Liebe, Sex, Dramen: Lena Dunhams neue Serie sprengt alle Kategorien, ist mal lustig, mal tieftraurig, dann nervt sie ungemein. Trotzdem ist sie ein echter Tipp.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Felix Reek dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Kitschige Romantik ist zurück. Egal ob Kino, Streaming-Anbieter oder Literatur: Es kann gerade nicht genug Herzschmerz geben. "Bridgerton", "Nobody Wants This", "Emily in Paris" überall wird sich geliebt, im England des 19. Jahrhunderts, in europäischen Metropolen, auf Elite-Internaten. Es sind diese Romanzen, die sich Jessica (Megan Stalter) für ihr Privatleben erträumt. Sie ist in ihren 30ern, lebt in New York und kommt nicht über die Trennung von ihrem Freund hinweg. Als sie das Angebot für einen Job in London bekommt, zieht sie nach England und lernt direkt am ersten Abend Musiker Felix (Will Sharpe) kennen, mit dem sie eine stürmische Beziehung beginnt.

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Klingt zunächst einmal wie alles andere, was Netflix in den letzten Monaten im RomCom-Kosmos veröffentlicht hat. "Too Much" ist allerdings ganz anders. Hinter der Serie, die am 10. Juli startet, steckt Lena Dunham, die in allen zehn Folgen Regie führte und das Drehbuch zusammen mit ihrem Partner Luis Felber, ebenfalls Musiker, schrieb. Die Geschichte soll lose an das Kennenlernen der beiden angelehnt sein.

Vor mehr als zehn Jahren war Lena Dunham die Wunderfrau des amerikanischen Showbusiness. Ihre Serie "Girls" auf HBO, in der sie auch die Hauptrolle spielte, kam zur richtigen Zeit. Sie verlieh einer Generation von Frauen eine Stimme abseits von Klischees, eine Art Anti-"Sex and the City". "Girls" begleitete vier Frauen bei der Selbstfindung Mitte 20 in New York, zwischen Freundschaft, Partnerschaft, Freiheit und Verpflichtung. Die Serie verhalf nicht nur Schauspieler Adam Driver zum Durchbruch, sie machte Dunham zum Aushängeschild der Millennials. 2013 erklärte das Time Magazine Dunham zu einem der 100 einflussreichsten Menschen der Welt.

Übervoll mit Leben, kaum zu bremsen, einfach überwältigend

Die Serie als auch ihre Schöpferin war aber auch von Anfang an viel Kritik ausgesetzt. Zu nackt, zu viel Sex, zu viel Meinung. Gleichzeitig zu woke und zu engstirnig. Als "Girls" 2017 nach sechs Staffeln endete, zog sich auch Lena Dunham immer mehr zurück. Sie kämpfte mit psychischen Krankheiten und dem Ehlers-Danlos-Syndrom, einer seltenen Störung im Bindegewebe. Zeitgleich wurde immer wieder ihr Körpergewicht Thema in der Boulevardpresse und in den sozialen Medien.

"Too Much" ist ihre Rückkehr in die Öffentlichkeit, wenn auch hauptsächlich hinter der Kamera. Die Hauptrolle überlässt sie diesmal Megan Stalter als Jessica, eine Figur, wie Dunham sie vor einer Dekade wahrscheinlich selbst gespielt hätte. Übervoll mit Leben, kaum zu bremsen, neugierig auf alles, die lieber redet als zu schweigen. Und ganz oft ist sie für alle um sie herum überwältigend, zu intensiv.

Monologe mit der Neuen des Ex

Es dauert eine ganze Weile, bis "Too Much" seine Qualitäten entwickelt. Die ersten drei Folgen benötigt die Serie, um ihre Koordinaten zu setzen. Da ist die Protagonistin wirklich oft zu viel. Der Hauptcharakter Jessica zu paranoid, zu redselig, einfach zu übertrieben. Ständig spricht sie mit sich selbst, bis irgendwann herauskommt, dass sich diese Monologe an die neue Freundin (Emily Ratajkowski) ihres Ex-Freundes richten.

Schon da zeigt sich aber immer wieder die Qualität von Lena Dunhams Drehbüchern. Die Liebe zwischen Jessica und Felix entwickelt sich vor allem durch Gespräche, die Dialoge wirken nie gestellt, sondern wie belauschte Privatgespräche. Ab Folge vier entfaltet sich das volle Potenzial. Auf einer Party ihres Chefs zeigt sich die ganze Dekadenz der Londoner Upper Class, die mit einem Ringkampf auf dem Küchenfußboden endet. Nur eine Episode weiter erzählt Lena Dunham in 56 Minuten eine tieftraurige Geschichte über das Finden und Verlieren der Liebe. Alle, deren Beziehung schon einmal scheiterte, werden sich darin wiederfinden.

Ist "Too Much" Comedy? Eher nicht.

Das alles ist schwer einzuordnen. Offiziell bezeichnet Netflix die Serie als Comedy, aber auch "The Bear" läuft seit Jahren bei Preisverleihungen in dieser Kategorie, ohne explizit auf Gags ausgelegt zu sein. "Too Much" ist manchmal irrwitzig, dann wieder nervig oder deprimierend. Sie könnte der nächste große Hit werden oder direkt in der Versenkung verschwinden. Sie erinnert stark an "Girls", doch mittlerweile hat sich der Zeitgeist wieder geändert.

Als Dunhams erste Serie erschien, war die Welt eine andere. Barack Obama war mitten in seiner ersten Amtszeit, es gab Hoffnung, das Streben nach Diversität für eine bessere Welt, mehr Nachhaltigkeit erschien vielen selbstverständlich. Heute leben wir in einer Zeit, in der Donald Trump wieder Präsident ist, das Leugnen des Klimawandels salonfähig wurde und "Woke" ein Schimpfwort ist. Mental Health und Verletzlichkeit werden in den sozialen Medien zur Pose stilisiert, während echte Authentizität rar wird.

Vielleicht kommt "Too Much" genau zur richtigen Zeit. In einer Ära der Oberflächlichkeit und Performance könnte Jessicas ungeschminkte Emotionalität wie ein Befreiungsschlag wirken. Diese Serie zeigt, dass es okay ist, nicht perfekt zu sein eine Botschaft, die nach Jahren der Instagram-Selbstoptimierung wieder revolutionär erscheint. Es wäre ihr zu wünschen, dass sie eine neue Generation dazu ermutigt, wieder echte Gefühle zu zeigen.