Küste. An unserem Rekordtag haben wir 1.680 Fallen aus dem Meer gezogen. Wir haben diese Plastikbottiche mit etwas Beton im Boden an Bord zerstört – und konnten immerhin etwa 40 Oktopoden befreien. Auch wenn das nur ein Tröpfchen auf dem heißen Stein ist, muss es trotzdem gemacht werden. Und Sie können mir glauben: Es macht einen Heidenspaß. Ein Höhepunkt meiner Dokumentar-Laufbahn!

Sind Sie heute auch Schauspieler, um möglichst viele Menschen in Sachen Tierwohl erreichen zu können? Hat sich da bei Ihnen in der Gewichtung etwas verschoben?

Nein, eigentlich nicht. Ich habe mir diesen Beruf damals im zarten Alter von 19 Jahren ausgesucht, weil er riesigen Spaß macht. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Was ich nicht mehr mache, ist, schlechte Drehbücher mit mittelmäßigen Regisseuren zu verfilmen. Ich nehme nur noch die Filmprojekte an, auf die ich wirklich Lust habe. Im Übrigen zahle ich von der Schauspielerei auch meine Miete.

Natürlich stellt man sich irgendwann die Sinnfrage. Das bleibt nicht aus, wenn man in zig Krimis mitgespielt und 100 Mal Fragen wie "Wo waren Sie gestern Nacht?" oder "Haben Sie ein Alibi?" gestellt hat. Insofern hatten meine Dokumentar-Anfänge schon etwas mit meinem Wunsch nach einer sinnvollen Mediennutzung zu tun. Heute kann ich sagen, dass sich beides großartig ergänzt.

Jaenicke über Nürnberger Zoodirektor: "Dag Encke gehört vor Gericht!"

Wie ordnen Sie als Tierschützer die Tötung der gesunden Paviane im Nürnberger Zoo ein?

Dag Encke [Direktor Tiergarten Nürnberg; Anm. d. Red.] gehört vor Gericht! Und das nicht nur wegen seiner Pavian-Tötung, sondern auch wegen seines Delfinariums. Als vorletzter Zoodirektor in Deutschland betreibt er immer noch ein Delfinarium mit täglichen Delfin-Shows – angeblich zu Therapiezwecken. Ich verstehe jeden Protest gegen diesen Mann, sofern dieser friedlich stattfindet.

Wie stehen Sie zu Zoos im Allgemeinen?

Grundsätzlich halte ich Zoos für eine wichtige Bildungseinrichtung. Allerdings nur unter der Bedingung, dass die Tiere so artgerecht wie möglich gehalten werden können. Nicht jeder Mensch kann sich eine Safari in Afrika leisten.

Ich selbst habe meine Tierliebe durch die sonntäglichen Besuche im Frankfurter Zoo mit meinem Großvater entdeckt. Damals habe ich mir natürlich noch nicht den Kopf über ein viel zu kleines Eisbärengehege und einen viel zu kleinen Tigerkäfig zerbrochen. Das sehe ich heute anders. Ich verteidige das Konzept des Zoos, solange die Tiere nicht gequält werden. Das, was jetzt in Nürnberg passiert ist, halte ich für kriminell.

Für welche weiteren Tiere wären Sie in Zukunft gerne im Einsatz?

Zum Beispiel würde ich gerne etwas zum Thema Esel machen, weil kaum ein Mensch weiß, dass dieses Tier ausstirbt. Sollte ich das Budget jemals zusammenbekommen, würde ich mich gerne auch den Pinguinen in der Antarktis widmen. Mit keinem Tier kann man besser bebildern, wie wir die Polkappen wegheizen und die Meeresspiegel dementsprechend steigen.

Empfehlungen der Redaktion

Auch Bonobos wären ein gutes Thema. Bei diesen Zwergschimpansen handelt es sich um eine akut vom Aussterben bedrohte Tierart, in deren Heimat ein grauenvoller Krieg um Rohstoffe tobt, den die ganze Welt ignoriert: Kongo. Bonobos weisen das vielleicht interessanteste Sozialwesen aller Tiere auf. Wenn in einer Bonobo-Gruppe ein Konflikt ausbricht, dann wird Sex praktiziert – und kein Krieg.

Über den Gesprächspartner:

  • Hannes Jaenicke ist ein deutscher Schauspieler, Synchronsprecher, Autor und Umweltaktivist. Mitte der 80er-Jahre war der Frankfurter in dem Thriller "Abwärts" erstmals im Kino zu sehen. Später wurde er für nationale und internationale Produktionen wie "Katharina die Große", "Knockin’ on Heaven’s Door" oder "Bandits" besetzt. Seit 2018 spielt er im "Amsterdam-Krimi" einen LKA-Ermittler. Jaenicke engagiert sich für den Tierschutz, seine Doku-Reihe "Im Einsatz für ..." wird seit 2007 ausgestrahlt.