"Den ganzen Tag als 'Arschloch' beschimpft zu werden, ist sehr herausfordernd", sagt Moritz Führmann über die Dreharbeiten zu "Stammheim – Zeit des Terrors". In dem Dokudrama spielt er den Vollzugsbeamten Horst Bubeck, der ständige Anfeindungen der inhaftierten RAF-Terroristen über sich ergehen lassen muss. Wir haben mit dem Schauspieler über die Rolle gesprochen.

Ein Interview

Am 21. Mai 1975 begann der Stammheim-Prozess gegen die Führung der ersten Generation der RAF. Anlässlich des 50. Jahrestags eines der aufsehenerregendsten Gerichtsverfahren der Bundesrepublik rekonstruiert der "Stammheim"-Film (am 19.05. um 20.15 Uhr im Ersten) die Lebenswelt von Andreas Baader, Ulrike Meinhof und Co. im siebten Stock der JVA.

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Im Interview mit unserer Redaktion spricht Bubeck-Darsteller Führmann über die Dreharbeiten im Original-Zellentrakt und schockierende Einblicke in die Gruppendynamik der Terrorgruppe. Zudem verrät der 46-Jährige, wie "emotional" der Serientod seiner Frau Anna Schudt als Dortmunder "Tatort"-Kommissarin für ihn war.

Herr Führmann, Sie spielen die Hauptrolle in dem "Stammheim"-Film. Wie standen Sie der Idee des Regisseurs Niki Stein gegenüber, die "RAF als Kammerspiel" zu inszenieren?

Moritz Führmann: Entscheidend ist, was man aus diesem Film mitnehmen kann – vor allem mit Blick auf die junge Generation. Alles, was man vermeintlich über dieses Thema weiß, zeigt sich hier noch mal auf eine ganz andere Art. Man bekommt einen Einblick in Vorgänge, die bis dato nahezu unbekannt waren.

Von welchen Vorgängen sprechen Sie?

Nun, früher wurden die RAF-Mitglieder von vielen als Cowboys oder Revolverhelden wahrgenommen. Jetzt erscheinen sie in einem anderen Licht. Und zwar nicht, weil Niki Stein sich das ausgedacht hat. Sein Wissen basiert unter anderem auf Protokollen. Insofern gewährt einem der Film, wie ich finde, fast schockierende Einblicke in die Gruppendynamik unter den Anführern der Roten Armee Fraktion. Die Zuschauer erfahren, was hinter diesen Gitterstäben lange Zeit im Verborgenen geblieben war – nämlich, dass die Gruppe gar nicht so homogen war, wie man lange Zeit angenommen hatte.

"Der Rechtsstaat war auf diesen Prozess nicht vorbereitet, begab sich dann aber auf sehr dünnes Eis."

Welche Erkenntnis hat Sie besonders schockiert?

Dass die Inhaftierten auf fast alles Zugriff hatten – von einem Fernseher bis hin zu Rundfunkgeräten. Sie konnten miteinander kommunizieren. Als ich nun im Rahmen der Dreharbeiten den Satz "Baader lag erschossen in seiner Zelle" las, wurde mir noch einmal gegenwärtig, dass demzufolge ja Waffen im Gefängnis gewesen sein müssen. Das zeigt, wie maximal überfordert der Staat und somit auch der Vollzugsbeamte Horst Bubeck, den ich spiele, gewesen sein müssen. In seinem Versuch, alles richtigzumachen, rutschte er zwischen die Stühle.

Übrigens wurde das Gericht, wo der Prozess stattfand, direkt neben das Gefängnis gebaut. Im Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) ist zwar festgelegt, dass kein Prozess innerhalb eines Gefängnisses abgehalten werden darf, das ging aber zulasten der Sicherheitschecks. Der Rechtsstaat war auf diesen Prozess nicht vorbereitet, begab sich dann aber auf sehr dünnes Eis – indem zum Beispiel die Inhaftierten abgehört wurden, wie der Journalist Stefan Aust recherchiert hat.

Wie unterscheidet sich dieses Werk von dem Eichinger-Film "Der Baader Meinhof Komplex" aus dem Jahr 2008?

Es ist wichtig, diese Zeit zu verstehen. Mir persönlich haben da Gespräche mit meinen Eltern sehr geholfen. Dieser Nazi-Mief, der in den 60ern und 70ern noch in der Gesellschaft steckte, gab durchaus Anlass zu revoltieren. Allerdings wurde eben auch zu den völlig falschen Mitteln gegriffen. In unserem Film werden in einer Sequenz die erschreckenden Anschläge und Morde der RAF aufgezählt. Allerdings sind die anderen Filme nicht automatisch falsch, nur weil sie auf diesen Aspekt vielleicht weniger eingehen.

Sondern?

Bei dem Eichinger-Film, den Sie ansprechen, wurde eine Perspektive auf die Terroristen gezeigt, die es ebenso gab und bis heute gibt. "Stammheim – Zeit des Terrors" liefert da vielleicht ein ergänzendes Bild. Wir machen zudem deutlich, wie schwierig es ist, die Demokratie gegen die Feinde dieser Staatsform zu verteidigen. Und wie wichtig es weiterhin bleibt, dafür zu kämpfen – und zwar mit den richtigen Mitteln.

Von Baader, Meinhof und Co. beschimpft: Wer war Horst Bubeck?

Die Zuschauerinnen und Zuschauer erleben die Geschichte durch die Augen dieses Vollzugsbeamten. Wie haben Sie sich dieser Rolle genähert?

Mit Horst Bubeck konnte ich mich leider nicht mehr austauschen, da er mittlerweile verstorben ist. Aber er hat mit dem Autor Kurt Oesterle seinerzeit ein Buch ["Stammheim: Der Vollzugsbeamte Horst Bubeck und die RAF-Häftlinge"; Anm. d. Red.] geschrieben, das mir als eine der Hauptquellen diente.

Daraus geht hervor, wie akribisch er sich auf den Empfang der Gefangenen vorbereitet hat. Zudem schildert er, dass er möglichst auf Provokationen und aus diesem Grund darauf verzichtet hat, eine Dienstmütze zu tragen. Bubeck hat also eine Menge in die Wege geleitet, um nicht den Foltervorwürfen der Inhaftierten Vorschub zu leisten.

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Zu welchem Preis?

Er wurde andauernd angegangen und als "Arschloch" beschimpft. Sprüche wie "Wir wissen, wo du wohnst" oder "Wir wissen, wo deine Frau einkaufen geht" waren an der Tagesordnung. Um diese ständigen verbalen Attacken zu kompensieren, rannte er auf den Hof und rauchte Kette.

Wir haben am Originalschauplatz in Stammheim gedreht. Alleine das macht schon etwas mit einem. Wenn man dann noch bedenkt, was dieser Mann alles aushalten musste, bekommt man eine Vorstellung davon, wie herausfordernd diese Zeit für die Beteiligten gewesen sein muss.

Moritz Führmann: "Habe einen Abschiedsbrief geschrieben"

Wie hat es sich für Sie angefühlt, in der Rolle andauernd mit dem "A-Wort" und dem "F-Wort" konfrontiert zu werden?

Wie immer, wenn man sich zu lange mit schrecklichen Dingen beschäftigt, nimmt man irgendetwas davon mit. Nach den Dreharbeiten musste ich diese Rolle erstmal aus meinen Klamotten klopfen. Ich habe der Rolle einen Abschiedsbrief geschrieben, um es besser verarbeiten und hinter mir lassen zu können.

Den ganzen Tag als "Arschloch" beschimpft zu werden, ist sehr herausfordernd – selbst dann, wenn es nur gespielt ist. Hinzu kommt, dass der Aufenthaltsraum, in dem wir die Drehpausen verbrachten, eine echte Gefängniszelle war. Und natürlich wurden uns auch die Handys abgenommen. Man hatte also keine Gelegenheit, dem Ganzen zu entfliehen.

Das mit dem Abschiedsbrief meinen Sie symbolisch?

Nein, ich habe wirklich händisch einen Abschiedsbrief geschrieben – und diesen danach in einer Schale verbrannt (lacht). Es war sehr dramatisch. Der Brief ist aber zu privat, um daraus zu zitieren. Jedenfalls hat mir dieser Vorgang sehr geholfen, um den Switch zu meistern. Denn kurz nach "Stammheim" habe ich eine Comedy-Serie für einen Streamer gedreht. Dafür brauchte ich ein anderes Mindset.

"Verbale Gefechte" mit "Tatort"-Kollege Jörg Hartmann

Hier spielen Sie den Vollzugsbeamten, während Sie in der Miniserie "Ich bin Dagobert" wiederum einen Kommissar und im Dortmunder "Tatort" einen Staatsanwalt verkörpern. Stehen Sie als Schauspieler momentan lieber auf der richtigen Seite des Gesetzes?

Das würde ich so nicht sagen. Zum Beispiel habe ich in "Führer und Verführer" den NSDAP-Funktionär Karl Hanke gespielt. Und im "Tatort" hatte ich unlängst die Herausforderung und das schauspielerische "Vergnügen", einen Familienvater zu spielen, der zur Selbstjustiz greift. In der Krimiserie "Harter Brocken" habe ich einen relativ simplen Postboten verkörpert, und in "Die Chefin" wiederum einen brutalen Massenvergewaltiger. Insofern hatte ich bisher immer das Glück, unterschiedliche Rollen zu bekommen.

Der Staatsanwalt Matuschek im Dortmunder "Tatort" kommt jetzt auch wieder auf mich zu. Es handelt sich ja um eine fortführende Rolle, die sich zeitweise mit nicht ganz legalen Mitteln gegen den Faber [gespielt von Jörg Hartmann; Anm. d. Red.] zur Wehr gesetzt hat.

Ihre Ehefrau Anna Schudt stieg 2022 als Kommissarin Martina Bönisch aus diesem "Tatort" aus. Was ging damals in Ihnen vor, als Sie den Serientod Ihrer eigenen Frau gesehen haben?

Da ich natürlich ein riesen Fan von meiner Frau bin, kann ich diesen Verlust kaum verschmerzen – so sehr ich ihre Gründe nachvollziehen kann. Ihren Serientod zu sehen, war auch für mich total emotional. Noch schwieriger war es, ein Jahr lang dichtzuhalten. Schließlich wusste ich ja schon, dass es dazu kommen würde.

Zum Glück sind weiterhin fantastische Kolleginnen und Kollegen wie Stefanie Reinsperger oder Alessija Lause in Dortmund mit dabei. Nicht zuletzt macht es wahnsinnigen Spaß, sich mit Jörg Hartmann verbale Gefechte zu liefern (lacht). Er ist einer der entzückendsten Kollegen, die man sich vorstellen kann – und spielt mit viel Talent und feinem Humor diesen fiesen, unangenehmen Typen. Das reine Kollegenvergnügen!

Hat Ihre Frau der Martina Bönisch auch einen Abschiedsbrief geschrieben?

Ich weiß nur, dass sie es nachbereitet hat. Allerdings weiß ich nicht, wie sie das gemacht hat. Es war jedenfalls auch sehr persönlich. Fragen Sie sie doch gerne mal selbst. Das Interview würde auch ich sehr gerne lesen (lacht).

Über den Gesprächspartner

  • Moritz Führmann ist ein deutscher Schauspieler. Der in Kassel geborene Darsteller wurde einer breiten Öffentlichkeit als Postbote Heiner Kelzenberg in der Krimireihe "Harter Brocken" bekannt. 2020 kehrte er als Staatsanwalt Matuschek zum Dortmunder "Tatort" zurück. Auch in der Netflix-Serie "How to Sell Drugs Online (Fast)" und in der vierten "Charité"-Staffel spielte er mit. Führmann ist mit der Schauspielerin Anna Schudt verheiratet.