Johannes Bitter ist seit ein paar Monaten Sportdirektor beim HSV Hamburg. Wir haben mit ihm über Herausforderungen und Turbulenzen im neuen Job und die Ziele des Klubs gesprochen.
Johannes Bitter bekam lange nicht genug, erst Ende vergangenen Jahres beendete der Torhüter seine lange Spielerkarriere. Für den HSV Hamburg war der Weltmeister von 2007 seit 2021 aktiv. Allerdings bleibt er dem Klub erhalten, denn Bitter ist jetzt Sportdirektor.
Herr Bitter, Sie sind seit vergangenem Oktober offiziell Sportdirektor. Wie herausfordernd waren die ersten Monate Ihrer Amtszeit im neuen Job?
Jogi Bitter: Vor allem war es herausfordernd, sich in diese neue Rolle einzuarbeiten und dabei ein Stück weit zu vergessen, dass man im Herzen immer noch Profisportler ist. Ich diene dem Sport jetzt anders, nicht mehr auf der Platte, sondern aus dem Hintergrund. Das bedeutet: deutlich mehr Zeit am Schreibtisch, viele Gedanken, viele Autofahrten. Der körperliche Einsatz in der Halle fällt weg, das war definitiv die größte Umstellung. Aber es macht mir wahnsinnig viel Spaß.
Wie haben Sie sich auf diese Aufgabe vorbereitet?
Ich habe vor einigen Jahren Sportmanagement studiert und war auch schon während meiner aktiven Zeit im Verein hinter den Kulissen tätig. Ich durfte dort einiges mitgestalten und kannte dadurch viele Abläufe und Strukturen bereits. Ein Kaltstart war es also nicht, aber natürlich ist es noch einmal etwas ganz anderes, wenn man dann wirklich in der vollen Verantwortung steht.
Bitter muss lernen, Prioritäten zu setzen
Gab es etwas, das Sie besonders überrascht hat – positiv oder negativ?
Es ist einfach enorm viel zu tun. Es gibt ständig etwas vorzubereiten, zu organisieren oder durchzudenken. Ich empfinde das aber nicht als negativ – es gehört dazu. Man muss lernen, Prioritäten zu setzen: Wo ist das Stoppschild? Was kann ich delegieren? Was können andere vielleicht sogar besser als ich? Das ist etwas, das man sich aneignen muss. Es ist wie in der Selbstständigkeit: Man könnte theoretisch rund um die Uhr arbeiten.
Haben Sie das Gefühl, dass Sie mittlerweile angekommen sind oder lernt man nie aus?
Ich glaube fest daran, dass man nie auslernt. Es wäre vermessen zu sagen: Nach einem halben Jahr habe ich alles drauf. Ich war schon als aktiver Handballer jemand, der bis zum Schluss Neues gelernt und neue Situationen erlebt hat. Und das ist ja das Schöne: Jetzt darf ich wieder etwas Neues machen. Ich hoffe, ich kann über viele Jahre hinweg weiter dazulernen. Und im Idealfall lerne ich schnell.
Gibt es trotzdem etwas, das Sie an Ihrer neuen Rolle nervt?
Es ist ein extrem breites Feld, aber genau das ist ja das Spannende. Man kann an vielen Punkten Einfluss nehmen, etwa bei der Kaderzusammenstellung. Das Ziel ist immer, ein Team zu bauen, das nicht nur auf dem Papier funktioniert, sondern auch sportlich liefert. Dafür neue Wege zu suchen, neue Perspektiven zu eröffnen – das reizt mich sehr. Ich habe in der kurzen Zeit noch nichts gefunden, das mich wirklich nervt.
Welche Erfahrungen aus Ihrer aktiven Karriere helfen Ihnen jetzt besonders?
Vor allem, dass ich weiß, wie sich Spieler fühlen. Ich weiß, wie ich selbst als Spieler behandelt werden wollte und worauf es im Umgang miteinander ankommt. Ich kenne typische Fallstricke in der Planung und kann bestimmte Dinge vielleicht einfacher oder schneller erkennen als jemand, der diese Erfahrung erst noch machen muss. Das ist ein großer Vorteil und wahrscheinlich auch ein Grund, warum Ex-Profis mit Weitsicht gezielt in solche Positionen geholt werden. Dazu kommt das Netzwerk, das ich mir über viele Jahre aufgebaut habe. Das ist in dieser Rolle extrem hilfreich und oft sogar unverzichtbar.
Ruhe und Erfahrung bei kniffligen Verhandlungen
Merkt man das auch in Verhandlungen?
Definitiv. Ich habe viele meiner Verträge als aktiver Profisportler selbst verhandelt, deshalb gehe ich da heute mit einer gewissen Ruhe und Erfahrung rein. Ich weiß, wann in einer Karriere das Finanzielle vielleicht mal schwerer wiegt als andere Faktoren – oder wann die sportliche Entwicklung im Vordergrund steht. Wer das selbst durchlebt hat, kann solche Situationen deutlich besser einschätzen. Ich würde mich nicht als Verhandlungsprofi bezeichnen, der seit Jahrzehnten im Geschäft ist, aber ich bin eben auch kein unbeschriebenes Blatt, das da völlig unvorbereitet hineingerät.
Wie schwierig ist es, neue Spieler nach Hamburg zu holen, gerade bei der starken Konkurrenz?
Natürlich spüren wir die Konkurrenz. Und natürlich ist das eine Herausforderung. Deshalb stellen wir uns bei jeder Verpflichtung die Frage: Was sind die ausschlaggebenden Faktoren für den Spieler? Worauf legt er Wert? Und dann versuchen wir, ein Gesamtpaket zu schnüren, mit einer klaren Vision, mit Werten, mit ehrlichen Gesprächen. Wir versuchen ein bisschen anders, ein bisschen direkter und vielleicht auch schneller zu denken und hier und da noch ein bisschen tiefer einzusteigen. Denn wir glauben an das, was wir hier bieten, als Stadt, als Klub, als Team. Wir bieten Dinge wie Entwicklungschancen, ein intaktes Umfeld, klare Perspektiven. Auf diese Faktoren vertrauen die Jungs, die zu uns kommen.
Wie erfolgreich ist dieser Ansatz bisher, gerade im Vergleich zu gescheiterten Versuchen?
Ich habe das Gefühl, dass unser Weg funktioniert. Wenn ich mir die bisherigen Verpflichtungen anschaue, und das ließe sich wahrscheinlich auch statistisch untermauern, dann sind wir damit sehr erfolgreich. Natürlich müssen wir realistisch bleiben. Wenn wir versuchen, Spieler aus dem obersten Regal zu holen – Profis, die Mitte bis Ende 20 sind und voll in ihrer Prime stehen –, dann wissen wir, dass wir sehr gute Argumente brauchen. Aber wir sind da nicht schüchtern. Wir führen bewusst Gespräche mit Spielern, die wirklich zu uns passen. Und wenn die Faktoren stimmen, ist auch die Überzeugungsarbeit erfolgreich.
Wie problematisch war die Lizenz-Thematik?
Der Klub bekam im ersten Anlauf die Lizenz nicht und musste einen zusätzlichen Liquiditätsnaschweis erfüllen. Wie problematisch war die Thematik?
In den Medien wurde das Thema sehr groß gespielt, vor allem aufgrund der Vorgeschichte (Lizenzerteilung 2024 in letzter Sekunde, Anm.d.Red.). Intern war die Situation weniger dramatisch. Es ging schlicht darum, dass bestimmte Verpflichtungen nicht fristgerecht bedient wurden, obwohl das vorher nie in Zweifel gezogen wurde. Wir haben sehr transparent kommuniziert: Ja, wir waren vorbereitet, konnten aber innerhalb der kurzen Frist nicht alles umsetzen, was nötig gewesen wäre. Dass die HBL dann entsprechend ihrer Statuten handelt, ist vollständig nachvollziehbar. Am Ende war alles in Ordnung, und ich denke, wir haben das auch gut erklärt.
Stimmt es, dass Sie Einnahmen aus Ihrem Abschiedsspiel beigesteuert haben?
Diese Berichte kann man getrost vergessen. Es ist ein typisches Hamburger Phänomen, erstmal einen reißerischen Aufmacher zu liefern. Manche Sachen kommentiert man, manche besser nicht.
Eine besonders anstrengende Komponente des Jobs?
Nein, wir sind Profis, wir kennen das Spiel. Und wir wissen, was unsere Aufgabe ist: Ruhe in den Verein zu bringen. Wenn uns das gelingt, ändert sich auch die Art, wie über uns berichtet wird.
Wie sehr hat das Image des Klubs unter der Diskussion gelitten?
Es wird nicht dazu beigetragen haben, dass es besser wird, aber ich glaube nicht, dass es ein riesiger Faktor ist, weil wir es klar erklärt haben. Wir sind vor allem mit unseren Partnern und auch mit den Spielern offen und transparent umgegangen. Wir haben alle vorab informiert, wie die Lösung aussieht. Und da war keiner, der mir gesagt hat: 'Ich habe keine Lust auf Hamburg oder ich bin nervös.' Aber ich gehe davon aus, dass das Thema jetzt auch erledigt ist.
Hamburg ist Zehnter geworden mit 35:33 Punkten. Wie bewerten Sie die abgelaufene Saison sportlich?
Sehr positiv. Wir haben alle Ziele erreicht, die wir uns gesetzt hatten. Große Gegner geärgert, wichtige Spiele gewonnen, ein positives Punktekonto – sportlich war das ein richtig gutes Jahr. Wir wissen genau, wo wir herkommen und wo wir hinwollen, aber das war jetzt eine sportlich überragende Saison.
Bitter: "Haben die Vision definitiv in uns"
Und wie geht es weiter? Wo will der Klub hin?
Wir merken, dass immer wieder alte Sachen in die Luft geworfen werden, deswegen bin ich da zurückhaltend. Wir reden bewusst nicht öffentlich über Europa oder ähnliches. Aber klar ist: Hamburg soll zurück zum sportlichen Erfolg. Es geht um wirtschaftliche Weiterentwicklung, einen attraktiven Kader, der den Menschen hier Spaß macht und große, positive Geschichten. Wann daraus ein internationaler Wettbewerb wird oder etwas, das in der Mitte der Stadt gefeiert wird? Mal sehen. Aber wir haben diese Vision definitiv in uns. Und dass wir uns ein paar Jahre nach dem Aufstieg gedanklich mit solchen Dingen beschäftigen, zeigt ja, dass wir in der Hinsicht etwas sehen.
Es steht kurzfristig ein Umbruch bevor. Was macht Ihnen Hoffnung, dass er gelingt?
Wir haben in den letzten Jahren gezeigt, dass wir auch nach Abgängen konkurrenzfähig bleiben und das auf verschiedene Schultern verteilen können. Der Verlust von Leif Tissier ist sicher groß, aber wir haben fünf neue Spieler verpflichtet, die allesamt richtig Lust auf Hamburg haben. Wir sind davon überzeugt, dass wir in den richtigen Schubladen gewühlt und die richtigen Leute rausgeholt haben. Alle freuen sich. Das ist für mich die wichtigste Grundlage, um auch kommende Saison wieder etwas auf die Platte zu bringen, das begeistert.
Gibt es schon ein konkretes Ziel für die kommende Spielzeit?
Noch nicht. Wir haben auch im Vorjahr bewusst kein Saisonziel ausgegeben. Zuerst schauen wir uns die neue Konstellation genau an. Dann entscheiden wir, was realistisch ist.
Über den Gesprächspartner
- Der ehemalige Nationaltorhüter (175 Länderspiele) Johannes "Jogi" Bitter wurde mit dem DHB-Team 2007 Weltmeister, bis Ende vergangenen Jahres war er noch in der Bundesliga für den HSV Hamburg aktiv. Seitdem ist er als Sportdirektor tätig.