Mit dem Fahrrad von Deutschland über Indien nach Afghanistan: Jakob Tepler radelt allein durch Krisengebiete, Wüsten und verschneite Landschaften. Unterwegs begegnet er atemberaubenden Landschaften, radikaler Armut, überwältigender Gastfreundschaft – und sich selbst.
Drei Jahre, 23 Länder, über 22.000 Kilometer: Ohne Training und ohne konkreten Plan schwingt sich Jakob Tepler 2022 auf ein gebrauchtes Fahrrad und fährt los – von Deutschland in Richtung Marokko. Aus den geplanten drei Monaten werden Jahre, aus einem Selbstversuch eine Lebensentscheidung.
Der inzwischen 26-Jährige radelt durch Europa, den Nahen Osten und Zentralasien, wird überfallen und von Militär eskortiert und begegnet existenzieller Armut sowie grenzenloser Gastfreundschaft. Die Welt, die er dabei entdeckt, verändert nicht nur seine Pläne, sondern auch seinen Blick auf Besitz, Sicherheit, Freiheit und Erfolg.
Gerade ist Jakob für einen kurzen Zwischenstopp zurück in Deutschland. Bevor er Anfang August weiterradelt, spricht er im Interview über seinen Antrieb, über Momente der Furcht und über das Freiheitsgefühl auf zwei Rädern.
Jakob, du bist früher schon viel mit deinem selbstausgebauten Van gereist. Wieso der Wechsel vom VW-Bus aufs Fahrrad?
Jakob Tepler: Auf einer Reise habe ich in Griechenland einen Tramper mitgenommen, der mit dem Fahrrad in die Türkei gefahren ist. Ich dachte zuerst: Was für eine dumme Idee! Aber je länger ich darüber nachdachte, desto cooler fand ich es. So ein Abenteuer wollte ich auch erleben. Nach meinem Bachelorstudium habe ich mir ein altes Rad gekauft und bin los: ohne Training, ohne Plan. Am ersten Tag war ich nach 30 Kilometern schon platt, habe im Nachbarort unter einem Apfelbaum gezeltet und Angst vor Wildtieren gehabt. Da habe ich meine Entscheidung hinterfragt.
Trotzdem bist du weitergefahren.
Die ersten Tage waren hart, aber ich habe schnell gemerkt: Reisen mit dem Fahrrad ist viel intensiver und ehrlicher als mit dem Van. Ich habe viel mehr erlebt und war in Gegenden unterwegs, die man mit dem Auto nie entdecken würde. Man ist näher dran – an der Natur, an den Menschen, an allem.

Für deine Reise nach Marokko hattest du etwa drei Monate eingeplant. Danach wolltest du dein Masterstudium beginnen. Wann wurde dir klar, dass du stattdessen weiterfahren möchtest?
In Spanien. Ich habe ohne Zelt unter dem Sternenhimmel in einer einsamen Bucht am Meer geschlafen und gemerkt: Mir fehlt nichts. Ich hatte fast nichts und war glücklicher denn je.
Zurück in Deutschland hast du deinen gesamten Besitz verkauft und nach kurzen Vorbereitungen eine Weltreise gestartet.
Ich habe mich vor allem über Visa, Grenzübertritte und politische Lagen informiert. Der Rest der Vorbereitung war eher chaotisch: billiges Zelt, schlechtes Fahrrad, kein Training und nicht mal Ahnung, wie ich einen Reifen flicke.
"Wenn man zu lange darüber nachdenkt, erscheint so ein Vorhaben komplett unmöglich."
Hattest du keine Angst?
Doch. Wenn man zu lange darüber nachdenkt, erscheint so ein Vorhaben komplett unmöglich. Ich habe am ersten Tag der Fahrradreise 50 Kilometer geschafft, insgesamt wollte ich etwa 40.000 fahren. Schon da habe ich alles hinterfragt: Das wird doch niemals was, ich werde meine Freunde vermissen, werde irgendwo verloren gehen. Aber meine Antwort auf das Gefühlschaos war immer: Andere haben das auch schon geschafft. Also wird es schon irgendwie gehen.

Du hast deine Reise in Deutschland gestartet, bist quer durch Europa und den Nahen Osten bis nach Indien geradelt. Von dort ging es in Zentralasien weiter. Hattest du diese Route von Anfang an so geplant?
Bis Indien war es so geplant, danach war vieles improvisiert. Eigentlich wollte ich nach Südostasien, aber wegen des Bürgerkriegs und der geschlossenen Grenzen kam ich nicht durch Myanmar. Stattdessen bin ich über Pakistan, China, Kirgistan, Kasachstan und Usbekistan nach Afghanistan.
Wie lange im Voraus planst du in der Regel?
Ich versuche, mich grob an Jahreszeiten zu orientieren. Das funktioniert manchmal ein bisschen, oft aber sehr schlecht: In Ungarn war ich im Winter bei minus acht Grad, in Pakistan im Sommer bei 49. Ansonsten weiß ich meist nur grob, wohin es geht. Manchmal fahre ich 100 Kilometer am Tag, manchmal nur 20. Diese Spontaneität genieße ich am meisten. Morgens nicht zu wissen, wo man abends ist – das ist ein Riesenunterschied zum durchgetakteten Alltag im Studium.

Wird dir auf dem Fahrrad nie langweilig?
Nur am Anfang, im europäischen Winter. Da war's kalt, grau, leer. Ab der Türkei war es eher das Gegenteil: so viele Eindrücke, so viele Gedanken, Reizüberflutung. Also: Nein, eigentlich nicht.
Und körperlich – hattest du Beschwerden?
Erstaunlich wenig. Ich hatte am Anfang Knieprobleme und musste in Österreich eine Woche pausieren, dann lief es. Und auch mein Hintern hat keine Probleme gemacht. Das alte Fahrrad hat mich wirklich noch bis Indien getragen. Keine Ahnung, wie das halten konnte. Von Indien aus habe ich einen kurzen Heimatbesuch in Deutschland gemacht und habe das Fahrrad gegen ein Neues getauscht.
Geschlafen hast du meistens im Zelt?
Ja, meistens. Manchmal auch in Hostels, aber eigentlich wirklich überall mal. In Afghanistan auf dem Dach einer Mall, in Indien in einem Krankenhaus, in der Türkei in einer Moschee, in Pakistan auf einer Polizeistation. Ich wurde aber auch unzählige Male zu Fremden nach Hause eingeladen. Im Iran haben sich die Leute fast gestritten, wer mich mit zu sich nehmen darf. In keinem Land waren die Menschen so gastfreundlich wie im Iran, knapp dahinter Afghanistan. Landschaftlich fand ich aber Kirgistan am schönsten.
Du warst auch in Regionen unterwegs, in denen viele Menschen selbst kaum etwas zum Leben haben. Wie hast du diese Armut erlebt?
In Ländern wie Indien oder Pakistan habe ich Armut gesehen, die ich nicht mehr einordnen konnte. Es überfordert, zieht dich runter. Aber irgendwann stumpfst du ab – vermutlich als Schutzmechanismus. Die Reise hat meinen Blick auf Konsum verändert. Die Abwesenheit von Dingen macht ihre Existenz viel wertvoller: Auf Reisen unverhofft einen Brunnen zu finden, wenn ich kein Wasser mehr habe, ist der schönste Teil meines Tages. In Deutschland ist Wasser normal, da freue ich mich nicht darüber. Man wird genügsamer. Das will ich mir bewahren.
Gab es auch Länder, in die du eher nicht zurückmöchtest?
Vermutlich Serbien. Viele Leute dort waren schlecht drauf. Eine Hassliebe ist für mich Pakistan: Die Natur ist schön, die Kultur und Menschen aber sehr fordernd. Man wird als Individualreisender ständig von Polizei oder Militär eskortiert, teilweise über Hunderte Kilometer. Sie haben mir nicht richtig zugehört, sagten mir nicht, wohin sie mich bringen. Man darf nur in bestimmte Hotels, muss auf die nächste Eskorte warten, weiß nie, wann es weitergeht.
Zur eigenen Sicherheit?
So wird es offiziell begründet. Oft fühlte es sich mehr nach Überwachung an.
Gab es noch mehr gefährliche Situationen, die dir Angst gemacht haben?
Ein paar. In Serbien hat ein betrunkener Jäger in seinem Haus eine Pistole auf mich gerichtet. In Georgien wurde ich nachts am Zelt überfallen, mein ganzes Gepäck wurde gestohlen. Im Iran haben mich Behörden festgehalten, weil ich unwissentlich durch ein militärisches Sperrgebiet gefahren bin.
Wie gehst du mit solchen Situationen um?
Ich versuche, positiv zu bleiben. Meistens ist direkt nach dem Schlechten etwas sehr Schönes passiert. Ein Beispiel: Nachdem mein Gepäck geklaut wurde, hat mich ein Schulleiter zu sich eingeladen. Ich durfte bei ihm wohnen, er hat mich herumgeführt, wir waren gemeinsam bei Geburtstagsfeiern seiner Freunde. Das war unvergesslich.
"Vermisst habe ich auch das Essen von Mutti. Vor allem, wenn man mit Lebensmittelvergiftung irgendwo in Indien im Bett liegt."
Du hast viele neue Leute kennengelernt, bist oft mit ihnen gemeinsam weitergereist. Dann trennten sich eure Wege wieder. Hattest du dafür noch viel Kontakt mit Freunden und Familie aus der Heimat?
Schon, aber es ist schwer, in Verbindung zu bleiben, wenn man so unterschiedlich lebt. Wenn ich Probleme mit den Taliban habe, weil die mich nerven, ist das für jemanden mit Büroalltag einfach schwer nachzuvollziehen. Heimweh hatte ich aber selten. An Weihnachten zum Beispiel, da haben meine Familie und Freunde eine lebensgroße Pappfigur von mir mit auf Partys genommen. Das war zwar witzig, aber auch traurig. Vermisst habe ich auch das Essen von Mutti. Vor allem, wenn man mit Lebensmittelvergiftung irgendwo in Indien im Bett liegt – da sehnt man sich schon nach zu Hause.

Im Moment musst du dich nicht danach sehnen: Seit Mai bist du wieder zurück in Deutschland.
Genau, ein kleiner Boxenstopp mit viel Orgakram, Steuern, Reparaturen, Ausrüstung checken, Content vorbereiten, bevor es Anfang August wieder weitergeht. Afghanistan war sehr intensiv: politisch angespannt, kaum Privatsphäre, extrem viele Eindrücke. Danach im Kinderzimmer zu sitzen, war ein ziemlicher Bruch. Die ersten Wochen musste ich erst mal runterkommen und vieles verarbeiten. Aber mittlerweile bin ich angekommen, sehe Familie, Freunde – tut gut.
Du warst zweieinhalb Jahre allein unterwegs. War das deine bewusste Entscheidung?
Ja. Ich war nie jemand, der wartet, bis jemand mitzieht. Wenn ich etwas machen will, mache ich das. Allein zu reisen hat auch viele Vorteile. Man ist flexibler, lernt schneller Leute kennen. Aber ich glaube, langfristig ist es nicht gesund, so viel allein zu sein.
In Zukunft musst du das auch nicht mehr: Deine Freundin wird dich ab Anfang August begleiten.
Ja, sie kommt mit! Es wird ihre erste richtige Fahrradreise und sie trainiert schon fleißig. Ich freue mich sehr drauf, auch wenn das Reisen zu zweit sicher eine Umstellung wird. Wir machen dort weiter, wo ich aufgehört habe: An der Grenze von Afghanistan zu Tadschikistan. Dort steht mein Fahrrad und wartet auf meine Rückkehr.
Worauf freust du dich beim Weiterreisen am meisten?
Nicht zu wissen, was der nächste Tag bringt. Keine To-do-Listen, keine Termine – einfach losfahren und schauen, was passiert.
Du dokumentierst deine Reise auch auf Social Media. Unter einem deiner Posts hast du geschrieben, du möchtest "in der Weltgeschichte rumradeln, solange das Geld reicht". Wie finanzierst du deine Reise?
Am Anfang habe ich von meinem Ersparten gelebt, hauptsächlich vom Verkauf meines Vans. Vor Kurzem war das Geld fast aufgebraucht. Inzwischen kann ich aber etwa 80 Prozent der Kosten mit Social Media decken. Ich stecke viel Arbeit rein: Fotos, Videos, Geschichten – das ist mittlerweile mehr als ein Hobby.
Empfehlungen der Redaktion
2022 war dein Plan noch, einen Master zu machen. Jetzt bist du Vollzeit-Radfahrer und Content Creator. Was bedeutet Erfolg für dich heute?
Selbstbestimmung. Das machen zu können, was mich glücklich macht. Erfolg ist nicht Karriere oder Besitz, sondern Freiheit.
Wo ist "zu Hause" für dich?
Zur Hälfte bei Familie und Freunden. Zur anderen Hälfte ist es ein Zelt in Afghanistan auf einem Hügel. Zuhause ist beides: das Vertraute und die Freiheit.
Über den Gesprächspartner
- Jakob Tepler ist 26 Jahre alt und kommt aus Schleusingen in Thüringen. Er studierte Technische Kybernetik an der Universität Stuttgart. Nach seinem Bachelor brach er im Jahr 2022 zu seiner Fahrradreise auf.
- Unter anderem auf Instagram berichtet Jakob von seiner Fahrradreise.