Ein Hackerangriff sorgt dafür, dass in der Schweiz reihenweise Passanten tot umfallen. Der Grund ist schnell gefunden. Aber das macht den Fall für die Ermittlerinnen Isabelle Grandjean und Tessa Ott nicht einfacher. Wie kontaktiert man 2400 Betroffene, ohne eine Massenpanik auszulösen? Wie findet man Erpresser, die überall auf der Welt sitzen könnten? Im Zürcher Team breitet sich Entsetzen aus. Und dann wird der Fall für Tessa Ott ganz persönlich.
Ein herbstlicher Samstagmorgen in Zürich. Die Menschen fahren Fahrrad, gehen spazieren, führen ihren Hund aus. Und kippen tot um. Vier sind es kurz hintereinander, kurz darauf schon zehn. Es dauert nicht lang, und die Zürcher Ermittlerinnen Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) und Tessa Ott (
ICD sind streichholzschachtelgroße Geräte, die kurze Stromstöße abgeben, um Herzrhythmusstörungen zu regulieren. Die betroffenen ICD aber wurden Ziel eines Cyber-Angriffs – sie sind mit einem Virus infiziert, so dass sie viel zu stark reagieren. Alle stammen von der Firma Lauer Cardio.
Ein höhnisch lächelndes Pixel-Herz
Als das alarmierte Unternehmen versucht, Zugriff auf seine Software zu bekommen, erscheinen auf den Bildschirmen stattdessen ein lächelndes Pixel-Herz und die Worte "no heart feelings" – ein sarkastisches Wortspiel mit dem englischen Ausdruck "no hard feelings" ("Nichts für ungut"). Dazu die Aufforderung, 317 Millionen Dollar in Kryptowährung zu bezahlen, um die Cyberattacke zu beenden. Im Hintergrund spielt eine Opernarie.
Derweil kippen draußen weitere Herzkranke um. 2400 Menschen in der Schweiz tragen ein ICD von Lauer. Wie kontaktiert man 2400 Betroffene, ohne eine Massenpanik auszulösen? Wie findet man Erpresser, die überall auf der Welt sitzen könnten? Bei Grandjean, Ott und ihrem Team breitet sich ein Entsetzen aus, das professionelle Bestürzung übersteigt.
Keine Zeit für fatalistische Gespräche
Als Cybercrime-Fall steht "Kammerflimmern" vor der Herausforderung, Verbrechen im digitalen Raum und vor Bildschirmen herumsitzende Ermittler filmisch spannend umzusetzen. Und das macht dieser Zürcher "Tatort" hervorragend. Das Drehbuch stammt von den Autoren André Küttel und Petra Ivanov; Regisseurin Barbara Kulcsar war zuletzt für den rasanten ersten Fall ("Neugeboren") des neuen Bremer Teams Selb & Moormann verantwortlich, und ein gehöriges Tempo legt auch "Kammerflimmern" an den Tag.
Aber es sind nicht nur die Splitscreens und die durch Zürich rasenden Rettungswagen, die für das "Es brennt an allen Ecken"-Gefühl sorgen. Dem Kriminalfilm gelingt es mühelos, das Drama im digitalen Raum emotional aufzuladen. Es ist schließlich keine abstrakte Bedrohung aus dem digitalen Äther, die alle in Atem hält. Es handelt sich nicht um eine potenzielle Katastrophe, die rechtzeitig verhindert werden muss. Hier hat das Sterben bereits begonnen: Der tickende Countdown sind die Körper, die vor den Augen ihrer Mitmenschen umfallen. Da bleibt keine Zeit für die bei dem Thema sonst so üblichen fatalistischen Gespräche über die Gefahren der Digitalisierung oder die Abhängigkeit des Menschen von den Maschinen.
Zwei ungleiche Brüder
Tatsächlich steckt auch in der Erpresserbotschaft mehr Gefühl als Kalkül, wie Tessa Ott es ausdrückt: Das Pixel-Herz, die Musik, die unrealistisch hohe und seltsam spezifische Lösegeldsumme – da habe sich jemand viel Mühe gemacht.
Der Verdacht bestätigt sich, als die Ermittlungen ergeben, dass nicht alles mit rechten Dingen zugeht bei Lauer Cardio, an dessen Spitze zwei sehr ungleiche Brüder stehen. Die Firma hat sich nicht nur bei der Konkurrenz ziemlich unbeliebt gemacht. Es findet sich außerdem eine lange Liste mit Beschwerden an die Aufsichtsbehörde, weil das Unternehmen zugunsten des Profits und zu Lasten der Sicherheit zu gefährlichen Sparmaßnahmen gegriffen hat.
Den Computervirus kümmern Ermittlungserfolge wenig
Natürlich greift im Kampf Mensch gegen Computer auch "Kammerflimmern" auf die üblichen Hackerfilm-Bilder zurück: technische Erklärungen, die kompetent klingen sollen, aber nur verwirren; Computergenies, die auf flirrende Zeilen auf dem Bildschirm starren, innehalten, irgendwelche Heureka-Siegesrufe herausschreien und nach kurzem Tastaturgehämmer die Welt gerettet haben. Noah Löwenherz (Aaron Arens), der Experte im Zürcher Team, bekommt in "Kammerflimmern" ganz verdient eine entsprechend tragende Rolle.
Aber es ist eine ganz menschliche Furcht auch dieses Computergenies vor den defekten ICD, die die Geschichte vorantreibt und die Spannung dank mehrerer überraschender Wendungen auch dann noch hält, als eine Tatperson feststeht – den Virus kümmern Ermittlungserfolge schließlich wenig.
Ohne den Schlüssel, mit dem die Software repariert werden kann, ist den Opfern nicht geholfen. Die Bedrohung bleibt, die Gefahr einer Massenpanik nimmt weiter zu. Zumal einer jungen Reporterin die Häufung der mysteriösen Todesfälle im Polizeiticker aufgefallen ist und sie zu recherchieren begonnen hat.
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Überraschender Auftritt von Tessa Otts Familie
Und Tessa Ott rückt der Fall noch näher. Dass die Ermittlerin ein gespanntes Verhältnis zu ihren geschiedenen Eltern hat, schwang in früheren Fällen schon mit. Hier tritt zum ersten Mal Gustav Ott (Oscar Bingisser) in Erscheinung. Weil seine Kontakte in die Zürcher Wirtschaftselite bei der Aufklärung helfen könnten, hat Tessa ihren Vater mit einigem Widerwillen um Hilfe gebeten. Und dabei erfahren, dass auch ihre Mutter einen ICD trägt. Aber ausgerechnet jetzt hat die umtriebige Madeleine Ott (Babett Arens), die ihrer Tochter sonst so regelmäßig mit ihren Telefonanrufen auf die Nerven geht, sich für einen handyfreien Erholungsaufenthalt in die Berge zurückgezogen.
Die Dringlichkeit nimmt noch mehr zu. Cyberattacke und medizinisches Fachgerät werden noch persönlicher. Hier geht es nicht nur um ein infiziertes Computerprogramm, es geht um verletzte Menschen. Wie "Kammerflimmern" das verbindet, macht den Krimi zu einem starken "Tatort".